Den wachsamen Augen des Adlers entgeht Ingrid Fischbach nie. Im Büro der Bundestagsabgeordneten sitzt der Stoffvogel auf der Rückenlehne eines Sofas und beobachtet genau, ob die Vorsitzende der Kinderkommission ihren Auftrag auch entschieden wahrnimmt. "Das ist unser Maskottchen", lächelt die CDU-Politikerin. Unter dessen Blick geht Fischbach zu einem Regal und greift nach der "Schatzkammer des Zaren" und anderen Märchenbüchern: "Aus diesen Werken werde ich im Herbst bei den Berliner Märchentagen vorlesen." Die Förderung von Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben bei Kindern gehört zu den Aufgaben, denen sich der nur vierköpfige Ausschuss verschrieben hat. Da will Fischbach persönlich mit gutem Beispiel vorangehen.
Vorrangig dreht es sich bei der Arbeit dieses einem breiten Publikum kaum bekannten Gremiums natürlich um Politik. Bei Hearings, ein Beispiel, wird die Gesundheitsversorgung von Kindern erörtert: Als Erfolg diverser Initiativen zu diesem Thema verbucht es die Parlamentarierin, dass die "Kiko", wie die Kommission im Polit-Jargon abgekürzt wird, im Arzneimittelrecht eine bessere Prüfung von Medikamenten auf Kindertauglichkeit habe verankern können. Und dass Autofirmen an ihren Fahrzeugen auf "Bullenfänger" verzichten wollen, die als gefährlich für die Kleinen gelten, rechnet die CDU-Frau auch dem Drängen ihres Ausschusses zu.
Gleichwohl: Richtig handfeste politische Siege sind nur schwer dingfest zu machen. Fischbach: "Spektakuläre Knaller können wir nicht präsentieren." Die Vorsitzende spricht von einem "eher indirekten Einfluss", vom steten Bemühen um eine stärkere Sensibilisierung der Kollegen im Bundestag und der Ministerien wie der Öffentlichkeit für die Belange von Kindern. Das Dilemma: Die Kommission hat kein Antragsrecht in der Volksvertretung, man kann Resolutionen verabschieden, kann mit so genannten Beschlussempfehlungen zu Gesetzesvorlagen Stellung nehmen - aber das hat eben keine politisch-juristische Verbindlichkeit. Über die Einführung eines Antragsrechts für die "Kiko", also eines zentralen Hebels im parlamentarischen Betrieb, "sollte man mal nachdenken", meint Fischbach. Aber jenseits formeller Strukturen und Kompetenzen kann man ja eigene Aktivitäten entfalten. So machten beim Ausschuss eingehende Emails die Abgeordneten darauf aufmerksam, dass Kordeln an Anoraks Verletzungsrisiken für Kinder in sich bergen: Man wurde in dieser Frage bei den Produzenten vorstellig, und die sagten eine Lösung des Problems zu.
Die Kinderkommission, die sich um die Interessen des Nachwuchses bis zum Alter von 14 Jahren kümmert, fällt aus dem Rahmen des politischen Alltags im Bundestag. Gerade mal vier Parlamentarier sitzen in diesem Unterausschuss des Familienausschusses, die Fraktionen entsenden ihre jeweiligen Kinderbeauftragten: Neben Fischbach sind dies Marlene Rupprecht für die SPD, Ekin Deligöz für die Grünen und Klaus Mann für die FDP. Die Vierertruppe wechselt sich im Vorsitz ab. Alle Beschlüsse müssen einstimmig gefasst werden, "das ist so eine Art permanente Große Koalition", merkt die Vorsitzende mit leichter Ironie an. Der Zwang zum Konsens führt zu intensiven Diskussionen und gemeinsam getragenen Vorschlägen, bringt aber auch Komplikationen mit sich: Driften die politischen Konzepte bei einem Thema weit auseinander, so wird ein einvernehmliches Vorgehen schwierig. Die Kinderarmut ist so ein Beispiel: Strategien zu deren Bekämpfung spielen zwangsläufig in die Steuer-, Sozial- und Familienpolitik hinein, und da haben die Parteien recht unterschiedliche, wenn nicht gar gegensätzliche Positionen.
Im Parlament selbst sieht das Mini-Team seine wichtigste Aufgabe darin, bei bundesrechtlichen Vorschriften die Auswirkungen auf Kinder zu überprüfen und Änderungsvorschläge zu machen. Der Kommission fiel etwa auf, dass bei der Berechnung der Fallpauschalen, mit denen die Kassen den Kliniken ihre Leistungen vergüten, kindspezifische Aspekte außer acht gelassen worden waren: Beispielsweise können die Kleinen anders als Erwachsene in einem Krankenhaus nicht allein über die Flure zur Röntgenabteilung geschickt werden, sondern benötigen eine Begleitung durchs Personal - was dann bei der Klinik als Kostenfaktor zu Buche schlägt. Aufsehenerregend sind solche Details wahrlich nicht. Fischbach: "Es sind eben die vielen kleinen Dinge, die unsere Arbeit ausmachen."
Wer sich mit Kinderpolitik befasst, engagiert sich zwangsläufig auch für eine gute Bildung und für eine ausreichende Betreuung des Nachwuchses im Vorschulalter: Da vermag ein Bundestagsausschuss freilich kaum Einfluss zu nehmen, diese Fragen fallen schließlich in die Zuständigkeit der Länder - "da können wir letztlich nur appellieren", meint die Abgeordnete.
In den bei der "Kiko" eingehenden Emails schlummern immer mal wieder Themen, die aufgegriffen werden. Meist werden diese Botschaften von Eltern oder Verbänden verfasst, zuweilen schreiben aber auch Kinder selbst. Da kritisieren Schüler die unzureichende Ausstattung ihrer Bildungsstätte mit Lehrmaterial und fragen an, ob die Kommission nicht mal ein paar Bücher besorgen könne. Eine Klasse erhofft sich Hilfe gegen die geplante Abschiebung zweier Kameraden in deren ausländisches Heimatland. Im elektronischen Briefkasten fand sich auch dieses Email: "Könnt Ihr unseren Lehrern nicht mal sagen, wie man einen spannenden Unterricht macht?" Eine Schule soll geschlossen werden, und gegen das drohende Aus möchten die Betroffenen gern die Vier vom Bundestag mobilisieren. Über Mitteilungen dieser Art wurde das Gremium auch auf ein diffiziles Problem aufmerksam: Kinderarbeit ist verboten, aber nicht selten will sich jemand das Taschengeld aufbessern - und wo ist da die Grenze zu ziehen? Manche dieser Anliegen fallen nicht in die Kompetenz der Kommission: Dann werden Anfragen an die zuständigen Stellen weitergeleitet, manchmal hängen sich die Abgeordneten auch selbst ans Telefon, wenn dies sinnvoll erscheint.
"Wir müssen Kinder als Person ernst nehmen." So formuliert Fischbach eine zentrale Richtschnur für die politische Arbeit der Kommission. Dieses Motiv steht auch hinter der für den Herbst avisierten Präsenz des Gremiums auf der Frankfurter Buchmesse: Dort wollen die vier Parlamentarier Verlage für die Idee gewinnen, Kinderbücher verstärkt von Kindern selbst schreiben zu lassen.
Kinder ernst nehmen: Da spielen auch altersgerechte Mitbestimmungsmöglichkeiten des Nachwuchses eine Rolle. Der Bundestagsausschuss macht sich deshalb für Kinder- und Jugendparlamente von Kommunen bis zu höheren politischen Ebenen stark. "Aber das dürfen nicht bloß Pseudorechte sein", betont Fischbach: Vorschläge und Forderungen von Kindern müssten sich auch in den konkreten politischen Entscheidungen niederschlagen, etwa bei der Gestaltung von Spielplätzen oder bei der Ausformung von Verkehrskonzepten. Karl-Otto Sattler
Karl Otto Sattler ist freier Journalist und lebt in Berlin.