Morgenland
Abseits der Tagespolitik erfährt man wenig aus der arabischen Welt. Ein Grund mehr, sich einmal genauer zu informieren.
Die arabische Welt steht seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dem damit einhergehenden Erstarken des Islamismus im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Zunehmend wird der Islam mit seiner pervertierten Form des Islamismus in einen Topf geworfen. Der differenzierte Alltag und die Struktur dieser Länder werden dabei allzu oft ausgeblendet. Feindbildern abzubauen und aufzuklären -das täte allerdings nicht nur dem Westen gut, sondern auch einigen Staaten der arabischen Welt. Die westliche Welt darf sich auch nicht nur auf die bekannten Problemfälle konzentrieren, sondern sollte sich verstärkt Saudi-Arabien zuwenden, das seine fundamentalistische Variante des Wahhabismus exportiert.
Der Palmyra-Verlag und sein Chef, Georg Stein, vertreten ein Programm, das sich dem Ausgleich zwischen Orient und Okzident verpflichtet fühlt. Kaum ein deutscher Verlag hat sich so um ein harmonisches Verhältnis zwischen den beiden Kulturkreisen bemüht, und zwar ohne ideologische Scheuklappen. Auch der neueste Titel, "Die Arabischen Staaten", steht in dieser Tradition. Sein Herausgeber, Walter M. Weiss, lebt als freier Publizist in Wien und ist auf die arabische und islamische Welt spezialisiert.
Ausführlich werden die 22 Mitglieder der Arabischen Liga anhand ihrer Geschichte, Politik, Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftsstruktur dargestellt. Im Einzelnen sind dies: Ägypten, Algerien, Bahrain, Djibouti, Irak, Jemen, Jordanien, Katar, Komoren, Kuwait, Libanon, Libyen, Marokko, Mauretanien, Oman, Palästina, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan, Syrien, Tunesien und Vereinigte Arabische Emirate. Eine stattliche Anzahl von Politik- und Islamwissenschaftler, Korrespondenten und Fachpublizisten haben an dem Werk mitgearbeitet.
Der alphabetisch gegliederte Band beginnt zu Recht mit Ägypten. Es hat sich als bevölkerungsreichstes Land der region immer schon als Sprachrohr der arabischen Sache verstanden, obgleich ihm diese Rolle seit dem Friedensvertrag mit Israel immer wieder streitig gemacht worden ist - zuletzt durch Saddam Hussein. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis sich das Land diese Position zurückerobert hatte. Seine Rolle als Vermittler im Nahost-Konflikt wurde im Februar 2007 von Saudi-Arabien erneut in Frage gestellt. Obwohl das Regime von Präsident Hosni Mubarak Anlass zur Kritik gäbe, wird es von dem Autoren-Team Friedemann Büttner und Amr Hamzawy milde behandelt: Dass Mubarak eine Familiendynastie wie in Syrien und Libyen etablieren will und zu diesem Zweck einen potenziellen Gegenkandidaten seines Sohn Gamal durch Repressionen schikanierte, hätte schärfer verurteilt werden können.
In Ägypten spielen die Muslimbrüder trotz offiziellen Verbots als "soziale Bewegung" ein wichtige Rolle. Eine von den Muslimbrüdern abgespaltene Gruppe von radikalen Islamisten war für die Ermordung des früheren Präsidenten Anwar al-Sadats im Jahr 1981 verantwortlich. Auch die Protestbewegung Kifaya ("Jetzt reicht?s"), die von linken, liberalen und islamistischen Aktivisten gegründet wurde, wird durch repressive Maßnahmen des Mubarak-Regimes an der Weiterentwicklung gehindert. Doch trotz Verbots und Repressionen haben die Muslimbrüder an Popularität zugelegt. Als sie bei den Parlamentswahlen 2005 88 von 444 Sitzen gewonnen haben, reagierte das Regime mit Verhaftungen.
Obgleich Ägypten weit von einem demokratischen System westlichen Zuschnitts entfernt ist, gehört es seit 1952 zu den stabilsten im Nahen Osten, so schreiben die Autoren.
Der Irak, der laut neokonservativer Sprachregelung eigentlich zur "Leuchte der Demokratie" in der Arabischen Welt auserkoren war, ist dagegen in Anarchie und Chaos versunken.
Jochen Hippler, Privatdozent am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen, zieht eine eine zwiespältige Bilanz aus dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA samt ihrer "Willigen" gegen den Irak. Einerseits habe sich die Rolle der USA als "dominierende Macht im Irak" weiter deutlich erhöht. Auf der anderen Seite habe das Image der "Hypermacht" durch die Folterungen im Abu Ghraib-Gefängnis und die Durchsetzung von Demokratie durch Gewalt weltweit erheblich gelitten.
Elegant umschreibt der Autor, dass die demokratisch legitimierte irakische Regierung eigentlich nichts zu sagen hat. Die wahren Herren im Irak sind der Oberfehlshaber der US-Streitkräfte und der amerikanische Botschafter, die sich in einem Machtkampf befinden. Die "Souveränität" der irakischen Regierung reicht über die so genannte "Grüne Zone" nicht hinaus, hinter der sich alle verschanzt haben.
Könnte der Irak nicht als Exempel für einen Staat stehen, den man durch Intervention von außen von einem diktatorisch geführten zu einem "failed state" gemacht hat?
Der Beitrag wirkt allerdings etwas veraltet: So wird eine Studie von Anthony Cordesman aus dem Jahr 2005 zitiert, die mit unaktuellen Opferzahlen operiert. Bis heute sind circa 3.180 US-Soldaten gefallen, und die UNO hat für 2006 circa 30.000 tote Iraker gezählt.
Sehr aufschlussreich sind auch die Darstellungen über Syrien und Jordanien. Sollte ersteres einer US-Aggression zum Opfer fallen, käme dies einer Katastrophe für die christlich-muslimisch-jüdische Kultur gleich. Syrien ist das Land, das noch die größte Anzahl von Christen in der Region zählt. Im Gegensatz zur Türkei wurden sie nicht durch Schikanen zur Auswanderung gezwungen. Darüber hinaus hat das Land fast zwei Millionen irakische Flüchtlinge aufgenommen - Jordanien geschätzte 500.000.
Sowohl in Syrien als auch in Jordanien sind die Reformkräfte nach der Machtübernahme durch die Söhne von Hafiz al-Assad und König Hussein nicht auf ihre Kosten gekommen. Die zivilgesellschaftliche Opposition sei durch Bashar al-Assad enttäuscht worden, weil "grundlegende politische Reformen" bisher ausgeblieben seien, so Carmen Becker, Referentin für arabischsprachige Medien im Auswärtigen Amt.
Nicht nur aufgrund seines Ölreichtums ist Saudi-Arabien das wichtigs-te Land der arabischen Welt; es ist die Wiege des Islam. Wer Reformen in diesem Land fordert, befindet sich in einem Dilemma: Selbst der König ist an die Scharia gebunden, denn die offizielle Verfassung Saudi-Arabiens sind der Koran und die prophetische Tradition der Sunna. Der Wahhabismus, die saudische Variante des Islam, ist weder den Sunniten noch den Schiiten zuzurechnen. Könnte nicht die Lösung des islamistischen Terrors in Lande Mohammads zu finden sein? Die Autorin stellt diese Fragen leider nicht.
Zahlreiche Beiträge weisen auf die Lösung des Nahostkonfliktes als Kristallisationspunkt für die gesamte Region hin. Folglich kommt auch dem Beitrag über Palästina eine Schlüsselstellung zu. Herausgeber und Verleger haben wohl aus Gründen der politischen Ausgewogenheit zwei so unterschiedliche Autorinnen wie Susanne Knaul, Korrespondentin der "tageszeitung", und die Wissenschaftlerin Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg verpflichtet. Was letztere über die Geschichte des Friedensprozesses seit 1993, die Wirtschaft und Sozialstruktur schreibt, gehört zum Standard realistischer Berichterstattung über die Besatzungspolitik Israels.
Fazit: Dieses Nachschlagewerk überzeugt durch seine Sachlichkeit und Faktenvielfalt. Es sucht bisher seinesgleichen auf dem deutschen Buchmarkt.
Die Arabischen Staaten.
Palmyra Verlag, Heidelberg 2007; 401 S., 24,90 ¤