Es ist wieder so weit: Europa wählt seine Vertreterinnen und Vertreter in sein Parlament, und das zum sechsten Mal seit 1979. Das Neue: Es sind Männer und Frauen aus 25, statt aus bisher 15 Ländern. Und so unterschiedlich das "Europa der 15" schon vorher war, wird es verstärkt mit 25 Mitgliedern in Zukunft sein. Umso mehr ist die Intelligenz, die Kommunikationsfähigkeit und das Engagement von Frauen gefragt, um aus unterschiedlichsten Ländern ein geeintes Europa zu formen.
Dazu müssen sie jedoch ausreichend im Europäischen Parlament vertreten sein. Und das sah und sieht so aus: Lediglich 16 Prozent waren es bei der ersten Direktwahl im Jahr 1979, heute sind es 31 Prozent. Aber ob der Aufwärtstrend anhält, wird sich erst nach dem Wahltag am 13. Juni zeigen. Dann nämlich haben 338 Millionen Frauen und Männer aus den 25 EU-Staaten entschieden, wer sie in Brüssel und Straßburg in den nächsten fünf Jahren vertreten wird. Beobachter befürchten ein Absinken dieses Frauenanteils, denn erstens stehen für alle 25 Länder lediglich 732 Mandate, also nur 106 mehr als bisher zur Verfügung, und damit fallen Länder mit hoher Frauenquote wie Frankreich, Skandinavien und Belgien weniger ins Gewicht. Zweitens entfallen auf die neuen Länder fast ein Fünftel aller Sitze, und nur knapp 15 Prozent der derzeitigen 162 "Beobachter" aus diesen Ländern im Parlament sind Frauen.
Deshalb brachte der "Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit" den - im Herbst 2003 verabschiedeten - Antrag ein, dass "die Parteien sich auf eine gemeinsame Politik verständigen und bei den Europawahlen mindestens 30 Prozent Frauen auf ihre Kandidatenliste setzen" sollten. Darüber hinaus sollen die Parteien eine stärkere Mitarbeit von Frauen ermöglichen und die Wahlsysteme diesem Ziel entsprechend anpassen. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, gemäß ihrem Grundsatz der Parität in den Entscheidungsgremien die notwendigen Informationen vor den Wahlen zu lancieren.
Wie also wird sich diese Parität gestalten? Beispiel Polen: Das größte Beitrittsland mit 38,6 Millionen Einwohnern verzeichnet mit 54 zukünftigen Parlamentariern neun Frauen, das entspricht gerade 16,6 Prozent. 27 aller Beobachter gehören den Sozialdemokraten, 13 den Christdemokraten an. Somit verzeichnet Polen als einziges Land im EP mehr Sozialdemokraten als Christdemokraten. Die Polen insgesamt hatten zu 77,5 Prozent für den EU-Beitritt gestimmt, obwohl ein strenges Abtreibungsrecht und eine extrem hohe Arbeitslosigkeit besondere Probleme für den Beitritt darstellen. Als EU-Kommissarin schickt Deutschlands Nachbar Danuta Hübner nach Brüssel. Sie berichtet stolz, dass ihr Land als eine Voraussetzung für den EU-Beitritt "schon alle Gleichstellungsvorschriften in nationales Recht umgesetzt hat".
Als einziges Beitrittsland kann Lettland eine Frau als Staatspräsidentin vorweisen: Vaira Vike-Freiberga. Und auch das Beispiel der bisherigen Beobachterin im Europäischen Parlament, Liene Liepina, zeigt den Werdegang einer Frau, die an vorderster Front für die Integration ihres Landes in die Europäische Union kämpft: Ihre Großeltern sind 1944 vor den Russen geflohen, ihre Eltern nach Deutschland "in die Freiheit" gekommen. "Schon früher hatte das 2,3 Millionen-Volk der Letten eine gute Beziehung zum Westen, deshalb stimmten 67 Prozent für den Beitritt", sagt sie. Große Teile der russischen Bevölkerung votierten allerdings gegen einen Beitritt. Auch Lettland wird mit einer Kommissarin in Brüssel vertreten sein, zuständig für Landwirtschaft und Fischerei. Ihr Name: Sandra Kalniete.
Hinsichtlich der EU-Erweiterung im Jahre 2001 hat Tschechien den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmerinnen eingeführt. Das Land schickt vier Parteien ins Rennen. Die kleinste, die der Christdemokraten, hat eine Frau auf dem Spitzenplatz ihrer Liste stehen: Zuzana Roithova. Andere tschechische Parteien bringen ihre weiblichen Kandidatinnen zwischen Platz fünf und 18 oder auf noch aussichtsloseren Positionen ins Feld. Mit 24 hat Tschechien bisher die zweitgrößte Gruppe der Beobachter im Parlament.
Ebenso viele stellte Ungarn. Etwa 150 Frauenorganisationen setzen sich dort für ihre Mitbürgerinnen auf den verschiedensten Ebenen ein. Aber sie haben es schwer - trotz Gleichstellungsministerin Katalin Lévai, die vor wenigen Jahren Ungarns Männer zur Ablehnung der Gewalt in Familien aufgerufen hat. Unter den zwölf Christdemokraten, zehn Sozialdemokraten und zwei Liberalen gibt es nur drei Frauen.
Malta, das südlichste EU-Land, von jeher christlich orientiert, kann mit nur neun Prozent Frauenanteil in seinem nationalen Parlament aufwarten. Die Insel entsendet fünf Beobachter nach Brüssel, darunter aber keine einzige Frau.
In Finnland, bekannt für progressive Frauenpolitik (bereits 1906 bekamen Frauen das aktive und passive Wahlrecht), regiert mit Tanja Halonen nicht nur seit 2000 eine Staatspräsidentin. Auch beeindruckende 44 Prozent der Europaabgeordneten sind weiblich: von den zurzeit noch 16 Abgeordneten sind sieben Frauen. Zur Europawahl 2004 darf es aber lediglich noch 14 Abgeordnete entsenden.
Italien, mit den Römischen Verträgen eines der Ursprungsländer des Europa-Gedankens, ist mit 87 Abgeordneten neben Deutschland, Frankreich und England am stärksten im Europaparlament vertreten. Aber die Frauen sind auch hier derzeit noch deutlich unterrepräsentiert: Zehn müssen sich womöglich gegen 77 männliche Stimmen durchsetzen, wenn es um die "Rechte der Frauen" geht.
Der Bundesrepublik Deutschland bleibt ihre Zahl von 99 Abgeordneten erhalten. 37 von ihnen sind in dieser Legislatur weiblich: 16 von der Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischen Demokraten, 14 von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas, drei von der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke, drei von der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz und eine Parteilose. Ursula Schleicher von der CSU ist überzeugt: "31 Prozent Frauenanteil müssen verteidigt werden. Denn die Männer kämpfen um ihren Besitzstand. Ich bin deshalb dankbar, dass an meiner Stelle für die CSU-Unterfranken wieder eine Frau als Nachfolgerin gesichert ist." Ruth Hieronymi (CDU) vom Bezirk Mittelrhein kandidiert für ihre zweite Legislaturperiode. Ihre Erfahrung: "In politischen Entscheidungsprozessen ist die Rolle der Frauen noch unzureichend. Dennoch sind im Europäischen Parlament mehr Frauen als in den meisten nationalen Parlamenten vertreten. Aber wir müssen den Frauenanteil weiter erhöhen und insbesondere weibliche Abgeordnete aus den neuen Mitgliedsländern dazugewinnen." Die Wahl am 13. Juni wird zeigen, ob die Frauen aus den 25 Ländern in angemessener Zahl im EU-Parlament vertreten sind.
Die Autorin ist freie Journalistin in Bonn.