KlIMASCHUTZ
Die Union möchte gerne Vorreiter bei den weltweiten Anstrengungen gegen die globale Erwärmung sein. Aber an der Frage der Umsetzung scheiden sich die Geister.
Der Präsident der Europäischen Kommission konnte mit dem Begriff nichts anfangen. "Ozonloch? Ich habe noch kein Ozonloch gesehen", sagte er, als ihn Abgeordnete des Europaparlaments drängten, Brüssel müsse mehr für den Klimaschutz tun. Gerade eineinhalb Jahrzehnte ist das her, und der Chef der europäischen Zentralbehörde hieß Jacques Delors. Seine Ignoranz in Sachen Klimapolitik könnte sich heute kein verantwortlicher EU-Politiker mehr erlauben. Der Schutz der Erdatmosphäre vor schädlichen Treibhausgasen ist zu einem Schwerpunkt der europäischen Umweltpolitik sowie - im Verbund mit Energiefragen - der langfristigen EU-Strategie überhaupt geworden.
Zwischen Delors und dem heutigen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso liegen in dieser Hinsicht nicht nur ein paar Jahre, sondern Welten. In den neunziger Jahren hat die Gemeinschaft den Klimaschutz für sich entdeckt, der bei ihrer Gründung vor 50 Jahren noch kein Thema war wie überhaupt die Umwelt, die erst seit 1973 eine stetig wachsende Rolle in der europäischen Politik spielt.
Im vergangenen Jahrzehnt ist die Union zu einem internationalen Vorreiter in der Klimapolitik geworden, trotz vieler Unzulänglichkeiten und Versäumnisse, die Umweltorganisationen mit gutem Grund bemängeln. Im Januar hat die EU-Kommission vorgeschlagen, Kohlendioxid und andere Klimakiller bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 30 Prozent zu senken. Zur Bedingung macht sie allerdings, dass andere Staaten und Regionen in der Welt mitziehen, namentlich die USA und Asien. Unabhängig von einer angestrebten globalen Vereinbarung will die Kommission, dass Europa einseitig seine emittierten Treibhausgase um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 verringert. Damit hat Europa die Debatte über ein Kioto-Folgeabkommen eröffnet, also für den Zeitraum nach 2012. Bis dahin werden sich die EU-Staaten allerdings noch mächtig anstrengen müssen, um die mittelfristigen Ziele zu erreichen. In Kioto hat sich die Gemeinschaft aus damals noch 15 Mitgliedsländern Ende 1997 verpflichtet, im Zeitraum 2008 bis 2012 den Ausstoß an Treibhausgasen um acht Prozent gegenüber 1990 zu senken. Zwar hält Brüssel den Zielwert insgesamt für erreichbar, doch hinken viele Mitgliedstaaten hinterher. Deutschland liegt in Prognosen knapp unter seinem Soll von 21 Prozent Verringerung. "Es bleibt noch viel zu tun", erklärte der Brüsseler Umweltkommissar Stavros Dimas Ende 2006 angesichts der durchwachsenen Zwischenbilanz. Zum zentralen Instrument im Kampf gegen Treibhausgase hat die EU den Emissionshandel erkoren. Seit Januar 2005 darf eine Reihe energieintensiver Branchen - Kraftwerke ebenso wie Glashütten und Stahl- oder Papierproduzenten - ihre Anlagen nur noch mit Zertifikaten über den Kohlendioxidausstoß betreiben. Diese gratis zugeteilten Zertifikate werden gehandelt, Unternehmen können sich also gleichsam das Recht auf mehr Klimaverschmutzung kaufen. Die Preise dafür aber steigen, wie es die Absicht der Erfinder war, sodass die Senkung des Schadstoffausstoßes immer lukrativer wird. Zudem erlaubt die EU, Projekte in Drittstaaten in den Zertifikatehandel einzubeziehen.
Weil auch das aber schwerlich reichen dürfte, um die Kioto-Verpflichtungen vollends zu erfüllen, denkt die Europäische Kommission über eine Ausweitung des Emissionshandels nach. Schon bald soll der Luftverkehr einbezogen werden - ein Vorhaben, das auf erheblichen Widerstand in mehreren EU-Hauptstädten und erst recht in den USA trifft. Noch umstrittener ist die Idee etwa von Industriekommissar Günter Verheugen, den Emissionshandel auch für Autoabgase zu nutzen. Auf die Vereinigten Staaten richten sich momentan die größten Hoffnungen europäischer Umweltpolitiker. Nicht nur die Kommission macht das weitere Vorgehen vom Verhalten des transatlantischen Partners abhängig. Auch ökologisch gesinnte Abgeordnete im Europäischen Parlament räumen ein, dass die Union sich in der Klimapolitik nicht abkoppeln kann vom Rest der Welt. "Die EU macht Politik für Europa", sagt die SPD-Parlamentarierin Dagmar Roth-Behrendt und beschreibt damit die begrenzte Wirkung dieser Politik. Ihr CDU-Kollege Peter Liese sieht in den USA bereits den Beginn eines Umdenkens. Im Hintergrund schwingt stets die Sorge mit, zu ehrgeizige Klimaziele könnten Europas Industrie um ihre Wettbewerbsfähigkeit bringen und die Produktionsverlagerung in Drittstaaten mit niedrigeren Umweltstandards zwingen. Doch etliche Probleme und Mängel der EU-Klimapolitik sind hausgemacht und wären ohne internationale Vereinbarung zu beheben. Von Plänen für eine Kohlendioxidsteuer, die Autoabgase vermutlich gezielter und wirksamer verringern würde, musste Brüssel wegen des Vetos bei Steuerfragen Abstand nehmen. Auch der motorisierte Individualverkehr, eine Hauptquelle der Klimakiller, sorgt weiter für Ärger: Industrie- und Umweltpolitiker streiten darüber, welche Emissionsvorgaben den Fahrzeugherstellern zuzumuten seien. Die EU, so fürchten manche, droht so den weltweiten Trend zu umweltfreundlicher Technologie zu verschlafen, statt sich an die Spitze zu setzen wie bisher. "Die Dynamik geht verloren", sagt Roth-Behrendt über den EU-Klimaschutz. Womöglich fehlen die Amerikaner den Europäern beim globalen Klimaschutz-Wettbewerb nicht nur als Mitstreiter für die Kioto-Ziele, sondern auch als Ansporn.
Der Autor ist Korrespondent der
"Berliner Zeitung" in Brüssel.