Das war früher ganz anders", stellt Manfred Rommel wenig erfreut fest. Nein, der in langer Amtszeit lebensklug aber nicht besserwisserisch gewordene Stuttgarter Ex-OB beklagt nicht den allgemeinen Werte- und Sittenverfall, über den seit jeher hergezogen wird. Aber dass als Nebenwirkung der immer rigideren Bekämpfung des Alkoholkonsums und der Promillemargen im Straßenverkehr eine "so wichtige Institution wie das Wirtshaus in ein feindseliges Umfeld geraten ist", das bedauert der CDU-Altvordere schon sehr. Denn nun scheiterten "schwächliche Naturen" in der Politik an einem spezifischen "Ausleseverfahren": Zu bestehen war der "Härtetest eines regelmäßigen und mehrstündigen Aufenthalts in der von dem Duft gekochten Sauerkrauts und gebratenen Würsten geschwängerten, von Tabakschwaden durchzogenen, mit Bierdunst erfüllten Luft von Gastwirtschaften". Überdies: "Wo die Wirtshäuser geschlossen werden, erlischt auch die Kultur", ohne Wein und Birnenmost "flattert die Muse davon".
Überaus vergnüglich zu lesen sind solche Passagen in Rommels Essaysammlung. Als Highlights dürfen auch die Ausflüge zur Kultur gelten. Das Theater, deklamiert der Autor, sei "eine Kunstform des Scheins". Einen Schein als Sein auszugeben, komme aber "eher in der Politik vor als im Theater". Wobei Politiker zu Unrecht als Komödianten bezeichnet würden: "Politiker spielen sich selbst", so der Insider, und sie spielten sich dabei so, "wie sie erscheinen möchten". Aber der Verfasser gewinnt dieser Show durchaus Gutes ab: "Wer das ganze Leben seine Rolle als besserer Mensch spielt, der wächst in sie hinein." Rommel mit Ironie: "Ich habe das an mir selbst erlebt."
Geistreich, witzig, tiefsinnig, altersweise und mit leichter Feder geschrieben muten die Texte an, in denen der gewiefte Fahrensmann Politik wie Bürgern den Spiegel vorhält. Auch nach dem Ausscheiden aus den Zirkeln der Macht und trotz seiner Parkinson-Krankheit mischt Rommel politisch und literarisch immer noch mit. Nun ein inhaltlich diversifiziertes Werk: über Staats- und Demokratiebegriff, über verdrossene und larmoyante Bürger, über den Politiker als solchen, über Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Hartz IV, über die Globalisierung, über Umwelt, über Krankheiten und Tod. Rommel hat die in diesem Band versammelten Kurzbeiträge zuvor aus verschiedenen Anlässen zu Papier gebracht. Der Nachteil: Dem Buch fehlt der rote Faden, auch der Titel kommt nicht recht zum Tragen, die Texte sind zwar in Themengruppen geordnet, stehen aber meist einfach so nebeneinander, manchmal wiederholt sich dieser oder jener Gedanke. Der Vorteil: Man kann die in sich schlüssigen Kapitel unabhängig voneinander lesen, mal hie und mal da blättern, nie wird es langweilig.
Dem Politikbetrieb hält der CDU-Mann vor: "Selten wird etwas zu Ende gedacht." Und er geißelt "die Neigung, unbequeme, aber nützliche Entscheidungen zu verschieben". Freilich verteidigt der Verfasser die Politiker gegen den Vorwurf, das seien allesamt Spitzbuben. Und es ist das heutzutage fast mutige Plädoyer zu lesen, man müsse Politiker "ordentlich bezahlen und versorgen". Die Forderung nach dem "gläsernen Politiker" wird sarkastisch mit dem Hinweis kommentiert, "dass es am durchsichtigsten dort ist, wo nichts ist".
Auf die Nerven zu gehen scheinen dem Autor jene Zeitgenossen, die angesichts wirtschaftlicher und sozialer Probleme nun nur noch verdrossen sind: "Wer sich einmal zum Skeptiker und Pessimisten erzogen hat, findet überall ein Haar in der Suppe." Diesen Leuten rät er: "Bleiben Sie fröhlich, entwickeln und pflegen Sie die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können." Rommel nimmt auch die Politik nicht übertrieben ernst, wobei er seine Person nicht ausspart. Das macht die Lektüre angenehm.
Manfred Rommel: Vom Schlaraffenland ins Jammertal? Hohenheim Verlag, Stuttgart 2006; 286 S., 19,90 Euro.