Ausstellung
Bonn und Berlin aus der Sicht dreier Künstler
Ein Zeichner und zwei Fotografen zeigen ihre künstlerischen Arbeiten im Deutschen Bundestag. Arbeiten, die sich den "Räumen der Politik" widmen und genau dort gezeigt werden und diese Räume gleichsam befragen: In welcher Art von Räumen ereignet sich Politik? Wie verhalten sich die Akteure auf den zahlreichen Bühnen der Politik und wie die Zuschauer davor und welche Spuren hinterlassen sie? Der besondere Reiz dieser Befragung liegt in der unterschiedlichen Herangehensweise der Künstler: Oliver Heissner und Lars Peter richten ihren Blick durch das Medium der Fotografie auf die verlassenen Räume der Politik in Bonn, Matthias Beckmann hingegen mit seinen Zeichnungen das parlamentarische Leben im Berliner Reichstagsgebäude.
Matthias Beckmann, 1965 in Arnsberg geboren, konzentriert sich seit Jahren mit dem Mut zum Unzeitgemäßen auf die Zeichnung, genauer auf die Umrisslinie als Instrument seiner Analyse des öffentlichen Raumes. So beobachtet er Exponate und Besucher der MoMA-Ausstellung in Berlin, im Kunstmuseum Bonn oder in anderen Museen und Kirchen, fängt immer wieder Räume, Kunstwerke und Betrachter im Netz seiner Linien ein und setzt sie in Beziehung zueinander.
Seine Zeichnungen erinnern an die Tradition des Künstler-Skizzenbuches, vermitteln also den Eindruck der unmittelbaren Wahrnehmung von Realität, aber nicht als Vorbereitung für eine spätere Ausarbeitung zum Gemälde, sondern allein um den Reiz auszukosten, der aus der spontanen Beobachtung entspringt. Indem Beckmann Situationen und Orten auf Umrisslinien reduziert - er verwendet Film-Techniken wie das Heranzoomen, den jähen Perspektivwechsel oder Schnittfolgen - knüpfen seine Zeichnungen an Trickfilmzeichnungen oder das Genre des Comics an, so zum Beispiel an die berühmte "Ligne claire" des belgischen Zeichners Hergé. Zugleich aber, und das unterscheidet sie wieder von dieser Tradition, lassen sie eine bewusst subjektive, sensible Linienführung erkennen, die den Eindruck einer vor Ort gezeichneten Skizze erweckt und bieten sich zuweilen geradezu als "Line of Beauty and Grace" dar, wie sie William Hogarth 1753 als Ideal forderte.
Sein Liniengefüge ist oft dicht, Hintergrund, Personen oder Binnenzeichnung stehen gleichwertig nebeneinander oder gehen ineinander über, so dass das Auge sich erst zurechtfinden muss, um die in der Zeichnung eingefangene Situation zu erfassen. Selbst vertraute Orte wirken seltsam verfremdet. Die Zeichnungen bewegen sich daher in einem eigentümlichen Zwischenreich von Abstraktion und Gegenständlichkeit. Sie führen immer wieder vor Augen, dass die vermeintliche Wirklichkeit der Bilder nur eine scheinbare ist, eine Abstraktion, die vom Betrachter stets aufs neue transformiert und gedeutet werden muss. So sehen sich auch die Besucher im Bundestag der Herausforderung gegenüber, sich ihren eigenen, auch kritisch-distanzierten Blick auf die Politik zu bewahren - in dem Bewusstsein, dass Politik auch von den großen Ges-ten, den medialen Inszenierungen lebt, also ihrerseits die Kunst der Gestaltung von Bildern praktiziert.
Im Gegensatz zum Zeichner Matthias Beckmann begeben sich die Fotografen Oliver Heissner (geboren 1966 in Konstanz) und Lars Peter (geboren 1964 in Bad Homburg) auf eine "archäologische" Spurensuche in Bonn, scheinbar nur um zu zeigen "wie es eigentlich gewesen" ist. Ihre großformatigen Farbfotografien sind dem klaren und strengen Stil der Düsseldorfer Akademie-Klasse von Bernd und Hilla Becher verpflichtet. Nüchtern und präzise dokumentierend zeigen ihre Fotografien die Orte, an denen nahezu 50 Jahre lang bundesrepublikanische Politik gestaltet wurde, nicht minder engagiert und den Forderungen des Tages verpflichtet als nunmehr in Berlin. Doch jetzt sind die Bühnen leer, die Darsteller und ihr Publikum sind "abgereist", sie hinterlassen offene Türen, leere Kleiderbügel und unordentlich über den Raum verteilte Möbel. Der vergilbte Charme von Neo-Rokoko- und Neo-Biedermeier-Räumen oder die befremdliche Präsenz ausgestopfter Zootiere im Museum König - 1948 trat dort der Parlamentarische Rat zusammen - lassen kühl die Verwaistheit der einstigen Bühnen spüren.
Was aber blieb von den Akteuren, was erinnert noch an einst so lebhaft ausgetragene Kämpfe des Tages? Dieser Rückblick ist von sanfter Melancholie überschattet, gemahnt er doch an die Zeitbedingtheit allen menschlichen Bemühens. Spürbar wird mit diesem Blick zurück aber auch ein Gefühl der Sympathie für jene Zeit des Provisoriums in Bonn, in der Politik sich oft in einem kleinbürgerlichen Habitus gerierte, eine Politik, der jede auftrumpfende Haltung und jede Anmaßung fremd war. Spiegelt sich in diesem so offenkundig bescheidenen Ambiente nicht der Geist einer Zeit wider, der Deutschland nach dem Zivilisationsbruch des "Dritten Reiches" zurück in den Kreis der zivilisierten Völker führte?
Schon diese wenigen Betrachtungen erhellen, wie weit der Blick der Fotografen über ein bloß dokumentarisches Erfassen und Begreifen hinausgeht und zu einer Ergründung unseres politischen Selbstverständnisses anregt.
Auch wenn beide Fotografen ihren je eigenen Blickwinkel haben, so zielen ihre Fragen doch in eine gemeinsame Richtung: In den Fotos von Lars Peter, der ja auch Bühnenbildner ist, steht die Inszenierung von Macht und Politik und ihre Vergänglichkeit im Vordergrund, die sich in kleinen Irritationen, Details der Normalität offenbart.
Bei Oliver Heissner, der auch als Bildhauer ausgebildet ist, wird der Blick auf die Architektur und ihre skulpturale Qualität gelenkt, auf die Befragung der Leere als konstitutives Element von Räumen, durch die hindurch Menschen mit ihren Geschichten gingen - wie in einer Langzeitbelichtung wenig mehr als Schatten hinterlassend, verwischte Spuren ohne deutbare Botschaft. So fordern beide Künstler, hierin der Zielrichtung des Zeichners Matthias Beckmann nicht unähnlich, den Betrachter auf, innezuhalten, seine Sehgewohnheiten und seine Wahrnehmung der Politik und ihrer Akteure zu überdenken.
Auch wenn in Bonn der Vorhang gefallen ist, in Berlin geht das Spiel weiter. Die Regeln erscheinen nur neu und sind im Grunde doch die gleichen geblieben. Wird auch dieser Bühne einst eine melancholische Retrospektive gelten?