Umwelt
Alle reden vom Klimaschutz. Aber nicht jeder Vorschlag ist brauchbar.
Kassandra ist ein schlechter Ratgeber. Der Streit um die Erderwärmung im Umfeld des UN-Klimaberichts und der EU-Gipfeldramatik lässt momentan vor allem die politisch-mediale Temperatur steigen. Hinter den Weltuntergangsszenarien wähnt man ein Armageddon heraufziehen, bei dem die Menschheit gegen sich selbst zur Entscheidungsschlacht um den Planeten antritt. Lohnt es sich überhaupt noch, etwas gegen den Treibhauseffekt samt schlimmen Naturkatastrophen zu tun - wo doch alles verloren scheint?
In scharfem Kontrast zu apokalyptischen Visionen rücken praktische Gegenmaßnahmen mit bescheidenem Effekt, aber irrationalen Zügen in die Schlagzeilen. Da wird dem Mallorca-Flugtouristen ein schlechtes Gewissen eingeredet - und von dieser "Sünde" kann er sich durch modernen Ablasshandel über den Erwerb eines Zertifikats freikaufen, dessen Geldwert in ein Ökoprojekt investiert wird. Ein Auto mit niedrigerem Benzinverbrauch kaufen: Das erlaubt eine motorisierte Urlaubsreise mit gutem Gewissen. Ein Hybrid-Dienstwagen vermag einen Minister als Öko-Vorreiter in die Presse zu bringen: Mehr als Symbolpolitik ist es nicht.
In dieser Zeit der Aufgeregtheiten mutet eine ambitionierte Buchreihe geradezu wohltuend an, die auf sachliche Information und politische Rationalität setzt: Der Fischer-Verlag publiziert im Laufe des Jahres zwölf von renommierten Wissenschaftlern verfasste Bände, bei deren inhaltlich abgegrenzten Schwerpunkten es thematisch übergreifend um die Zukunft der Erde geht. Die ersten vier Werke sind jetzt erschienen, weitere vier zum Wasser, zu Energien, zur Demografie und zu den Ozeanen sollen schon bald folgen.
Das Buch des Kieler Meteorologen Mojib Latif bringt das Leitmotiv dieser Serie auf den Punkt, die Wege in eine ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit in globalem Maßstab skizzieren will: "Weder Horrorszenarien noch Verharmlosung sind angebracht, sondern eine möglichst objektive Bewertung der Sachverhalte." Eine Relativierung der Umweltgefahren ist den Verfassern in der Tat fremd. Die Wiener Nachhaltigkeits-Forscherin Jill Jäger und die Co-Autoren ihres Bands drücken es so aus: "Die Situation auf unserem Planeten ist viel dramatischer, als viele glauben. Wir wollen aber auch zeigen, dass es gute Handlungsoptionen gibt."
Initiiert wurde die Zwölfer-Reihe von der Stiftung Forum für Verantwortung des früheren Unternehmers Klaus Wiegandt in Kooperation mit der Asko Europastiftung (Saarbrücken) und der Europäischen Akademie Otzenhausen. Alle Bücher sollen zusätzlich zu Lehrmaterialien für Seminare, Vortragsreihen und Workshops umgearbeitet werden.
Seit dem Alarmsignal des Club of Rome 1972 hat es wahrlich nicht an Deklamationen vom Dorfgemeinderat bis zur UNO gefehlt, den Weg hin zur Nachhaltigkeit einzuschlagen. Doch leider, bilanziert Wiegandt nüchtern, "ist dieses Leitbild noch nicht zur Realität geworden". Der Ideengeber der Buchserie vermutet hinter dem Ausbleiben der Kehrtwende erhebliche Wissenslücken in einer breiten Öffentlichkeit: Notwendig sei eine "sachgerechte und verständliche Aufbereitung sowohl der Fakten als auch der Denkmodelle", um Bürger und Politik zu mobilisieren.
So sehr sich nun die Autoren um eine eingängige Darbietung wissenschaftlicher Erkenntnisse bemühen: Flott herunterlesen lassen sich die Texte nicht. Das liegt wohl in der Natur der Sache. Latifs Klimaphysik über die Versauerung der Ozeane, die globale Kohlenstoffbilanz oder die Trägheit des Klimas samt komplizierter mathematischer Formeln ist nun mal kein simpler Lehrstoff. Gleiches gilt für Klaus Hahlbrocks Darlegung der Methoden und Gesetzmäßigkeiten der Pflanzenzüchtung. Oder für Friedrich Schmidt-Bleeks Sezierung von Ressourcenproduktivität, Stoffstrombilanzen und dematerialisiertem Stahl. Als sehr nützlich erweist sich das Glossar, das in jedem Band Fachbegriffe erläutert.
Manches wird anschaulich auf den Punkt gebracht. Wieviele Rohstoffe müssen hin- und her bugsiert werden, um Waren zu produzieren? Für eine Armbanduhr etwa sind zwölf Kilogramm Material zu transportieren, für eine Kaffeemaschine ist es gar ein Zentner. Hahlbrock kritisiert, dass weltweit der größte Teil des Anbaus von Soja, Mais, Weizen und Gerste im Futter von Vieh landet, dessen Fleisch in erster Linie im reichen Norden vertilgt wird.
Diese Beispiele weisen die Spur zur Kernthese der Buchreihe: Der Mensch verbraucht zu viele natürliche Ressourcen, deren Umwandlung bei Energieerzeugung und Produktion Zerstörungen des ökologischen Gleichgewichts provoziert. Deshalb lautet die radikale Generalforderung: Der Ressourcenkonsum muss drastisch reduziert werden.
Die Analysen fußen auf einem umfassenden Denkansatz. Die Autoren sprechen nicht allein vom Klimawandel, sondern vom globalen Wandel - und der bezieht vieles ein, die Erderwärmung, die Bodenerosion, die Wüstenbildung, das Artensterben, die Übervölkerung, soziale Brüche, Naturkatastrophen, Unterernährung und manches mehr. Stets fassen die Wissenschaftler die Ursachen der Umweltgefährdung im Weltmaßstab ins Auge.
Aktell kapriziert sich die politische Debatte auf das EU-Konzept zur Minimierung der Treibhausgase. Latif ruft indes in Erinnerung, dass ohne Einbeziehung der USA, Chinas und Indiens als weitaus größte Emittenten von Kohlendioxid in eine Strategie der Verminderung dieses Schadstoffausstoßs der Kampf gegen den Klimawandel langfristig nicht zu gewinnen ist. Mit Sorge registriert der Meteorologe, dass die Kohle gerade in diesen drei Staaten als Energieträger sogar noch an Bedeutung gewinnen wird.
Solche Erwägungen legen im Übrigen die Einsicht nahe, dass das nicht zuletzt von Umweltverbänden geforderte Ende der Steinkohlesubventionen hierzulande ökologisch wenig bringt: Importkohle, die energieverbrauchend herangeschafft werden muss, ersetzt nämlich das heimische "schwarze Gold". Ein Gewinn für die Umwelt könnte entstehen, wenn wenigstens ein Teil der eingesparten Gelder in die Erforschung sauberer Kraftwerkstechnologien investiert würde - auch um diese in andere Länder zu exportieren. Und so sinnvoll eine Begrenzung des Kohlendioxidausstoßs bei Fahrzeugen ist: Der Verkehr steuert in der Bundesrepublik knapp 20 Prozent zu den Treibhausgas-Emissionen bei, fast 70 Prozent entfallen hingegen auf Kraftwerke und Industrie - da mutet der hingebungsvolle Zoff ums Automobil doch etwas verzerrt an.
Die Verfasser zielen auf Effizienz: Wo muss man eingreifen, um tatsächlich wirkungsvoll den destruktiven globalen Umbrüchen zu begegnen? Das "ressourcenschwere westliche Wohlstandsmodell", so Wiegandt, lasse sich nicht global auf fünf oder gar acht Milliarden Menschen übertragen. Um eine drastische Reduzierung des Ressourcenverbrauchs im Norden komme man nicht herum. Schmidt-Bleek verlangt eine "Dematerialisierung" um den Faktor zehn, der sich die Wirtschaftssysteme der Industriestaaten zu unterziehen hätten. Das erlaube den armen Ländern eine Verdoppelung ihres Ressourceneinsatzes, wobei sich auf diese Weise die Stoffströme der Weltwirtschaft insgesamt halbieren könnten.
Diese Rechnung darf als Schlüsselkonzept des gesamten Buchprojekts gelten. Wie aber gelingt das, wie lassen sich etwa erneuerbare Energien aus ihrem Nischendasein herausführen und in großem Stil als Alternative zu fossilen Energieträgern aufwerten? Natürlich gehört dazu mehr technische Effizienz in der Produktion. Doch das reicht nicht. Und siehe da, es taucht eine alte Bekannte auf: die Ökosteuer. Es gehe um eine Verlagerung der Steuerlast, insistiert Jill Jäger, "so dass der Umweltverbrauch besteuert wird, während andere Bereiche wie etwa die Arbeit entlastet werden können". Wohlan, aufs Neue in den Kampf: Dass ein solches Steuersystem international noch nicht weit gediehen ist, liegt nicht an der Logik des Modells, sondern an handfesten Widerständen.
Wenn der Norden ressourcenschonender zu wirtschaften hat, so sieht Wiegandt auf der anderen Seite die Schwellen- und Entwicklungsländer in der Pflicht, den Bevölkerungszuwachs einzudämmen. Auf diesen Aspekt der ökologischen Überlastung des Globus weist auch Hahlbrock hin. Dürfte die Vermeidung einer Übervölkerung der Erde als Ziel weithin unstrittig sein, so wird die positive Bewertung der "grünen Gentechnik" durch den Biochemiker wohl heftigen Streit auslösen. Gerade im Blick auf Ernährungsprobleme in der Dritten Welt überwiegt für Hahlbrock der Nutzen der Gentechnik durch eine Steigerung agrarischer Produktivität und durch eine geringere Umweltbelastung beim Anbau den problematischen Aspekt des Eingriffs in die Evolution von Nahrungspflanzen.
Nein, als leichte Kost präsentieren sich diese Bände nicht, nicht nur wegen der komplizierten wissenschaftlichen Materie. Was man bei den ersten Werken vermisst, ist eine vertiefte Erörterung der Zusammenhänge zwischen der ökonomischen Globalisierung mit ihrem wachsenden Konkurrenzdruck und den ökologischen Verwerfungen. Auch manch einzelne Thesen lassen sich kritisch hinterfragen. So plädiert Wiegandt dafür, den Welthandel zurückzufahren: Aber ist die Dritte Welt im Sinne eines sozialen Ausgleichs nicht darauf angewiesen, mehr in den Norden zu exportieren? Jäger argumentiert gegen die Pendlerpauschale, weil diese den Ressourcenverbrauch subventioniert: Wird die berufliche Mobilität aber nicht erzwungen von der Wirtschaft, ist denn das Pendeln zwischen München und Hamburg nicht unvermeidbar für viele?
Zuguterletzt dürfen auch ein paar Appelle an den Einzelnen nicht fehlen: regionale Bioprodukte kaufen, mit Wasser bewusst umgehen, Rad und Bahn statt Auto und Flugzeug frequentieren. Und dann die Sache mit Stand-by bei Elektrogeräten. Drei Prozent des deutschen Strombedarfs seien auf solche Bereitsschaftszeiten zurückzuführen, so Jäger. Tatsächlich lassen sich aber nach ihren Ausführungen technisch bestenfalls 40 Prozent dieses Verbrauchs einsparen, das sind dann im Idealfall 1,2 Prozent der Stromproduktion. Dagegen ist nichts zu sagen, die Wirkung ist freilich begrenzt.
Solche Einwände sollen den Reiz dieser Bücher nicht schmälern, die sich durch ein hohes Maß an informativer und politischer Effizienz auszeichnen: Im Kern wird der Blick auf das Wesentliche beim Kampf gegen die Umweltzerstörung gelenkt.
Was verträgt unsere Erde noch?
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007; 232 S., 9,95 ¤
Bringen wir das Klima aus dem Takt?
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M.; 255 S., 9,95 ¤
Nutzen wir die Erde richtig?
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007; 256 S., 9,95 ¤