Buchtips von Bernward Baule
Rückkehr zur politischen Mitte?
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Demokratie ist ohne Grundkonsens nicht denkbar, ebensowenig aber
auch ohne die Auseinandersetzung um Programme, Konzepte,
Personalien und Strategien. Heiner Geißler ist bekannt als ein
streitbarer Geist, der sich gern mit seinen Gedanken und Argumenten
in die öffentliche Gemengenlage begibt. Er ist ein
Kämpfer, der sich politisch kenntlich macht: mit offenem
Visier. Das wird deutlich auch in seinem jüngsten Buch, in dem
er eine klare Position im politischen Koordinatenkreuz der
Bundesrepublik bezieht. Geißler analysiert die Wahlniederlage
der CDU in der letzten Bundestagswahl. Sie sei verloren gegangen
nicht nur durch den Wechselwunsch der Wähler oder die
Konfrontationsstrategie Lafontaines, sondern ebenso auch durch eine
Reihe strategischer Fehler der eigenen Partei: die Fixierung auf
den Bundeskanzler und das daraus resultierende "geistige Sultanat",
die nichtgelöste Übergabe der Nachfolge, mangelnde
Darstellung der Leistungen der Koalition, Verkrustungen der Partei,
das Scheitern des Bündnisses für Arbeit, das zu weite
Eingehen auf den neoliberalen Kurs der F.D.P. und die verlorene
Sozialstaatsdiskussion. Ihm geht es um die Wiedergewinnung von
Glaubwürdigkeit, Mut zu geistiger Erneuerung, Profilierung des
Charakters der CDU als Volkspartei, die sich nicht auf
"Pragmatismus, Nationalismus und Monetarismus" reduzieren lassen
dürfe.In diesem Zusammenhang konstatiert er eine Reihe von
Schieflagen der CDU, die es wieder ins Gleichgewicht zu bringen
gelte. Dazu gehöre die (Rück)Besinnung auf die
Grundwerte der CDU, eine konsequente Menschenrechtspolitik, eine
tatsächliche soziale Marktwirtschaft, eine den Menschen
achtende Ausländer und Asylpolitik. Vor allem in seiner
argumentativen Verteidigung des bundesdeutschen, "rheinischen"
Modells – Orientierung an Freiheit und Solidarität,
kooperative Strukturen des Interessensausgleichs, Sicherung der
sozialen Risiken durch Arbeitslosen, Kranken und
Rentenversicherung – zeigen sich seine Stärken. Anderes
dagegen wird sicher in der CDU wie in der politischen
Öffentlichkeit kontrovers zu diskutieren sein: seine
Vorstellungen zu einer internationalen Sozialen Marktwirtschaft,
zum Umgang mit der PDS, zur Öffnung der traditionellen
sozialen Sicherungssysteme für Reformen oder zur Frage, was an
neuen Ansätzen von anderen Ländern lernen oder abzulehnen
ist. Geißlers (manchmal etwas holzschnitzartige) Thesen
fordern heraus – in der Zustimmung zu seinen Positionen wie
in der Schärfung von Gegenargumenten. Er will die politische
Auseinandersetzung – und damit den Kampf um die Mitte der
Gesellschaft neu beginnen.
Heiner Geißler: Zeit, das Visier zu
öffnen, Köln 1998,
Kiepenheuer & Witsch, 39,80 DM
Auf Tuchfühlung mit den Bundeskanzlern
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In unserem aufgeklärten 2o. Jahrhundert wissen wir,
daß sich Politik auf Institutionen, Strukturen und Prozesse
bezieht. Doch wie sehr sie zugleich in der politischen
Willensbildung und Gestaltung abhängig ist von den großen
Persönlichkeiten, daß wird an dem Buch von Kempski, dem
Altmeister der politischen Reportage, deutlich. Darin schildert er
auf spannende und farbige Weise die Begegnungen mit den sieben
Bundeskanzlern der Bundesrepublik Deutschland. Obwohl für ihn
Bundeskanzler zu sein "der schrecklichste Beruf" ist, hat er doch
alle begleitet, sei es auf Reisen, im Wahlkampf, auf Konferenzen,
im Interview. Aus diesen Begegnungen, aus den präzisen
Beobachtungen aus der Nähe wie der Distanz, gewinnt Kempski
eine fast intime politische Kenntnis der handelnden Personen. Dabei
kommen die politischen Weichenstellungen in den verschiedenen
Phasen der Bundesrepublik – von der Westbindung bis zur
deutschen Einheit – ebenso zur Sprache wie die
zeitgeschichtlichen Ereignisse und politischen Kontroversen. Jedoch
ist Kempskis Buch keine Darstellung der Bundesrepublik von ihren
Anfängen bis zu Gegenwart, es ist vielmehr ein Geschichtsbuch
der besonderen Art. Denn die bundesdeutsche Geschichte wird
lebendig durch die Personen an ihrer Spitze: ihre Art der
Wahrnehmung der Problemlagen, ihren Umgang mit Menschen, ihrer
Denk und Lebensweise, ihren Rivalitäten und
persönlichen Zuneigungen, ihren Höhen und Tiefen, Siegen
und Niederlagen im Kampf um die politische Macht, ihren Zweifeln
und Festigkeiten in der politischen Willenskraft angesichts der
Herausforderungen der jeweiligen Zeit. Es sind einfühlsahme,
detailgetreue Nahaufnahmen, die sich zu differenzierten, in manchen
Aspekten auch einseitigen Porträts der Bundeskanzler, aber
auch ihrer jeweiligen Gegenspieler und Herausforderer um die
Kanzlerschaft auf eindrucksvolle Art verdichten. Zugleich wird
deutlich, wie sehr sich im Lauf der Zeit das Beziehungsgeflecht
zwischen den Politikern und Journalisten, der Politik und den
Medien zu einer inzwischen fast symbiotischen Form entwickelt hat.
Daß Politiker auch Menschen sind, ist eine immer wieder
strapazierte Binsenweisheit. Doch was personale Begegnungen in der
Politik bedeuten und wie sehr es dabei auch "menschelt", zeigen die
vielen Anekdoten, die Kempski in seinem Buch versammelt. Diese Art
journalistischer Schilderung dessen, wie es in der Politik (auch)
zugeht, eröffnet für viele vielleicht besser als manches
Lehrbuch den Zugang zum Politischen. Eine baldige
Taschenbuchausgabe würde die Verbreitung – gerade auch
bei der jüngeren Generation – sicher fördern.
Hans Ulrich Kempski: Um die Macht.
Sternstunden und sonstige Abenteuer mit den Bonner Bundeskanzlern
1949 bis 1999, Berlin 1999
Alexander Fest Verlag, 48,– DM