Wer ein Buch von Wolf Schneider, Großmeister der deutschen Sprache, bespricht, hat ein Problem: Er muss auf jeden Fall sprachliche Ausrutscher vermeiden, die der Autor in seinem Buch anprangert. Sonst wäre er ein flüchtiger Leser. Wer lässt sich das als Rezensent gerne nachsagen?
Vorweg ein Wort zum Verfasser: Er lebt jetzt im bayerischen Starnberg, bis 1995 leitete er die Hamburger Journalistenschule. Deren Absolventen erinnern sich noch heute an die harte Kritik ihres Chefs, wenn ihre Beiträge ohne sprachliche Eleganz waren.
Zur Sache: Schneider formuliert 44 Rezepte für gutes Deutsch. Er beginnt mit den Problemen der Satzlänge und widerspricht, wie könnte es anders sein, prompt seinen Kollegen, die zu kurzen Sätzen raten. Wie scheußlich die klingen können, belegt er mit einem Hamburger Straßenschild. Darauf steht: "Vor vor dem Rathaus unbefugt abgestellten Kraftfahrzeugen wird gewarnt." Das Gegenbeispiel liefert Schiller in seinem Gedicht "Die Bürgschaft": "Da treibt ihn die Angst, da fasst er sich Mut und wirft sich hinein in die brausende Flut und teilt mit gewaltigen Armen den Strom und ein Gott hat Erbarmen." Der Satz ist 30 Wörter lang, aber ist, so lehrt Schneider, "von Klarheit und Kraft. Denn der Satz bewegt sich linear voran, ohne Schachtel, Ausbuchtung und Girlande, wie ein Pfeil, und das ist es, was einen guten Satz ausmacht."
Der Hamburger Sprachkritiker rät dazu, mit Silben zu geizen. Er erinnert an das Brecht-Zitat: "Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin." So populär wäre Brecht mit diesem Ausspruch wohl nicht geworden, wenn er (Erfindung Schneider) formuliert hätte: "Man stelle sich einen Kriegsschauplatz vor, auf dem in Ermangelung von Teilnehmern kriegerische Handlungen gar nicht hätten stattfinden können."
Ein anderes Rezept lautet: Verben benutzen! Abgeraten wird jedoch von falsch verwendeten Modewörtern wie generieren, inplementieren, fokussieren und operationalisieren. Wer sich an den Deutschunterricht erinnert, der weiß: Der Lehrer schreibt ein "W" an den Rand des Aufsatzes, wenn ein Wort zu häufig wiederholt wird. Doch Schneider warnt davor, den Wechsel im Ausdruck zu einem Dogma zu machen. Ein Beispiel: Wer den Wind meint, sollte ihn auch so nennen und nicht bei der zweiten Erwähnung von einem "mittelstarken Naturgebläse" sprechen.
Kritik muss auch die Deutsche Presseagentur (dpa) einstecken, die aus jeder Wahl einen Urnengang macht. Urnengänge finden - wenn überhaupt - auf Friedhöfen statt, lehrt Schneider. Aber: Ist das Wort Urne in der deutschen Sprache nicht mehrfach besetzt? Der Sprachgelehrte zitiert Hermann Unterstöber. Dieser verspottete in der "Süddeutschen Zeitung" einen Kollegen, der die Weihnachtsbäume bei der zweiten Nennung als "nadelige Gesellen aus unseren heimischen Wäldern" vorgestellt hatte.
Den Wissenschaftlern sollten wir, so rät Schneider, auf die Pelle rücken. Wir sollten Aktenstaub wegblasen, Anglizismen sortieren und manchmal sogar übersetzen. Leicht gesagt, aber wie und wer? Die ersten, denen diese Aufgabe zufiele, sind sicherlich Journalisten. Sie können aber nur die mit Fachausdrücken gespickte Sprache eines Naturforschers übersetzen und allgemein verständlich machen, wenn sie selbst etwas vom Forschungsgegenstand verstehen. Dass bei der Rückkehr der "Discovery" aus dem Weltraum im August 2005 nicht Journalisten, sondern Astronauten die Gefühle ihrer Kollegen kommentierten, sei eine richtige Entscheidung der Rundfunkanstalten gewesen.
Schneider hat ein lehrreiches und zugleich amüsantes Buch geschrieben. Zuweilen, so belegt er, kann eine Drucksache des Bundesrates zur Käfighaltung von Legehennen aus dem Jahr 2003 sogar zum Schmunzeln verleiten: "Hinsichtlich der Gestaltung der Haltungsumgebung ist zu berücksichtigen, dass das Huhn aus ethologischer Sicht (seiner Verhaltungsweise) ein sozial- und territorial lebender Scharr- und Plattervogel mit klar strukturierter Rangordnung ist, dessen wichtigste Fortbewegungsmittel die Beine sind."
Eine alte Frage lautet: Soll man schreiben, wie man spricht? Goethe und Lessing meinten: "Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön." Alles in allem ein Buch, das unterhaltsam für gutes Deutsch wirbt und deswegen viele Leser finden sollte.
Wolf Schneider
Deutsch! Das Handbuch für attraktive Texte.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2005; 316 S., 19,90 Euro