Die Demographen wissen seit langem: Es sind vor allem junge Eltern, die sich aus freien Stücken für den Fortzug in die Provinz entscheiden. Von der quantitativen Dimension langfristig sinkender Bevölkerungszahlen einmal abgesehen, droht der Stadt das Gespenst der "selektiven Schrumpfung", wie das Bonner Institut empirica in einer Aufsehen erregenden Studie bereits Ende 2001 festgestellt hat. Dieser Prozess ist, obwohl er erst seit kurzem als Bedrohung begriffen wird, schon etliche Jahre im Gange: So hat Hamburg in der Zeit von 1971 bis 2001 im Saldo über eine Viertelmillion Einwohner an das Umland verloren. Eine Entwicklung, die der Stadt schwer zu schaffen macht. Denn der unweigerliche, von den Behörden nüchtern als "Verlust an Steuergeldern, Kaufkraft und Humankapital" umschriebene Effekt der Abwanderungswelle bedeutet eine ernsthafte Gefährdung der Zukunftsfähigkeit der 1,7 Millionen Einwohner zählenden Metropole. Noch plastischer wird das, wenn man den Blick auf die Zahl der Familien mit Kindern in Hamburg wirft: Sie ist seit 1976 um 45.000 auf 165.000 im Jahr 2001 gesunken, ein Minus von satten 20 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Singlehaushalte rapide an, und zwar von 320.600 auf 447.400, ein Zuwachs von 40 Prozent. Oder anders ausgedrückt: Lebten 1976 noch rund 343.600 Kinder unter 18 Jahren in der Stadt, so waren es 2001 nach Angaben des Statistischen Landesamtes lediglich noch 275.200. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Hamburg droht, eine kinderarme Stadt zu werden.
Doch ist es zu kurz gegriffen, die Abwanderung der Familien allein mit deren angespannter Finanzsituation und dem zu teuren Hamburger Wohnraum zu erklären. Schließlich sind es nicht die Ärmsten, die die Stadt verlassen, sondern im Gegenteil eher Familien aus den mittleren Einkommensschichten, die ins Umland ausweichen, um dort ihre Kinder großzuziehen. Dazu kommt, dass sich die Mieten in Hamburg, wie Anika Wichert von der Sozialbehörde zu Recht betont, noch auf vergleichsweise moderatem Niveau bewegen. Außerdem gilt der Immobilienmarkt als einigermaßen entspannt. Und die Förderung der Eigentumsbildung vor allem für junge Eltern ist ein wichtiger Bestandteil hanseatischer Wohnungspolitik. Es existieren zahlreiche Programme, die Wohnungsbaukreditanstalt (WK) etwa gewährt beim Errichten von selbstgenutztem Wohneigentum Familienzusatzdarlehen, gestaffelt nach der Anzahl der Sprösslinge. Doch allein diese Maßnahmen reichen nicht aus, um die Abwanderung ins Umland wirksam einzudämmen. Es geht eben nicht nur um die bloße Finanzierbarkeit, sondern auch um die Qualität der Lebensperspektiven von Familien in der Großstadt. Genau hier soll nach eigenem Bekunden die Politik des Senats, der dringenden Handlungsbedarf erkannt hat, ansetzen. Publik wurde dieses von mehreren Behörden als Querschnittsaufgabe verstandene Ziel erstmals 2002, als die (seinerzeit noch nicht von der CDU alleine, sondern gemeinsam mit Schill-Partei und FDP gebildete) Regierung mit ihrem Leitbild "Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" in die Öffentlichkeit ging. In dieser 73 Seiten starken Drucksache kündigte der Senat unter Bezugnahme auf die verheerenden Ergebnisse der empirica-Studie an, die Abwanderung ins Umland mit effektiven Maßnahmen deutlich zurückführen zu wollen. Motto: "Die Menschen sollen nicht nur in Hamburg arbeiten, sondern auch in der Stadt wohnen."
Genau zwei Jahre sind seitdem verstrichen. Und tatsächlich hat die Regierung inzwischen ein großes Paket an zukunftsweisenden Maßnahmen geschnürt, die zum größten Teil indes noch in der Entwicklungsphase sind. Beispiel Flächenpolitik: Unmittelbar auf den Weg gebracht wurde ein "Sofortprogramm Wohnbauflächen", das dazu beitragen soll, Familien mit Kindern bei der Verwirklichung ihres Traums vom Eigenheim mit Garten im Grünen zu helfen - innerhalb der Stadtgrenzen, versteht sich. Auf den 19 Flächen dieses Sofortprogramms werden rund 3.250 Wohneinheiten, davon etwa 2.400 Einfamilienhäuser, errichtet. Die Planungen laufen, Gestaltungswettbewerbe wurden ausgeschrieben und zum Teil bereits entschieden. Insgesamt liegt das Bauvolumen bei mehr als 25.000 Wohneinheiten, die sich indes überwiegend am Stadtrand befinden. Doch auch im Herzen Hamburgs, wie Claudia Eggert von der Behörde für Stadtentwicklung bekräftigt, sollen künftig wieder mehr Familien ein attraktives Lebensumfeld finden. Beispiel HafenCity: Das ehrgeizige und europaweit einmalige Projekt eines vollkommen neuen Wohn- und Arbeitsviertels, das derzeit in exponierter Wasserlage auf 155 Hektar Gesamtfläche im Süden der Hamburger Innenstadt entsteht, soll in nur 800 Meter Entfernung vom Rathaus 5.500 Wohnungen für bis zu 12.000 Einwohner offerieren. "Davon", so Eggert, "orientieren sich mehr als 50 Prozent an den Bedürfnissen von Familien, und zwar zu bezahlbaren Konditionen."
Ein Leben am Wasser, inmitten von Hightechfirmen und mit Blick auf gigantische Ozeandampfer - ist das visionäre Träumerei oder wirklich eine realistische, gar wünschbare Perspektive für das Aufwachsen von Kindern? Ist das die spezifische Lebensqualität, die Hamburgs Eltern bisher so oft vermisst haben? "Eine autofreiere Zone finden Sie in der gesamten Stadt nicht", argumentiert die Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde und hat damit nicht ganz Unrecht. Wie ernst der Beust-Senat es mit seinen Plänen meint, beweist der jüngst gefasste Beschluss, auf dem futuristisch anmutenden Gelände der HafenCity sogar eine Grundschule entstehen zu lassen. Außerdem soll (wie bei anderen Neubauprojekten auch) für ausreichend Spielflächen gesorgt sein. Da aber solche städtebaulichen Maßnahmen nur eine, wenn auch besonders entscheidende Komponente des Politikfelds "Familie" sind, wurden sämtliche Behörden, deren Aufgabenfelder Bezug zu Kinder- und Familienthemen haben, an einen Tisch geholt, um in einer Arbeitsgemeinschaft "Familien- und kinderfreundliches Hamburg" alle relevanten Politikentscheidungen daraufhin zu überprüfen, ob sie auch wirklich geeignet sind, die Lebensbedingungen von Familien in Hamburg zu verbessern. In der Behörde für Soziales und Familie wurde außerdem ein Bündel an flankierenden Maßnahmen auf den Weg gebracht, das die Attraktivität Hamburgs für junge Familien zusätzlich erhöhen kann. So kommt 2005 zum Beispiel der "Familienpass". Eltern und Nachwuchs dürfen damit kulturelle Angebote wie Theater, Konzert, Sport und Ferienreisen kostenlos oder zu stark reduzierten Preisen nutzen. Hintergrund: Die Entscheidung für Kinder soll aufgrund der damit verbundenen finanziellen Bürden nicht zu einer gravierenden Benachteiligung gegenüber kinderlosen Erwachsenen bei der Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben führen.
Eine weitere Entlastung: Seit 1. August bekommen alle berufstätigen Paare ein Betreuungsangebot für ihre Kinder. Und ebenfalls seit diesem Jahr haben mehr Familien als bisher die Möglichkeit, mit öffentlichen Zuschüssen ihren Urlaub zu finanzieren: Die Einkommensgrenze liegt nun beim Zweifachen des Sozialhilfesatzes. Doch Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) warnt vor dem Irrglauben, der Staat könne Familienfreundlichkeit quasi "von oben" verordnen. Es liege letztlich in der Verantwortung aller Bürger, in Hamburg eine Atmosphäre entstehen zu lassen, die es den Familien leicht macht, sich für ein Leben in der Metropole zu entscheiden.
Florian Kain ist freier Journalist in Hamburg.