Kubakrise
Scheiterten die Vereinten Nationen an den USA? Daniele Ganser glaubt dies.
Die Frage, wie nach dem Kalten Krieg internationale Organisationen zur Friedenssicherung beitragen können, ist hoch aktuell. Frühere Erfahrungen wie die Kubakrise, die im Oktober 1962 die Welt an den Rand einer atomaren Krieges brachte, können hierfür aufschlussreich sein.
Für seine zentrale These, dass es diese Krise nie gegeben hätte, wenn die USA Kuba nicht mit einer verdeckten Kriegführung überzogen und die Vereinten Nationen sabotiert hätten, stützt sich der Schweizer Historiker Daniele Ganser sehr stark auf UN-Sitzungsprotokolle. Doch seine idealtypische Sicht der UNO muss zwangsläufig an der Realität scheitern. Spät wird erkannt, dass der Sicherheitsrat und damit die UNO "nur so effektiv wirken kann, wie seine Mitglieder es zulassen" und kein "unabhängiges Leben" habe. Sitzungsprotokolle allein spiegeln eben nicht die komplexe Realität und die wichtigen informellen Strukturen von Entscheidungsprozessen sowie das Geflecht traditioneller Staatendiplomatie und Organisationspolitik. Daher wird die Rolle der UNO unterschätzt. Auch wenn Chruscht-schow bereits vor ihrer Intervention den Rückzugsbefehl für die auf Kuba stationierten Raketen gab, der Bau "goldener Brü-cken" in solchen Situationen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Sinnvoll ist, die Vorgeschichte der Krise in einem größeren Zeitfenster - ab der kubanischen Revolution 1959 - zu analysieren. Statt einer breiten Kontextanalyse dieser Phase verengt der Autor seinen Blick jedoch auf die USA. Doch die Kubakrise ist nicht nur als Problem der USA in ihrem "Hinterhof", sondern vor allem als wesentlicher Teil des Kalten Krieges zu verstehen. Dieser Kontext, zu dem nicht nur die Maßnahmen der USA gegen Kuba gehören, sondern auch der Ungarn-Aufstand 1956 und der Mauerbau 1961 gehören, wird unzureichend berücksichtigt.
Das für die Raketenstationierung durch die UdSSR zentrale Motiv sieht der Autor in dem Schutz der kubanischen Revolution. Andere Motive wie das Erreichen strategischer Vorteile glaubt er aufgrund der Aussagen Chruschtschows vernachlässigen zu können, obwohl er wenig später in der Stationierung eine Störung "einer gut ausgewogenen militärische Balance" sieht.
Für die eigentliche Krise können laut Ganser "keine neuen oder zusätzlichen Erkenntnisse" angeboten werden. Zu der als "zentrale Voraussetzung einer tiefgründigen Analyse" der Kubakrise erklärten Haltung Kennedys, "dass der Kommunismus in dieser Region nicht verhandelbar sei", fühlt er sich "weder befähigt, noch verlangt meine Arbeit dies zu tun". Obwohl das zentrale Thema, wird nie ganz klar, worin das Kernelement der Krise besteht. Die Argumentation mäandert zwischen der alleinigen Verantwortung der USA wegen ihrer verdeckten Kriegführung und der "unverzeihlichen" Raketenstationierung durch die UdSSR. Fragwürdig sind auch eine Reihe von Bewertungen und Beweisführungen. Ganser "glaubt" häufiger, ohne überzeugend zu begründen.
Die Kuba-Politik der USA kann sicherlich in mehrerlei Hinsicht kritisiert werden. Wenn jedoch Menschenrechtsverletzungen in Kuba auf das Ausreiseverbot reduziert und die US-Politik der USA darauf zurückgeführt werden, dass "Castro weiterhin eines der wenigen Staatsoberhäupter in Lateinamerika ist, das die USA nicht kontrollieren können", dann stellt sich die Frage, ob der Autor über Lateinamerika auf dem Laufenden ist. Mit Blick auf Vietnam, Irak und den Balkan werden das "Demokratiedefizit" der USA und ihr "pathologisches Verhalten in der UNO" angeprangert, mit teils fragwürdigen Bewertungen. So mag man über den Kosovo-Einsatz der NATO unterschiedlicher Ansicht sein, ihn in die Reihe der "endlosen Verbrechen der USA gegenüber der UNO-Charta" zu stellen, ohne den Aspekt einer humanitären Intervention auch nur zu erwähnen, ist nicht nachvollziehbar.
Mehr als nur problematisch ist auch die Aussage, man müsse herausfinden, ob es sich beim 11.September 2001 um eine verdeckte Kriegsführung der USA gegen ihr eigenes Volk gehandelt habe.
Ärgerlich ist die mangelhafte editorische Sorgfalt. So fehlen Textteile, Fußnoten stehen vielfach nicht auf der entsprechenden Seite, sondern mehrere Seiten später, eine eigenständige Bibliografie fehlt ebenso wie der angekündigte Anhang mit Dokumenten. Angesichts der sprachlichen und inhaltlichen Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten, der vielfachen Wiederholungen und einer dem Thema des Öfteren inadäquaten Sprache hätte eine gründliche Endredaktion dem Buch gut getan.
Die Kubakrise - UNO ohne Chance.
Verdeckte Kriegs-führung und das Scheitern der Weltgemeinschaft.
Kai-Homilius-Verlag, Berlin 2007, 250 S., 19,90 ¤