Schnell ordnet er noch ein paar Papiere, gibt seinem Mitarbeiter eine Notiz, führt kurz ein Telefonat. Deutet an: gleich. Vor ihm, auf seinem Schreibtisch steht ein Hamsterrad aus gelbem Plastik. "Wenn man daran dreht, weiß man, wie es manchmal in der Politik zugeht", sagt Hans-Joachim Otto, streift sich ein dunkles Sakko über und zieht die Manschetten mit goldenen Knöpfen gerade. Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien hat anstrengende Tage hinter sich. Otto ist einer der Kläger gegen die Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten und hat noch einen zweiten Beruf: Er arbeitet als Rechtsanwalt und Notar, ist selbstständiger Partner in einer Frankfurter Sozietät. "Ich bin für Transparenz, aber nicht für eine, die bloß Neugier befriedigt. Diese neue Regel deckt keine politischen Einflussnahmen auf", sagt er streng, und fragt dann: "Wollen wir in Zukunft ein Parlament, das vor allem von Beamten dominiert ist? Oder wollen wir unabhängige Politiker?"
Otto, der mit seiner Frau zwei Töchter hat, ist selbst sein bestes Beispiel. Nach dem Ende seiner ersten Legislaturperiode im Bundestag 1994 schaffte er es zunächst nicht wieder auf einen sicheren Listenplatz der hessischen Liberalen. "Damit konnte ich gut umgehen. Ich hatte ja nach wie vor meinen Beruf", erinnert er sich. 1998 klappte es dann. Aber: "Die wichtigen Anregungen für die Gestaltung von Politik bekomme ich nicht aus der Politik. Die erfahre ich aus der Tätigkeit als Anwalt", sagt er und fächert dann die juristischen Möglichkeiten im Skandalfall Waldschlösschenbrücke auf. Spricht darüber, wie der Bund das Land Sachsen und die Kommune Dresden zu einem Kompromiss bringen kann - oder besser muss, damit die Unesco Dresden nicht den Titel Weltkulturerbe aberkennt. "Muss es denn diese Brücke sein?", fragt Otto und sagt dann entschieden: "An der Halsstarrigkeit eines einzelnen Ministerpräsidenten kann die Entscheidung ja wohl nicht scheitern!"
Für Otto ist Kultur kein Statussymbol, das man fährt wie einen Mercedes, den man dann verkauft, wenn es sich anschickt, Marke, Mode und Ansicht gerade mal wieder zu wechseln. Für Otto bedeutet Kultur mehr. Sie wirkt in die Tiefe der Gesellschaft, trägt sie. "Wenn eine Gesellschaft die Kultur aufgibt, wird sie auch wirtschaftlich und zivilgesellschaftlich den Bach runter gehen", sagt er ernst und rechnet vor, dass der Bund in den vergangenen drei Jahren die Zuschüsse für die Kultur von 8,3 Milliarden Euro pro Jahr auf 7, 8 Milliarden gesenkt hat. Mittlerweile werde für das öffentlich-rechtliche Programm von ARD und ZDF mehr ausgegeben. Eine Schieflage? "Absolut." Seine Konsequenz: Er will, dass die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert wird. Als Ziel nennt er nicht nur die gängigen Beispiele, die Kenntnis von Literatur, Kunst und Musik, sondern auch das Megathema Integration. Diese werde nur funktionieren, wenn eine Gesellschaft ihre eigenen kulturellen Wurzeln kennt. Für ihn gehört dazu auch, wie Menschen miteinander umgehen.
Und kreative Freiräume? "Die muss man sich nehmen", meint Otto und lächelt. Nur kurz deutet er noch mal in Richtung Hamsterrad. Otto besucht häufig Ausstellungseröffnungen, zählt die klassischen Festspiele dieses Sommers auf. Doch dann hält er inne, lehnt sich vor, gibt mit dem Fuß den Takt vor und man weiß, es geht plötzlich nicht mehr um Politik, sondern um Gefühl, Erinnerung, Prägung. "Ich bin Genesis-Fan. Spätestens mit Carpet Crawler ist die Band im Olymp der Popgeschichte angekommen", schwärmt er und die Augenblicke danach formuliert er nur noch Sätze mit Superlativen, die mit "wahnsinnig", "irre" und "wunderbar" beginnen. Otto hatte als Jugendlicher selbst Gitarre gespielt.
Dann klingelt das Handy. Der nächste Termin drängt.
Doch eins ist dem Kulturpolitiker noch wichtig, nachdem er schon aufgestanden ist: Die Stimmung im Land verändere sich. Städte wie Hamburg und Frankfurt erlebten eine große Renaissance des Mäzenatentums. Ein guter Anfang, findet Otto: "Jetzt muss nur noch die Politik das Signal setzen und die Kultur ins Grundgesetz aufnehmen."