Und doch erwartet der Bürger, dass eine jede Regierung ihrer Aufgabe nachkommt, Entscheidungen fällt und dabei das Gemeinwohl nicht aus den Augen verliert. Regieren in der Demokratie bewegt sich zwischen Legitimität und Effizienz, zwischen gesellschaftlicher Interessenartikulation und staatlicher Entscheidungsnotwendigkeit. In diesem Spannungsfeld sind all jene Fallstricke und Blockaden ausgelegt, die das Regieren so schwierig machen.
Wie aber funktioniert effektives Regieren? Welche sind die Voraussetzungen, welche die Strukturprobleme und wie sieht erfolgreiche politische Führung in der Demokratie aus? Korte und Fröhlich haben ein Buch vorgelegt, das so ganz anders daher kommt als traditionelle Regierungslehren. Sie wollen keine Institutionenlehre vorlegen, sondern zeigen, wie in der Bundesrepublik Deutschland regiert wird.
Ihr Anliegen ist es, einen "praxisnahen Leitfaden" vorzulegen und dabei besonders auf die Exekutive, die Regierung, zu schauen. Diese vor allem wird mit der Steuerungsfähigkeit des Staates, der Führung der politischen Geschäfte und der Herbeiführung von Entscheidungen identifiziert. Im Machtdreieck von Steuern, Führen und Kommunizieren wird Regieren zu einem "Interdependenz-Management".
Auf den verschiedenen Arenen der Politik kommt es vor allem auf den Kanzler an, ferner auf seine Stäbe, seine Mitspieler und seinen Führungsstil. Das wird an Kohl und an Schröder gezeigt. Sie und ihre Entourrage betätigen sich als "Machtmakler" des politischen Geschäfts. Korte und Fröhlich geben Einblick in eine Technik des Regierens. Sie legen eine Managementfibel für die Exekutive vor. Alles wird anschaulich, durch viele Beispiele aus der Regierungspraxis illustriert und in einprägsamen Schlagworten formuliert. Es begegnen uns "Strippenzieher", "Vollkasko-Versicherer", "Schnäppchenjäger", "Ego-Taktiker" und viele andere typisierte Akteure im weiten Feld politischer Kulturen, Strukturen und Prozesse. Diese und andere Charakterisierungen sind direkt dem politischen Geschäft abgeguckt und basieren auf unmittelbarer Beobachtung der Kanzlerschaften von Kohl und Schröder.
Die zupackende Art ist erfrischend und nimmt für die Darstellung ein. Die Verschlagwortung der Regierungspraktiken suggeriert Evidenz und Plausibilität. Praxisnah, besser: den Praktiken abgeschaut, wird hier das komplizierte Regierungsgeschäft pointiert beschrieben, wobei die verschiedenen Arenen, auf denen gleichzeitig agiert werden muss, sehr schön, vor allem in ihren gegenläufigen Logiken, herausgearbeitet werden.
Indes hat eine Regierungslehre als Lehre des Politikmanagements auch ihre Probleme. Für wen ist eigentlich der "praxisnahe Leitfaden" geschrieben? Geht es um eine moderne Variante des klassischen "Fürstenspiegels", in dem Herrschern Ratschläge zur Bewahrung und Durchsetzung von Macht, Entwürfe für politische Strategien geliefert werden? Ist hier Politikberatung beabsichtigt? Eine solche Techniklehre erfolgreichen Regierens kann jedoch kaum den Anspruch einer historisch-systematischen und komparativ informierten Regierungslehre erheben. Das aber wäre nötig, wenn man über Politik und Regieren in der Demokratie gelehrt und gleichzeitig praxisnah informieren will.
Das Buch kommt in manchen Teilen zu politiknah einher, es fehlt hier und da ein retardierendes, reflexive Distanz zum Gegenstand bezeugendes Moment. So bleibt die empirische Basis doch etwas kontingent, und die aus ihr gezogenen Schlussfolgerungen etwas kurzatmig. Zu sehr haben sich die Autoren hier und da dem von ihnen besonders herausgestellten Typus der "Präsentationsdemokratie" mit ihren vereinfachten, verschlagworteten Botschaften angepasst. Wenn man wissen will, warum heute Regieren ein schwieriges Geschäft ist und wie man dennoch erfolgreich regiert, dann jedoch greife man zu diesem Buch.
Karl-Rudolf Korte/Manuel Fröhlich
Politik und Regieren in Deutschland.
Strukturen, Prozesse, Entscheidungen.
Schöningh Verlag, Paderborn 2004; 382 S. ,18,90 Euro