Wenn am 10. und 13. Juni 2004 die EU-Bürger aufgerufen sind, ein neues Europäisches Parlament zu wählen, wird dies vielen Menschen in den alten Mitgliedstaaten als eine Selbstverständlichkeit erscheinen, der sie mehr oder weniger gern nachkommen. Dabei liegt die erste Direktwahl zum Europaparlament, um die zuvor heftig gerungen worden ist, gerade einmal 25 Jahre zurück: Anfang Juni 1979 hatten 180 Millionen Bürger der damals neun EG-Mitgliedstaaten erstmals die Möglichkeit, die Abgeordneten ihres gemeinsamen Parlaments unmittelbar zu wählen. Am 7. Juni gaben die Dänen, Briten, Iren und Niederländer ihre Stimme ab. Und drei Tage später gingen die Menschen in Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und in der Bundesrepublik Deutschland an die Wahlurnen.
Die Auseinandersetzung um die Direktwahl reicht bis zu den Ursprüngen des Parlaments zurück. Seit den Römischen Verträgen von 1957 verfügen die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft über eine gemeinsame "parlamentarische Versammlung". In ihr treffen Vertreter der nationalen Parlamente der EG-Mitgliedstaaten zusammen.
Die Versammlung fungiert unter anderem als Haushaltsbehörde der drei Gemeinschaften. In den folgenden Jahren erstreitet sie sich immer mehr Rechte und nennt sich seit 1958 selbst "Europäisches Parlament" (EP), obwohl sie nicht direkt gewählt wird und daher keine echte Volksvertretung ist. Offiziell wird die Bezeichnung "Europäisches Parlament" erst durch die am 1. Juli 1987 in Kraft getretene Einheitliche Europäische Akte bestätigt.
Bereits die Römischen Verträge fordern, dass die Abgeordneten des Europaparlaments von den EG-Bürgern in allgemeinen und unmittelbaren Wahlen gewählt werden. Im Mai 1960 verabschieden die Delegierten daher einen Entwurf zur Direktwahl des EP. Doch auf die Zustimmung des Ministerrats warten sie jahrelang vergeblich.
Im März 1969 beschließt das Europaparlament deshalb eine Resolution, in der es sich entrüstet zeigt über die Untätigkeit des Rats und ihn auffordert, "ohne weitere Verzögerung das im Vertrag vorgeschriebene Verfahren auf den Entwurf des Parlaments anzuwenden". Sie verhallt ungehört. Drei Jahre später lässt sich der Präsident des EP ein neues Druckmittel einfallen: Er veröffentlicht ein unabhängiges Gutachten, in dem die Möglichkeit einer Klage gegen den Rat bejaht wird.
Endlich, Mitte Dezember 1974, gibt die Konferenz der Staats- und Regierungschefs der EG-Länder grünes Licht für die Direktwahl. Im September 1976 erlässt der Ministerrat des Gesetz über die allgemeine und unmittelbare Wahl des Europaparlaments. Der Wahltermin wird auf Anfang Juni 1979 festgesetzt.
Kaum ist klar, dass sich die Abgeordneten dem Votum der EG-Bevölkerung stellen müssen, beginnt sich die bis dahin sehr harmonische Stimmung im EP zu verändern. Die Basis will gewonnen werden, und da verhärten sich die Fronten schnell. Die Arbeit verlagert sich vom einzelnen Abgeordneten auf die Fraktionen und Parteizusammenschlüsse, die nun eifrig Rechenschaftsberichte schreiben und Wahlkampfplakate herstellen.
Wahlkampf in und für Europa - auch für die Journalisten ist das eine ganz neue Erfahrung. Schon Monate vor der Wahl ist die Europäische Rundfunkunion dabei, die Sendungen der Wahlnacht zu planen. Einige Teilnehmer berichten, dass es in den vorbereitenden Sitzungen bisweilen chaotisch zugegangen sei. In Brüssel wird ein zentrales Wahlstudio eingerichtet, in dem die Erklärungen der Politiker aus allen neun Ländern zusammenlaufen und simultan übersetzt werden - als Live-Angebot an die nationalen Rundfunk- und Fernsehanstalten.
Unter den deutschen Parteien, die gemeinsam über 78 der 410 Mandate im Europäischen Parlament verfügen, wird die CDU/CSU-Fraktion stärkste Kraft. Sie erhält 49,2 Prozent der Stimmen und damit 40 Sitze. Die SPD erleidet mit 40,8 Prozent geringe Verluste; im EP wird sie durch 34 Abgeordnete vertreten. Die FDP vereinigt 6 Prozent der Wählerstimmen auf sich und entsendet vier Abgeordnete nach Straßburg.
Nicole Alexander