In den deutsch-polnischen Beziehungen tut sich in letzter Zeit recht viel, jedoch nur wenig Erfreuliches. Das Misstrauen gegenüber Deutschland scheint seit der Wende 1989 noch nie so groß gewesen zu sein wie jetzt.
Als Grund der Verstimmungen gilt das Projekt "Zentrum gegen Vertreibungen", das nach Auffassung von Erika Steinbach, der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, in Berlin entstehen soll, was von der derzeitigen Bundesregierung aber abgelehnt wird. Für mehr Emotionen sorgt jedoch die "Preußische Treuhand". Die Organisation von Vertriebenen in Form einer Kommanditgesellschaft will für verlorenes Eigentum in den ehemaligen Ostgebieten Deutschlands Entschädigungsklagen durchsetzten: zuerst vor polnischen Gerichten, dort stehen die Chancen zwar schlecht, aber auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Auch Klagen in den USA werden erwogen, der Name "Prussian Claims Society" erinnert an die Organisation der Holocaust-Opfer "Jewish Claims Society", in Polen wird diese Analogie als weiterer Beweis dafür gesehen, dass die Deutschen "die Geschichte noch einmal umschreiben wollen". Wie auch in den Medien und der politischen Öffentlichkeit Polens zunehmend zu beobachten ist, dass der Name "Preußische Treuhand" als Synonym für "Deutschland" oder "die Deutschen" gehandelt wird.
Wenn auch internationale Rechtsexperten der Preußischen Treuhand bei den Enteignungen als Folge des verlorenen Zweiten Weltkrieges wenig Chancen auf einen Prozessgewinn einräumen, sieht es bei den deutschen Spätaussiedlern, die in den 70er- und 80er-Jahren Polen verlassen haben, anders aus. Da teilweise ihre Namen nicht aus den polnischen Grundbüchern gestrichen wurden, können sie versuchen, den Besitz ihrer verlorenen Häuser zurückzuklagen. Ein Fall, der ein Mietshaus im oberschlesischen Gleiwitz (Gliwice) betrifft, erregt gerade in Polen großes Aufsehen.
Als Abwehrmaßnahme gegen diese Begehrlichkeiten gibt es nun östlich der Oder von konservativen Politikern seit längerer Zeit Anläufe, Reparationen für die Schäden des Zweiten Weltkireges zu fordern. Ein Abkommen von 1953, das den Verzicht von Schadensforderungen zwischen Deutschland und Polen festlegte, halten Politiker der "Liga Polnischer Familien" (LPR) sowie "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) für nicht bindend, da Polen als Teil des Ostblocks kein souveräner Staat gewesen sei. Die linke Minderheitsregierung stellt sich gegen derartige Reparationsforderungen, das Vorhaben wurde im polnischen Sejm vorerst an den Auswärtigen Ausschuss zur weiteren Prüfung abgeschoben. Lech Kaczynski, PiS-Mitgründer und Präsident der Stadt Warschau lässt gerade die Zerstörung der polnischen Hauptstadt durch die deutsche Wehrmacht zum zweiten Mal schätzen, das Ergebnis soll gegen Ende Oktober dieses Jahres vorliegen. Dabei sollen auch der Steuerausfall und andere Einkommensverluste Warschaus in die Rechnung miteinbezogen werden. Die erste Berechnung, die mit einer Gesamtsumme von 31,5 Milliarden Dollar (nach heutigem Wert) Anfang dieses Jahres vorlag, ist nach Meinung Kaczynskis viel zu niedrig. Andere Städte des Landes wollen ebenfalls entsprechende Schätzungen von entstandenen Kriegsschäden vornehmen lassen.
Donald Tusk, Parteivorsitzender der konservativ-liberalen Bürgerlichen Plattform, hält es auch deshalb für sinnvoll, polnische Gegenforderungen aufzustellen, damit die Bundesregierung die Entschädigungslasten deutscher Vertriebenen von vornherein auf ihre Rechnung nähme.
Desweiteren will eine Parlamentarierin einer konservativen Splitterpartei Ende dieses Jahres eine Organisation namens "Polnische Treuhand" ins Leben rufen. Diese Organisation soll erstmals den 1939 aus Gdingen (Gdynia) vertriebenen Polen finanzielle Kompensationen ermöglichen. Die polnischen Opfer des Dritten Reiches könnten bei der Organisation Entschädigungsforderungen beantragen, nach Angaben der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" sollen sich auch schon deutsche Anwälte für eventuelle Prozesse westlich der Oder gemeldet haben. In einer von der Warschauer Friedrich-Ebert-Stiftung eilig anberaumten Podiumsdiskussion über die entstandenen Querelen forderte in der vergangenen Woche der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, dass sich die politische Klasse beider Länder von drohenden Entschädigungsforderungen in gebotener Klarheit distanzieren sollte.
Der Vorstand der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe regte eine gemeinsame Erklärung der Auswärtigen Ausschüsse Polens und Deutschlands zu diesem brisanten Thema, an; leider waren keine konservativen Politiker bei diesem Treffen anwesend.
Jens Mattern