Deutschland war der rote Faden in seinem Leben. André François-Poncet (1887-1978) war einer der bedeutendsten französischen Deutschland-Experten - in Deutschland stets mehr geachtet als daheim. Der "Kleine Larousse" ignoriert ihn, dafür findet sich sein Name in jedem deutschen Lexikon. François-Poncet galt als "hellsichtiger Beurteiler Deutschlands, der sehr schnell das Singuläre des Phänomens Adolf Hitler" erkannt habe - wie Nicolaus Sombart in seinen Erinnerungen meinte.
Mit 14 Jahren besuchte er ein Gymnasium in Offenburg, studierte später in München, Heidelberg und Berlin und kam 1931 als französischer Botschafter nach Berlin. Von 1938 bis 1940 war er diplomatischer Vertreter seines Landes in Rom. Nach Frankreich zurückgekehrt, wurde er 1943 von der deutschen Besatzungsmacht interniert. Nach dem Krieg fungierte er von 1949 bis 1953 als Hoher Kommissar Frankreichs, dann bis 1955 als französischer Botschafter in Bonn.
In den 80er-Jahren wurden die Berichte und Telegramme, die er von 1931 bis 1938 aus Berlin ans Quai d'Orsay schickte, der Forschung zugänglich gemacht. Claus W. Schäfer hat diese umfangreiche Dokumentensammlung für eine Dissertation genutzt und sie zur Grundlage einer jetzt vom Deutschen Historischen Institut in Paris herausgegebenen Studie gemacht.
François-Poncet erlebte in Berlin den Untergang der Weimarer Republik und Hitlers Jahre bis zum Münchner Abkommen 1938. Dabei macht der Autor die zwei höchst unterschiedlichen Interpretationen deutlich, die es bis heute zu den Auffassungen von François-Poncet in seiner Haltung gegenüber Deutschland und dem Nazi-Regime gibt: Den einen gilt er als Verfechter einer Verständigungspolitik, den anderen als Vertreter einer französischen Politik der Stärke gegenüber der NS-Diktatur.
Für den Autor haben beide Einschätzungen ihre Berechtigung. Denn François-Poncet - seit den Zeiten des Locarno-Paktes von Briand und Stresemann auf Aussöhnung mit Deutschland bedacht - änderte seine kooperative Haltung 1934/35, als die aggressive deutsche Außenpolitik zu spürbaren Verschiebungen im europäischen Kräftespiel führte. Als Hitler nach dem Reichstagsbrand 1933 wesentliche Grundrechte außer Kraft setzte, notierte Francois-Poncet: "Aber das deutsche Volk in seiner Mehrheit ist weniger abgestoßen als beeindruckt von so viel Schwung und Kühnheit."
François-Poncet war Stammgast bei den alljährlichen Bayreuther Festspielen, und Schäfer merkt in seiner Studie an, die Tatsache, dass Hitler "große Stücke auf den Botschafter hielt" und ihn im Oktober 1938 zu einem Abschiedsbesuch auf den Obersalzberg einlud, sein von der Forschung bisher "durchwegs ignoriert" worden.
François-Poncet stand für eine "nuancierte Politik der Festigkeit". Woche für Woche schickte er umfangreiche Depeschen mit Vorschlägen und Konzepten nach Paris, - offenbar derart umfangreich, dass dort bald niemand mehr gewillt war, seine Berichte aufmerksam zu lesen. François-Poncet wertete die Erfolgslosigkeit seiner Bemühungen selbst: "Wir sind Gefangene unserer innenpolitischen Streitigkeiten und unserer Friedensliebe." Er wollte Friedensstifter sein - eine Rolle, die er erst während der Adenauer-Ära ausfüllen durfte.
Es ist das Verdienst von Claus W. Schäfer, mit dieser akribischen Fleißarbeit wenigstens ein Schlaglicht auf den für die Forschung bislang kaum interessanten "Kronzeugen gegen das Dritte Reich" geworfen zu haben.
Claus W. Schäfer
André François-Poncet als Botschafter in Berlin (1931 - 1938).
R. Oldenbourg Verlag, München 2004; 382 S., 44,80 Euro