BÜROKRATIEKRITIK
Dieter Brandes' Politik-Ratgeber verharrt an der populistischen Oberfläche
Wer es je geschafft hat, einen Zulagenantrag für die Riester-Rente auszufüllen ohne daran zu verzweifeln, der ist für die sonstigen Anfechtungen der deutschen Bürokratie bestens gewappnet. Kompliziert, umständlich, detailversessen, so präsentieren sich deutsche Gesetze und Verordnungen dem Bürger, der damit seine liebe Not und Mühe hat.
Es geht auch anders, sagt Dieter Brandes, ehemaliger Aldi-Manager und "Spezialist für das Management der Einfachheit", wie es auf dem Buchumschlag heißt. Von Aldi lernen heißt siegen lernen, kann man seine These zusammenfassen. Klein schlägt groß, einfach ist besser als kompliziert. Brandes versteht sich mit seinem Buch aber keineswegs als Unternehmensberater. Seine Zielgruppe sind vielmehr die Abgeordneten, die unsägliche Gesetze produzieren, und die Beamtenschaft, die diese komplizierten Regelungen umsetzen muss.
Die Kapitelüberschriften sind Programm: Politik profitiert vom Management der Einfachheit, Komplexitätsmonster beherrschen den politischen Alltag, Rezepte für eine einfache Politik, aktuelle Reformprojekte mit Einfachheit gemanagt. Nun weiß auch der Autor, dass es zwischen Aldi und der Bundesrepublik Deutschland noch gewisse Unterschiede gibt. Die Kanzlerin kann ein komplexes Staatswesen nicht führen wie die Aldi-Filiale um die Ecke.
Der Autor gibt den Politikern und den Ministerialräten ein paar Merksätze mit auf den Weg, die alle etwas mit Klarheit und Einfachheit zu tun haben. Würden diese nur beachtet, so der Autor, dann wären die Gesetze verständlich und Behörden und Bürger würden unter ihrer Anwendung nicht in dem Umfang leiden müssen wie dies heute der Fall ist.
Brandes kommt seinem eigenen Postulat nach und hat das Buch in einfacher Sprache geschrieben, auch wenn er seinen betriebswirtschaftlichen Ansatz nicht verhehlt. Streckenweise wirkt das Stakkato der Einfachheitsforderungen ermüdend. Es ist aber anzuerkennen, dass er seine Thesen anhand zahlreicher Beispiele aus der praktischen Gesetzgebung untermauern will.
Dem aufmerksamen Zeitungsleser ist die Kritik des Autors durchaus nicht unbekannt. Von Steuergesetzen, die selbst Steuerberater nicht mehr verstehen, hat man schon gehört, dass das Gezerre um das Dosenpfand und um den Elektroschrott zu teilweise grotesken Ergebnissen geführt hat, auch. Insofern bedient Brandes auch allgemein kursierende (Vor-)Urteile.
Bedauerlich ist, dass Brandes nicht versucht, etwas tiefer zu schürfen, sondern auf der Ebene der populistischen Bürokratiekritik verharrt. Möglicherweise wären die deutschen Gesetze ganz nach seinem Geschmack, wenn man die Ministerialbürokratie nur machen ließe, ohne dass Politiker und Lobbyisten auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen können. Der französische Philosoph Saint-Simon hat schon Anfang des 19. Jahrhunderts die Herrschaft der Technokraten beschworen. Über solche Ideen ist die Zeit eigentlich hinweggegangen.
Die Gesetze sind nicht deswegen so komplex, weil Politiker und Beamte unfähig wären, betriebswirtschaftlich zu denken, sondern weil die gesellschaftlichen Interessen ihren Niederschlag darin finden. Bürokratiekritik müsste also auch Selbstkritik der Gesellschaft sein.
Brandes' Streitschrift, man muss es leider sagen, führt in die Irre. Er blendet die demokratieheoretische Dimension des Problems völlig aus. Und wären Gesetze, die den Leitlinien eines Lebensmittel-Discounters mit beschränktem Sortiment entsprechen, allen Ernstes erstrebenswert?
Die Aldi-Diät für Deutschland. Rezepte für eine einfache Politik.
Econ Verlag, Berlin 2007; 221 S., 16,95 ¤