Eine Reise durch die islamische Welt
Das neue Buch von Jason Burke erinnert an die Werke seines berühmten Landsmanns Bruce Chatwin
Eines der ersten und besten Bücher über die Terrororganisation al-Qaida veröffentlichte der mehrfach preisgekrönte britische Journalist Jason Burke (Al-Qaida. Wurzeln, Geschichte, Organisation. Artemis & Winkler, 2004). Seine intimen Kenntnisse hat er als Chefreporter des "Observer" erworben, in dessen Auftrag er jahrelang aus dem Nahen und Mittleren Osten berichtete.
Burke wies bereits früh darauf hin, dass al-Qaida über keine feste Organisationsstruktur verfügt, wie es bei "klassischen" Terrorgruppen häufig der Fall ist. Der Journalist machte zudem deutlich, dass al-Qaida heute weniger eine islamistische Terrorzelle darstellt - wie noch im Zeitraum zwischen 1996 und 2001 -, sondern vielmehr eine Ideologie, eine Bewegung. Dieser Entwicklung hatte sowohl die Niederlage der Taliban als auch das Untertauchen Osama bin Ladens Vorschub geleistet.
Bereits im Alter von 21 Jahren verschlug es Burke in die nordirakischen Berge Kurdistans. Dort machte er sich noch über die Kurdenmiliz, die Peschmerga, lustig: Sie "entsprachen in fast jeder Hinsicht dem Klischeebild". Die kurdische Nationalhymne erinnerte ihn an "eine Parodie auf die Marschgesänge einer nationalistischen Guerillatruppe", die "kaum ernst zu nehmen war". Auch die Männer selbst hatten "etwas Komisches" an sich. Damals, zu Beginn der 1990er-Jahre, habe sein langer Lernprozess begonnen, stellt Burke rückblickend in seinem neuem Buch "Die Reise nach Kandahar" fest. Die islamische Welt stelle keinen in sich geschlossenen Monolithen dar, "in dem sonderbare Wesen, Muslime genannt, gemäß den Vorschriften einer obskuren und reaktionären Religion leben", lautet sein Fazit. Vielmehr sei sie "ein vielgestaltiges und dynamisches spirituelles, kulturelles und politisches Gebilde, das sich jeder geographischen, ethnischen und rassischen Definition entzieht".
Der Brite lebte über viele Jahre in Pakistan und Afghanistan, zudem ein Jahr im Irak. Seine Reisen führten ihn jedoch in die gesamte islamische Welt, von Marokko bis nach Südwestchina, von Usbekistan bis nach Malaysia. Allmählich wurde ihm auf seinen Reisen klar, dass "der Islam" ein Etikett ist, "das vielen Phänomenen angeheftet werden konnte, ohne sie adäquat zu beschreiben".
Der perfekt Arabisch und Urdu sprechenden Journalist trank "Cola mit militanten Kämpfern" oder "Tee mit angehenden oder gescheiterten Selbstmordattentätern unterschiedlicher Nationalität". Seine Bilanz mag überraschen: "Nur wenige neigten zur Gewalt." Die von Osama bin Laden und seinen extremistischen Mitstreitern verkörperte Terrorgruppe habe lange Zeit nur eine Minderheit innerhalb einer Minderheit gebildet. Erst mit seinem nicht durchdachten militanten Vorgehen habe "der Westen" dieser Minderheit den Vorwand geliefert, um ihren Kampf zu rechtfertigen und erfolgreich neue Anhänger zu rekrutieren.
Burke will das Klischee von den unterschiedlichen Welten nicht gelten lassen. In seinen großartigen Reportagen versucht er vielmehr, die beiden scheinbar getrennten Kreise "wir" und "sie", beziehungsweise "der Westen" und "die islamische Welt", zu durchbrechen. Anstatt die Unterschiede zu akzentuieren, will Burke das Verbindende zwischen den Menschen, Völkern und Kulturen herausstellen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten bezeichnet er jeden Versuch als "willkürlich und lächerlich", die Welt "in zwei oder mehr streng getrennte ‚kulturelle Blöcke' aufzuteilen".
Bewusst folgt Burke nicht der These vom Kampf der Kulturen, Zivilisationen oder Religionen, den selbsternannte Propheten propagieren. Lieber macht er sich für die Universalität der Menschenrechte stark und widerspricht all jenen, die neue Motive und Begründungen für eine Vertiefung der Konflikte und die Fortsetzung des Krieges suchen. Die Protagonisten des Ansatzes vom Kampf der Kulturen in der islamischen Welt und im Westen verfolgten ähnliche Absichten. Auf beiden Seiten benutze eine kleine Gruppe ihre Anhängerschaft, um sie in einen gewalttätigen Kampf gegen einen "fanatischen und irrationalen Feind" zu verstri-cken, "der aggressiv und kriegerisch und auf Expansion ausgerichtet ist, bis alle anderen Kulturen, Gesellschaften und Glaubenssysteme vernichtet sind; einem erbarmungslosen Kampf, in dem es um alles oder nichts geht".
Vielleicht kann Burke deshalb das Verbindende leichter als das Trennende sehen, weil er sich als Lernenden begreift, der den Sitten und dem Glauben der Anderen stets mit Respekt begegnet. Um seine Erkenntnisse allen Menschen zugänglich zu machen, meidet der Journalist eine schwer verständliche, akademische Fachsprache. Meisterhaft gelingt es ihm, die Lebensweisen und Weltanschauungen der Völker, in deren Mitte er lebte, verständlich darzustellen. Auch in dieser Hinsicht erinnert Burke an seinen Landsmann Bruce Chatwin, den berühmten Reiseschriftsteller und Romanautor.
Im Unterschied zu Chatwin sieht sich der Chefreporter des "Observer" jedoch mehr als politischen Beobachter und Entdecker, der auf Grund seiner Sprach- und Länderkenntnisse sicherheitspolitische und kulturell-religiöse Analysen zur Lage in Pakistan, im Irak und in Afghanistan in seine Reportagen einfließen lässt. Das schadet dem hochinformativen Buch nicht, weil der Journalist unterhaltsam, mitunter sogar lus-tig, zu schreiben weiß. Der wunderbaren "Reise nach Kandahar" sind viele Leser zu wünschen.
Reise nach Kandahar. Unterwegs in den Krisengebieten der islamischen Welt.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2007; 319 S., 24,90 ¤