Die Zentralen für politische Bildung sind in die Jahre gekommen und tun gut daran, ihre Arbeit zu bilanzieren. Es war ein überragender und weiser Beschluss, diese nach dem unseligen Zweiten Weltkrieg einzurichten. Die Entwicklungen im Bund und in den Ländern liefen - auch in chronologischer Sicht - nicht ganz parallel, aber im Lauf der Jahre entstanden in allen Bundesländern Landeszentralen für politische Bildung. Zum Glück gibt es sie auch in den neuen Bundesländern.
Doch die aktuelle Momentaufnahme macht Sorgen. In einigen Ländern ist das Firmenschild "Landeszentrale für politische Bildung" kaum mehr berechtigt, wenn man die Infrastruktur der Einrichtung genauer unter die Lupe nimmt. Sicher, wer die großen Finanznöte im Bund, in allen Ländern und auch in den Kommunen nicht sieht, gehört zu den Träumern, die auch in der politischen Bildung eher Schaden anrichten. Jeder, der sparen muss - das gilt auch für den privaten Bereich -, trennt sich von dem, was am ehesten entbehrlich ist. Wenn ich im Jahr nicht drei oder vier, sondern nur zwei Urlaubsreisen machen kann, geht davon die Welt nicht unter.
Doch wird die Sache schwierig, wenn es um existenzielle Fragen geht. Ich behaupte mit fester Überzeugung: Politische Bildung ist kein Luxusgut, auf das man in Sparzeiten verzichten kann. Ohne politische Bildung fehlt unserer Demokratie der Sauerstoff zum Atmen. Das Verhängnisvolle in diesem Zusammenhang ist, dass Demokratien selten mit lautem Knall ihren Geist aufgeben. Es handelt sich in der Regel um einen schleichenden, tückischen Prozess, der erst bemerkt wird, wenn es zu spät ist.
Nach 1945 war die nötige Einsicht vorhanden. Politische Bildung war damals nicht nur eine Auflage der Besatzungsmächte, sondern entsprang zumindest in manchen Bereichen auch bürgerschaftlicher Initiative. Politikwissenschaftler wie Arnold Bergsträsser und Theodor Eschenburg waren sich nicht zu schade, für politische Bildung zu werben und Vereine zur politischen Bildung zu gründen. Sie haben es erreicht, dass in der baden-württembergischen Landesverfassung der Satz steht: "In allen Schulen ist Gemeinschaftskunde ordentliches Lehrfach."
Auf diese Vereine können wir heute noch stolz sein. Aber sie waren im Lauf der Jahre zunehmend überfordert, politische Bildung, wie es notwendig war, im breiten Stil zu betreiben. Darum war es wichtig, neben dem Schulfach Sozial- bzw. Gemeinschaftskunde Einrichtungen zu schaffen, die im außerschulischen Bereich politische Bildungsangebote unterbreiten konnten. Bedeutsam war in diesem Zusammenhang die Errichtung der Bundeszentrale für politische Bildung (zuerst, in Anknüpfung an die Weimarer Institution, "für Heimatdienst"), die auch schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat. Es war Normalität, dass es in jedem Land eine Landeszentrale und im Bund eine Bundeszentrale gab. Die Rahmenbedingungen waren und sind je nach Land unterschiedlich, aber das Ziel "Stärkung unserer Demokratie" war das einigende Band aller Landeszentralen.
Es gibt keine empirisch gesicherte Datenbasis über die Leistungen politischer Bildung im öffentlichen Auftrag in Deutschland. Denn auch mit feinsten Instrumenten von Evaluation kann ich die entscheidenden Wirkungen politischer Bildung nicht messen und belegen. Hier sehe ich derzeit eine grobe Oberflächlichkeit am Werk: Es wird mancherorts so getan, als seien wir Wirtschaftsbetriebe, wo Input und Output eindeutig messbar seien. Bei dieser Betrachtung schneiden wir schlecht ab, ja, müssen wir schlecht abschneiden. Denn wir können nur selten ein Damaskus-Erlebnis registrieren. Einmal in 27 Jahren hatte ich den Eindruck, dass es mir gelungen ist, einen für Neonazismus anfälligen Menschen auf den demokratischen Pfad der Tugend zu führen. Das wäre eine sehr magere Bilanz.
Wir müssen uns damit abfinden, dass es keine Wirkungsgewissheiten geben kann. Wir haben aber eine Fülle von Indizien, die uns zumindest in die Nähe von Gewissheiten bringen. Jeder, der engagiert bei der Sache ist, kann die Erfolge der Arbeit fast mit Händen greifen. Was politische Bildung leistet, liegt jenseits und über jeder betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung. Für mich steht es zweifelsfrei fest, dass die Zentralen insgesamt einen enormen Beitrag zur politischen Kultur unseres Landes geleistet haben. Ohne diese Arbeit gäbe es weniger demokratische Substanz in unserem Land. Wer weiß nicht, wie viel politische Literatur den Zentralen fast aus den Händen gerissen wird, wie viele Tagungen überbucht waren und sind, wie viele begeisterte Dankesbriefe nach erfolgreichen Aktionen politischer Bildung geschrieben wurden.
Nehmen wir beispielsweise nur den wichtigen Bereich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit Neonazis. Die Reputation, die sich Deutschland in Europa und der Welt durch die offene und gründliche Befassung mit seiner schwierigen Vergangenheit erworben hat, geht in hohem Maße auf die Arbeit der Zentralen zurück. Hier gab es einen Konsens, der hervorragende Ergebnisse zeigte.
In den vergangenen 50 Jahren habe ich niemals Fälle von Bedeutung erlebt, wo Maßnahmen politischer Bildung in Zweifel gezogen worden wären oder gar Schaden angerichtet hätten. Die Wertschätzung war stets vorhanden, und in vielen Sonntagsreden ist die Arbeit für die Demokratie immer wieder gewürdigt worden. Aber es ist wie im normalen Leben: Freunde erkennt man in der Not. Die Wertschätzung politischer Bildung zeigt sich in der Krise.
Bisweilen wird unsere Arbeit für die Demokratie als Lobbyismus betrachtet, als Spezialhandwerk, für das sich einige wenige interessieren, die ihre Freude daran haben. Was für ein krasses Missverständnis. Geht aber der demokratische Geist in einer Gesellschaft zurück, dann ist alles andere, was sonst geschieht, nicht viel wert. Die Demokratie bedarf nachhaltiger Pflege. In der Tagespolitik kommt diese Pflege oft zu kurz. Darum ist es geradezu notwendig, Einrichtungen mit einem klaren Auftrag der Demokratiepflege zu schaffen und zu erhalten.
Manche sagen heute: Die institutionalisierte politische Bildung hat ihr Werk vollbracht. Sie hat nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Sinn gehabt. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war wichtig und sinnvoll. Mittlerweile ist aber die politische Kultur nach 50 Jahren gefestigt, jetzt können wir mit unseren Anstrengungen nachlassen oder sie gar einstellen. Was auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag, erweist sich schon beim zweiten Hinsehen als oberflächlich und unbegründet. Sicherlich spielt die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht mehr die tragende und herausragende Rolle bei der Begründung politischer Bildung, aber wer wagte schon zu behaupten: Unsere Demokratie ist krisenfest, sie kann alle Stürme ertragen.
Auch heutzutage wird kein Mensch als Demokrat geboren. Wer in der Wiege liegt, liegt da schon mit voller Menschenwürde, aber die demokratischen Weihen muss er sich noch nach und nach erwerben. Und diese Arbeit ist meist ein lebenslanger, nie abgeschlossener Prozess, der ohne ein Mindestmaß an politischer Bildung nicht gelingen kann. Dazu kommt, dass der Demokratie bei uns und weltweit der Wind heftig ins Gesicht bläst. Ich rechne mich nicht zu den Katastrophen-Didaktikern, die den Leuten mit Ängsten die politische Bildung einbläuen wollen, ich nehme aber sehr ernst, wie z.B. Ralf Dahrendorf die aktuelle Lage analysiert. In seiner Schrift "Auf der Suche nach einer neuen Ordnung", die im vergangenen Jahr erschienen ist, konstatiert er einen Trend weg von Demokratien hin zu autoritären Systemen. Im Einzelnen stellt er einen möglichen schleichenden Verfall von Recht und Ordnung fest.
Ich finde es erstaunlich, dass der Liberale Dahrendorf von der Notwendigkeit von Ligaturen redet. Er kritisiert die Philosophie des "Anything goes", also der grundsätzlichen Beliebigkeit aller Optionen, und betont: "Wenn alles gleich gültig wird, ist auch alles gleichgültig." Wir brauchen Ligaturen, d.h. tiefe Bindungen, ob sie von der Religion, philosophischen Ansätzen, Institutionen oder Familien stammen. Ralf Dahrendorf: "Weniges ist schlimmer als die Beliebigkeit der haltlosen Welt, denn der Weg von der Anomie zur Tyrannei ist kurz."
Die Punkte der Dahrendorf'schen Analyse verdienen es, auch in der politischen Bildung breit diskutiert zu werden:
Mich hat schon immer irritiert, dass die Mehrzahl der Deutschen den Wert unserer Demokratie in erster Linie an den wirtschaftlichen Wohlstand koppelt. Kommt es zu echten Problemen, können immer wieder politische Rattenfänger Nutzen aus der Lage ziehen. Die Demokratien in den angelsächsischen Ländern sind gefestigter: Dort sagen die Leute, wir haben zwar wirtschaftliche Probleme, aber wir leben in Demokratie und Freiheit. Bei uns heißt die Lesart: Wir haben wirtschaftliche Probleme, also kann es mit unserer Demokratie nicht weit her sein.
Diese problematische Einstellung lässt sich nur mit politischer Bildung bekämpfen und vielleicht verändern. Es ist Besorgnis erregend, dass nach einer Untersuchung von Werner Patzelt nur 50 Prozent der Deutschen glauben, mit der gegenwärtigen Demokratie ließen sich Deutschlands Probleme lösen. Ich glaube nicht, dass ich das demokratiegefährdende Potenzial überzeichne. Wenn wir es ernst nehmen, müssen wir einräumen, dass politische Bildung eine Möglichkeit ist, damit produktiv fertig zu werden. Nur mit politischer Bildung gelingt der Umschwung von der Schlafwagen- zur Bürgergesellschaft. "Wir sind das Volk" war die Parole von 1989, die dem Kern des demokratischen Gedankens entspringt. Dieses Bewusstsein muss durch politische Bildung (neu) aufgebaut werden. Das ist eine gewaltige Herausforderung.
Es ist eine Kernaufgabe politischer Bildung, unserer demokratischen Ordnung etwas mehr Strahlkraft zu verleihen. Die Stärken unserer Demokratie sind ja leider den Sinnen nur schwer zugänglich. Man kann sie nicht kosten, nicht schmecken, nicht unmittelbar spüren. Das ist ein echtes Problem. Die Demokratie zeigt eine oft wenig repräsentable Außenseite: eine komplizierte Verfassung, eine Vielfalt kaum überschaubarerInstitutionen, eine Vielzahl von Regelungen und Verfahren. Da wird es einem nicht gerade warm ums Herz. Und doch hat das meiste davoneinen Sinn, der allerdings nur durch politische Bildung erschlossen werden kann. So betreiben wir im besten Sinn Imagepflege für unsere Demokratie.
Ich möchte nicht Unebenheiten, die es natürlich gibt, glatt bügeln und die Harmonie zur Grundtugend der Demokratie machen. Nein, Konflikt und Streit gehören zum Wesen demokratischer Ordnung. Es ist ein Jammer, wenn am - viel zitierten - deutschen Stammtisch, aber auch in so manchen Kommentaren in den Medien, darüber geklagt wird, dass sich die Parteien in wichtigen Fragen wieder einmal in den Haaren liegen, und das Parlament leichtfertig als Schwatzbude denunziert wird; Weimar lässt grüßen. Aber politischer Streit muss so sein, weil nur im Ringen um die beste Lösung Fortschritte erzielt werden können. Wer in Seminaren von Landeszentralen solche Konflikte selbst schon durchgespielt hat, schüttelt nicht so schnell den Kopf, wenn im Bundestag wieder einmal so richtig gestritten wird. Nur im Streit bewährt sich Demokratie.
Die schwierige Regierungsform Demokratie braucht, insbesondere in der ausufernden Informationsgesellschaft, eine Helferin, eine Interpretin und Unterstützerin. Man kann schlicht und einfach sagen: Demokratie braucht politische Bildung. Wenn man diesen Zusammenhang begriffen hat, dann führen die vielen ungelösten Probleme, unappetitlichen Affären und menschlichen Unzulänglichkeiten nicht zum Klagegeschrei über die Demokratie. Ich empfinde es - wie viele andere - als ein Riesenglück, dass ich in meinem Leben mitBewusstsein nur Demokratie erlebt habe. Aber wir geben dieser Freude zu wenig Ausdruck.
In Zeiten knapper Kassen muss man sich vor allem mit einer Argumentation auseinander setzen, die immer wieder zu hören ist: Braucht man denn so viele Einrichtungen politischer Bildung? Die Bundeszentrale wird bisweilen gegen die Landeszentralen ins Spiel gebracht und umgekehrt. Die freien Träger werden als Stützen der Demokratie gefeiert oder im Hinblick auf die Zentralen kurz gehalten. Den staatlichen Einrichtungen wird abgesprochen, überhaupt wirkungsvoll politische Bildung im Sinne der Zivilgesellschaft betreiben zu können, denn das könnten nur staatsferne, zivilgesellschaftliche Einrichtungen leisten. Alle werden gegeneinander ausgespielt.
Diesem Spiel sollte man sich entziehen. Nimmt man alle Träger zusammen, die in unserer Republik für die Demokratie arbeiten, so sind es in der Gesamtbilanz immer noch zu wenige im Hinblick auf die gewaltige Aufgabe. Darum bin ich für jeden neuen und zusätzlichen Träger politischer Bildung dankbar und betrachte ihn nicht als unliebsame Konkurrenz. Alle, die für das Wohl unserer Demokratie arbeiten und Bürgerinnen und Bürger, Vereine und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zur aktiven Gestaltung in Politik und Gesellschaft befähigen wollen, sind herzlich willkommen. Dazu gehören auch erfreulich viele neue Partnerschaften, insbesondere im Jugendsektor, die helfen können, besonders Jugendliche zu erreichen, die der klassischen politischen Bildungsarbeit mit - nach wie vor unverzichtbaren - Printmedien und Veranstaltungen eher fern stehen. Hier geht es auch um neue Multiplikatoren, die nicht unbedingt in den traditionellen Bildungsinstitutionen zu finden sind, und natürlich um Online-Präsenz. Das Internet ist das Medium der Zivilgesellschaft.
Unsere Gesellschaft, die ja pluralistisch strukturiert ist, braucht aber auch Einrichtungen, die das Ganze abbilden, damit es nicht aus dem Gesichtsfeld entschwindet. Wir machen in unserer Landeszentrale schon seit längerem Befragungsaktionen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer Bildungsveranstaltungen. Was die meisten von ihnen schätzen, ist die Überparteilichkeit, die Vielzahl der gebotenen Standpunkte, die "offenen Fenster", durch die der Wind aus unterschiedlichen Richtungen bläst, das bunte Mosaik, das in den verschiedenen Teilen doch das Ganze zum Ausdruck bringt, sowie die Tatsache, dass politische Bildung der Zentralen keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.
Das sind Urteile von Leuten, die aus guten Gründen das Bildungsangebot der Zentralen für politische Bildung bevorzugen, und zwar in einem solchen Maß, dass die Nachfrage unser Angebot bei weitem übersteigt. Statt aufs Gaspedal müssen wir leider zu oft auf die Bremse treten. Und das in Zeiten, wo die Arbeit zunimmt.
Die Leute, die zu uns kommen, schätzen unsere Arbeit vor allem, weil sie in besonderer Weise dem Beutelsbacher Konsens unterworfen ist. Sie wissen, das Weinstädtchen Beutelsbach liegt nahe bei Stuttgart, sodass wir uns fast als Gralshüter dieses Konsenses fühlen. Die Leute spüren: Politische Bildung im öffentlichen Auftrag ist ein großartiges Angebot, das aber nie überwältigt. Und das Angebot ist nicht langweilig und auch nicht harmoniesüchtig, sondern es ist kontrovers und spannend. Und es ist kein abstraktes, einer Ideologie dienendes Angebot, sondern es ist auf die Menschen bezogen, die zu uns kommen und die rasch entdecken, dass es um Fragen und Probleme geht, die ihnen am Herzen liegen.
Bei allem Respekt vor allen anderen Trägern, denen ich für ihre Arbeit viel Erfolg wünsche: Das Angebot der Zentralen, die nach den beschriebenen Grundsätzen arbeiten, ist weiterhin unverzichtbar. Die Lücke würde keine andere Einrichtung jemals schließen können. Deshalb bedürfen die Zentralen für politische Bildung in schwierigen Zeiten eher des Aufbaus als des Abbaus.