Glossen und Essays
Umberto Ecos Kritik an den Medien und anderen Mächten
Umberto Eco feierte am 5. Januar seinen 75. Geburtstag. Ein Alter, in dem viele seiner Kollegen eine gemütlichere Gangart einlegen oder sich schon dem letzten Meisterwerk widmen. Nicht so der Bestsellerautor und Sprachphilosoph von der Universität Bologna. Seit mehr als 20 Jahren mischt er sich in einer Kolumne für das Magazin "L'Espresso" regelmäßig in alle nur erdenklichen Debatten ein. Dort seziert er mit messerscharfem Verstand etwa die den Streit um Dan Browns "Da Vinci Code" oder die Entmachtung von Parlament und Justiz. In eleganter Prosa deckt er die Mechanismen der Macht und der Medien auf.
Sein neuester Glossenband "Im Krebsgang voran" birgt Essayistisches aus der Zeit zwischen 1999 und 2005. Kein Wunder also, dass sich darin vieles um "heiße Kriege und medialen Populismus" dreht. Tobten in dieser Zeit doch die Kriege im Nahen wie Mittleren Osten und Silvio Berlusconi auf der italienischen Regierungsbank und allen Kanälen seiner Fernsehstationen. Gegen diese "Verirrungen der Vernunft" zieht er mit seinen intellektuellen Waffen zu Felde und kann sich am Ende zumindest als moralischer Sieger betrachten.
Vor allem begeht Eco bei seinen subtilen Angriffen nie den Fehler, seine "Gegner" oder seinen Gegenstand zu unterschätzen. Er bekämpft den italienischen Ministerpräsidenten nicht mit oberflächlichen Hasstiraden, sondern entlarvt dessen populistische Praktiken als geschickte Irreführung des Volkes. Bei der bloßen Kritik bleibt Eco jedoch nicht stehen. Er ruft die konsumierende Masse zum medialen Widerstand auf oder aber zum Boykott aller Produkte, die in Berlusconis Sender beworben werben. Den Gegner durchschauen und mit dessen Mitteln schlagen, lautet die Devise.
Was auf dem heimischen Boden vielleicht noch als konkrete Strategie taugt, versandet auf internationalem Feld. Hier bleibt dem Verfechter einer "humanen Vernünftigkeit" nichts anderes übrig, als mit Verve und Esprit daran zu erinnern, dass der Krieg gegen den internationalen Terrorismus nur mit kultureller Toleranz und kompromissbereiter Verhandlungstaktik zu gewinnen sei. Beide Anstrengungen vermisst er bei Bush und bei den Bürgern, die nicht trennscharf zwischen Muslimen, Arabern und Fundamentalisten zu unterscheiden wissen, den Begriff "Political Correctness" einseitig instrumentalisieren und den "Heiligen Krieg" genauso missdeuten wie Osama bin Laden.
Ob diese und andere von ihm glossierte Erscheinungen wie ein neu aufkeimender Antisemitismus oder Aberglaube wirklich "Erscheinungsformen des Fortschritts im Rückwartsgang" sind, hängt ganz von der Perspektive ab. Sicher lassen sich noch viel mehr Parallelen zwischen vormodernen und heutigen Verhaltens- und Denkweisen finden. Doch das heißt nicht gleich, dass sich die Völker "im Krebsgang" bewegen. Seine Beobachtungen zeigen vielmehr, dass den Menschen in Zeiten der Globalisierung der innere Kompass und damit die Orientierung verloren gegangen ist. In welche Richtung sie dabei steuern, ist gegenwärtig weder für Philosophen noch für Politiker auszumachen.
Glücklicherweise geriert sich Eco nie als säkularer Besserwisser und Prophet. Er besitzt vielmehr - im positiven Sinne - die "Gabe der Hinterhersage", wie es in einer seiner ironischen Glosse heißt. Ein undogmatischer Dogmatiker, der trotz aller Ironie die Werte von Freiheit und Menschenwürde hochhält. Und zwar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit der unwiderstehlichen Kraft selbstkritischer Vernunft.
Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus.
Carl Hanser Verlag, München 2007; 320 S., 23,50 ¤