Selten war ein Wahlsieg knapper als der Romano Prodis über Silvio Berlusconi in den Parlamentswahlen im April. Am Ende gaben ganze 24.755 Stimmen den Ausschlag zugunsten der Mitte-Links-Koalition. Im Senat erreichte die Koalition der Rechten unter Berlusconi sogar 50,2 Prozent der Stimmen (gegenüber 48,9 Prozent für die Linken) und verlor nur durch das überraschende Abstimmungsverhalten der Italiener im Ausland. Tatsächlich war es nur dem neuen, von Berlusconi selbst zu verantwortenden Verhältniswahlrecht zu danken, dass Romano Prodi am Ende in beiden Kammern über eine Mehrheit verfügen konnte. Während das Ergebnis in der Abgeordnetenkammer dank Mehrheitsprämie eine solide Mehrheit von 348 Abgeordneten der Union gegen 281 für das Haus der Freiheiten ergab, erreichte die Linke im Senat mit den vier im Ausland gewählten Senatoren nur eine Überzahl von zwei Sitzen, kann im Notfall aber auch auf den Beistand der meisten unter den sieben Senatoren auf Lebenszeit rechnen.
In den Wochen nach der Wahl warf Berlusconi den Siegern zunächst "Wahlbetrug" vor und forderte eine Korrektur: "Das Ergebnis muss sich ändern!" Bis heute hat er Romano Prodi nicht zu seinem Sieg gratuliert. "Diese Regierung ist ein tot geborenes Kind", gab der gestürzte Ministerpräsident als Parole aus. Auch seine Medien bemühten sich in der Folge, den Eindruck politischer Instabilität zu erwecken.
Die neue Mehrheit erwies sich indes als durchaus handlungsfähig. Bei der Wahl des Parlamentspräsidenten ging trotz heftigen Gegenfeuers am Ende doch alles glatt. Nachdem der Ehrenvorsitzende der Linksdemokraten, Massimo D'Alema (DS), auf eine Kandidatur verzichtete, wurde in der Abgeordnetenkammer der Kommunist Fausto Bertinotti (PRC) gewählt und im Senat der ehemalige christdemokratische Gewerkschafter Franco Marini (Margherita). Als Preis für ihren Verzicht erwarteten die Linksdemokraten indes die Kandidatur D'Alemas für das Amt des Staatspräsidenten. Pikantes Detail dieser Personalpolitik war die Tatsache, dass es gerade die drei genannten, Bertinotti, D'Alema und Marini, waren, die 1998 den Sturz Romano Prodis betrieben hatten. Für diese wenig ruhmreiche Tat sollten sie nun belohnt werden, wohl auch, um ihr Störpotenzial in der Koalition zu neutralisieren.
In beiden Kammern bildeten die Abgeordneten der Linksdemokraten erstmals gemeinsame Fraktionen mit der Margherita. Für die Zukunft ist eine Verschmelzung der beiden größten Koalitionsparteien zu einer "Demokratischen Union" angedacht. Um die geplante Selbstauflösung im eigenen Lager zu vermitteln, ist Parteichef Piero Fassino (DS) nach einem eher schwachen Wahlergebnis nun aber gezwungen, endlich Erfolge vorzuweisen. Die Gelegenheit dazu bot vor allem die Wahl des neuen Staatspräsidenten, bei der die Linksdemokraten endlich zum Zuge kommen wollten.
Unmittelbar nach der Parlamentswahl hatte Silvio Berlusconi das höchste Staatsamt noch für sich selbst in Anspruch nehmen wollen, als Kompensation für eine große Koalition mit Romano Prodi als Regierungschef und wohl auch als Rückversicherung gegen weitere Unbill mit der Justiz. Wie berechtigt die Befürchtungen des Medienmoguls in dieser Hinsicht sein mögen, bestätigte der Prozess gegen seinen ehemaligen Anwalt und Verteidigungsminister Cesare Previti, der Anfang Mai in letzter Instanz wegen Richterbestechung zu sechs Jahren Haft verurteilt und erst nach einer Woche im römischen Gefängnis Rebibbia in den Hausarrest entlassen wurde.
Sein Chef und Auftraggeber Berlusconi, dessen Verfahren nur dank der von ihm selbst betriebenen Strafrechtsreform niedergeschlagen wurde, zielt daher zurzeit auf die Delegitimierung sämtlicher staatlichen Ins-titutionen, um allein durch den Druck der Straße alle eventuell gegen ihn oder seine Unternehmen gerichteten Maßnahmen präventiv abwehren zu können. Eine erste Andeutung derartiger Absichten wagte kurz nach seiner Wahl der neue Kammerpräsident Bertinotti, der in einem Interview erklärte, die Senderfamilie des Ex-Premiers müsse "abspecken". Dennoch ist kaum zu befürchten, dass für den Jahrzehnte lang in seiner Monopolstellung immer nur geförderten Medienkonzern tatsächlich andere Zeiten anbrechen werden, da sich sofort zahlreiche Parlamentarier aller Couleur fanden, die dem Unternehmen ihre Solidarität versicherten.
Die Verteidigung seiner Interessen ist daher der ers-te Imperativ Berlusconis, der dadurch praktisch gezwungen ist, seine politische Rolle auch als Oppositionsführer weiter zu spielen. Im Vorfeld der Wahl des Staatspräsidenten fand der Polit-Unternehmer es jedoch schwieriger, seine Verbündeten weiter auf das gleiche Ziel zu verpflichten, und besonders die Christdemokraten forderten eine neue kooperative Strategie. Weder Parteichef Pierferdinando Casini (UDC), noch Nationalistenführer Gianfranco Fini (AN) wagten indes eine offene Herausforderung des angeschlagenen Koalitionschefs.
Als Berlusconis Kandidat, sein ehemaliger Staatssekretär Gianni Letta, im ersten Wahlgang etwa 70 Stimmen weniger als erwartet erhielt, wurde die Kandidatur deshalb rasch zurückgezogen, und die Parlamentarier der Freiheitskoalition gaben in der Folge mehrheitlich leere Stimmzettel ab. Um den Parteien der Rechten entgegenzukommen, hatte die Mitte-Links-Koalition inzwischen die Kandidatur D'Alemas fallen lassen und statt dessen mit dem 80-jährigen ehemaligen Kammerpräsidenten und Innenminister Giorgio Napolitano (DS) eine Person von unzweifelhaftem Prestige vorgeschlagen, die auch auf einigen Konsens im rechten Lager hoffen konnte. Andere Kandidaturen wie die des Sozialisten Giuliano Amato, der auch der Freiheitskoalition genehm schien, hatten die Linksdemokraten dagegen abgeblockt.
Dies gab Berlusconi die Gelegenheit, gegen die Auflösungserscheinungen im eigenen Lager erneut die Karte des Antikommunismus zu spielen, indem er erklärte, die Freiheitskoalition werde niemals für einen ehemaligen Kommunisten stimmen. Die Linke versuche den Durchmarsch, um alle Staatsämter untereinander aufzuteilen, hatte er bereits zuvor in einer Wahlkampfveranstaltung gezetert und für diesen Fall sogar mit einem Steuerstreik gedroht.
Durch den Konfrontationskurs Berlusconis war die Mitte-Links-Koalition andererseits gezwungen, ihre Einigkeit erneut unter Beweis zu stellen. Da der Staatspräsident von beiden Kammern in gemeinsamer Sitzung unter Hinzuziehung von 58 Regionalabgeordneten gewählt wird, verfügte die Union in der Versammlung über eine Mehrheit von 541 zu 460 Stimmen. Während die Rechten weiterhin leere Stimmzettel abgaben, wählte die Mitte-Links-Koalition am 10. Mai Giorgio Napolitano im vierten Wahlgang mit 543 Stimmen zum elften Präsidenten der Italienischen Republik. Für die anstehende Regierungsbildung Romano Prodis sind dies ebenfalls günstige Vorzeichen. "Wir haben in kurzer Zeit zahlreiche Probleme gelöst", verkündete der designierte Regierungschef nach der Wahl Napolitanos. Massimo D'Alema wird nun voraussichtlich mit dem Amt des Außenministers zufrieden gestellt werden.