Rund 42 Prozent der Akademikerinnen entscheiden sich in Westdeutschland bereits gegen Kinder, bei den Absolventinnen mit Volks- und Hauptschulabschluss sind es 21 Prozent. Abgesehen davon, dass die "Reproduktionsrate" bei beiden Frauengruppen zu gering ist, um in Deutschland ein Gleichgewicht zwischen Jung und Alt zu wahren, zeigt die Differenz ein grundlegendes Problem: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt für das weibliche Geschlecht schwierig, gerade bei höherqualifizierten Tätigkeiten mit Führungsverantwortung. Frauen sind in den obersten Chefetagen eh nur mit mageren sechs Prozent vertreten, Mütter als Firmenbosse haben absoluten Seltenheitswert. Auf der Karriere-Leiter Kinder mitzuschleppen ist offensichtlich beschwerlich und hinderlich, wenn nicht gar unmöglich. Vor allem qualifizierte Frauen verzichten deshalb bewusst auf Kinder.
Aber vielleicht gibt es für die Frauen - und auch Männer - in der Zwickmühle zwischen Kinderzimmer und Konferenzsaal Anlass zur Hoffnung, denn es scheint sich etwas zu bewegen in deutschen Landen. Die Debatte rund ums Kinderkriegen und die Erwerbstätigkeit von Frauen hat eine ökonomische Dimension bekommen - und findet als solche endlich Beachtung. In großem Umfang in Bildung und Ausbildung zu investieren, um das "Humanpotenzial" nicht mehr zu nutzen, wenn es plötzlich den Stempel "Eltern" trägt - das kann Deutschland sich schlicht nicht mehr leisten. Unternehmen sind zunehmend offen für Flexibilisierungen, und zwischen Vollzeit und Teilzeit, von Telearbeit über Gleitzeit, Job Sharing, Sabattical und Arbeitszeitkonten bis hin zur Vertrauensarbeitszeit und den individuell vereinbarten Arbeitszeiten macht sich eine bunte Zeit-Vielfalt breit. In einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft gaben im vergangenen Jahr 58 Prozent der Betriebe an, flexible Tages- und Wochenarbeitszeiten anzubieten, sodass die Beschäftigten ihre Anwesenheit im Unternehmen auch nach den Öffnungszeiten von Kindergärten und Schulen richten können. Laut Hertie-Stiftung wird sogar in 84,8 Prozent der Firmen bereits mit flexiblen Zeiten gearbeitet.
Während Telearbeit, bei der die Beschäftigten zu Hause arbeiten und über Telefon und Internet mit Kunden und Kollegen kommunizieren, nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) erst des zögerlich von nur acht Prozent der Unternehmen genutzt wird, ist die Teilzeitbeschäftigung stark im Kommen. 1997, so das Statistische Bundesamt, gab es in Deutschland 4,7 Millionen Teilzeitstellen, 2003 waren es bereits 7,2 Millionen. Zu einem überwiegenden Teil von rund 85 Prozent stecken Frauen hinter den Teilzeitbeschäftigten, die im Erwerbsleben reduziert arbeiten, verdienen und nebenher - so die Zeitbudgeterhebung des Statistischen Bundesamtes - noch rund
31 Stunden pro Woche an unbezahlter Hausarbeit, Kindererziehung oder Angehörigenpflege erledigen. Um all das unter einen Hut zu bringen, wünschen sich die Frauen noch mehr Teilzeitstellen: In einer Emnid-Studie gaben 80 Prozent der Befragten an, dass fehlende Teilzeitstellen Mütter vom Wiedereinstieg in den Beruf abhielten.
Die Unternehmen erkennen diese Zeichen der Zeit. Sie wissen, dass bei den Mitarbeitern zwischen Mitte 30 und Mitte 40 der Anteil derjenigen wächst, die Zeit für ihre Familien einfordern. Die Betriebe zeigen sich aus handfesten wirtschaftlichen Gründen zunehmend familienfreundlich. Denn ein kinderkompatibles Betriebklima ist nicht nur nett, sondern hat nachweisbare Vorteile. Flexible Arbeitszeiten lassen sich auf den Bedarf des Unternehmens zuschneiden und sparen in Krisenzeiten Personalkosten. Familienfreundliche Regelungen senken die Personalkosten durch niedrigen Krankheitsstand, geringe Fluktuation, hohe Motivation und höhere Produktivität.
Die großen Firmen machen das mit den unterschiedlichsten Modellen schon seit längerem vor: Beim Kölner Autohersteller Ford gibt es seit gut drei Jahren einen Notfall-Kindergarten. Bei Betreuungsengpässen bietet "Ford Pänz" den Kindern der Mitarbeiter kurzfristig die Möglichkeit, in der Nähe von Mamas oder Papas Arbeitsplatz den Tag zu verbringen. Teilzeit- und Telearbeit ist im Konzern möglich; prinzipiell auch auf der Management-Ebene. Bei der B. Braun Melsungen AG hat sich Konzernchef Ludwig Georg Braun, der auch als Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Einsatz für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zeigt, so einiges einfallen lassen: Im gewerblichen Bereich 16 verschiedene Schichtmodelle in mehr als 100 Varianten, Gleitzeit bei den Angestellten, Telearbeitsplätze, bei denen die Mitarbeiter zwischen Home-Office und betrieblichem Arbeitsplatz wechseln oder auch Babykost aus der Betriebskantine, die mit nach Hause genommen werden kann.
Was die großen Unternehmen in formalisierten Programmen und Leitlinien festschreiben, haben die kleinen und mittleren weiter verfeinert und in flexiblen Einzelfalllösungen geregelt. Arbeitszeiten werden dabei oft individuell mit jedem Mitarbeiter vereinbart. Die TMS Unternehmensberatung AG erlaubt ihren
20 auf Köln und Hamburg verteilten Beschäftigten regelmäßiges ebenso wie spontanes Home-Working, die Verkürzung auf eine Vier-Tage-Woche oder auch die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit. Die Chefin selber übt sich im täglichen Spagat zwischen Familie und Beruf: Vorstandssprecherin Birgit Felden hat zwei Nachmittage der Woche für ihre vierjährige Tochter Carolin reserviert. Dann steht statt Rating-Beratung Schwimmbad oder Zoo auf dem Terminplan. "Die Stunden mit meiner Tochter werden - für alle Mitarbeiter sichtbar - als feste Termine in meinen Wochenplan eingetragen und respektiert", sagt Felden. Und sie ist davon überzeugt, dass sich Flexibilisierung für das gesamte Unternehmen lohnt. "Wann und wo jemand seine Arbeit erledigt, wird im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel zweitrangig. Ein zufriedener Mitarbeiter bringt sicher eine höhere Arbeitsqualität als jemand, der am Schreibtisch sitzt und hadert, weil zu Hause ein Kind krank ist. Weil wir so flexibel auf die Wünsche unserer Beschäftigten eingehen, können wir gute Leute im Unternehmen halten." Die Kehrseite der Medaille: Die Arbeitswoche der Unternehmensleiterin hat immer noch gut 50 Stunden. Ohne Omas, Freunde und ihren arbeitszeitmäßig ebenfalls flexiblen Mann wäre das kaum machbar. Denn auf die öffentlichen Angebote zur Kinderbetreuung können berufstätige Eltern nicht wirklich zählen. Emnid gegenüber wiesen 72 Prozent der Befragten darauf hin, dass es der Mangel an Möglichkeiten zur Kinderbetreuung ist, der ihnen den Zugang zum Erwerbsleben versperrt. Unzureichend - auch im internationalen Vergleich - ist die Betreuung für Kinder unter drei Jahren, ebenso wie die Über-Mittag- und Nachmittagsbetreuung der Kindergartenkinder. Einen Hortplatz für ein schulpflichtiges Kind zu ergattern ist mancherorts ebenso wahrscheinlich wie ein Lottogewinn.
Die Defizite in der öffentlichen Kinderbetreuung auszubügeln kann nicht Aufgabe der Betriebe sein. Betriebskindergärten sind toll, aber keine flächendeckende Lösung. Vielleicht sollten auch Länder und Kommunen ökonomischer denken: Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung haben nachgewiesen, dass eine umfassendere institutionelle Kinderbetreuung nicht nur zu einer höheren Erwerbsbeteiligung der Mütter führt, sondern auch zu einer höheren Qualität der Erwerbstätigkeit. Für den Staat rechnet sich das, da die berufstätigen Mütter entsprechend Steuern und Sozialabgaben zahlen. Die Universität Bielefeld hat es genau ausgerechnet: Ein Euro für einen Kindergarten bringt durch höheres Familieneinkommen, mehr Steuereinnahmen und zusätzliche Beiträge für die Sozialversicherung volkswirtschaftlich das Drei- bis Vierfache für die Gesellschaft.
Sabina Janssen arbeitet als Journalistin in Köln.