PflegE
Es trifft fast alle. Aber kaum jemand ist vorbereitet.
Die meisten versuchen es mit der Vogel-Strauß-Taktik: Kopf in den Sand, meine Eltern wird es doch wohl hoffentlich nicht treffen. Wenn es dann doch so weit ist, ein Elternteil stirbt, der andere kann nicht mehr, ist die Ratlosigkeit oft uferlos. Wohin mit Vater? Wer soll Mutter pflegen?
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit den existenziellen Fragen, die auftauchen, wenn Eltern zum Pflegefall werden. Als die Mutter überraschend stirbt, muss der Autor für den Tag und Nacht zu betreuenden Vater eine Lösung finden. Und das schnell, denn das eigene Leben geht ja weiter.
Der Autor ist nach Verlagsangaben seit 30 Jahren Journalist und derzeit Ressortleiter einer deutschen Tageszeitung. Er bleibt anonym, denn die Pflege, die er für seinen Vater schließlich auswählt, ist illegal - wenn auch in Deutschland vieltausendfach praktiziert und irgendwie geduldet.
Die Frauen kommen aus Polen oder anderen osteuropäischen Staaten, wohnen im Haushalt des zu Pflegenden, sind 24 Stunden lang im Einsatz und kosten mit gut 1.000 Euro einen Bruchteil eines professionellen Pflegedienstes. An die 100.000 osteuropäische Pflegekräfte sollen es inzwischen sein, die die Pflege von Familienangehörigen übernehmen. Das Fazit des Autors: Das deutsche Pflegesystem würde ohne diese Frauen "sofort zusammenbrechen".
Seinen Entscheidungsweg beschreibt er in unprätentiösem Ton; die sich überschlagenden Gedanken, auch die eigenen Gewissensbisse, legt er schonungslos offen. Die Odyssee durchs deutsche Pflegesystem, die Einblicke in den Kosmos Heim, die schwierigen Familiengespräche, all das liest sich durchgehend spannend wie ein Krimi. Und ist manchmal sogar richtig zum Lachen.
Etwas unvermittelt wechselt der Autor im achten Kapitel von der Rolle des Berichterstatters in eigener Sache in die Rolle des Reporters, um fünf weitere Geschichten von Kindern zu beschreiben, von denen ein Elternteil pflegebedürftig wird. Ein Bruch, dessen Notwendigkeit sich nicht ganz erschließt.
Das Buch ist aber auf jeden Fall lesenswert - nicht zuletzt, weil es ein Weckruf für Gesellschaft und Politik ist, sich endlich intensiver mit dem Problem Pflege in Deutschland auseinanderzusetzen. Monika Pilath z
Wohin mit Vater? Ein Sohn verzweifelt am Pflegesystem
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007; 190 S., 16,90 ¤