Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker vor.
Tobias Weiß guckt zunächst verlegen. Für die Kamera hat er sich unter das Öl-Porträt des großen Vorsitzenden, des Ministerpräsidenten, des mehrfachen Bundesministers, von FJS, Franz Josef Strauß, stellen müssen; soll da so schräg hochgucken in die Brauntöne des gütig lächelnd Dargestellten. Das Bild stammt aus den 70ern, Strauß starb im Oktober 1988, als Weiß im Münchner Stadtteil Allach gerade seine ersten Schultage verbrachte.
Im März letzten Jahres wählten ihn 54 von 56 Delegierte zum JU-Chef seiner Heimatstadt. Weiß zählte 22 Jahre und war und ist der jüngste Vorsitzende eines bayerischen JU-Bezirks. Selbst der inzwischen zum Kronprinz Stoibers aufgestiegene CSU-Generalsekretär Markus Söder, 38, war zwei Jahre älter, als er die Führung eines JU-Bezirks übernahm.
Vor zwei Jahren war der Verband mit seinen 2.500 Mitgliedern ins Gerede gekommen, weil führende JUler Mitgliedsanträge fälschen ließen sowie Mitgliederwanderungen organisierten, um einen missliebigen Landtagskandidaten zu verhindern. Ein Münchner Gericht verurteilte drei Beteiligte zu Geldstrafen, so auch den Vorgänger von Weiß. Die Staatsanwältin sprach von "mafiösen Strukturen", die sich bis ins Schweigen vor Gericht manifestieren würden.
Weiß probte den Neuanfang mit einem Begriff, welchen man ebenfalls aus der Welt der Mafia kennt. "Ehrenkodex" nannte er ein Papier aus vier Punkten, auf das er sämtliche JU-Vorsitzende des Bezirks München eingeschworen hat. Demnach gilt es als unschick, Ortsverbände wie Socken zu wechseln, um damit Vorstands- oder sonstige Wahlen zu beeinflussen. Als oberstes Ziel zählt Geschlossenheit, das bedeutet auch, dass etwa vertrauliche Informationen nicht an die Außenwelt durchsickern. Gerüchte, wonach diese Form der Selbstverpflichtung auf Geheiß der Seniorenpartei, der damaligen Chefin der Münchner CSU, Straußtochter Monika Hohlmeier, zustande gekommen sei, wies Weiß weit von sich. "Ich werde von niemandem dirigiert." Die Junge Union sei unabhängig.
Und irgendwie glaubt man ihm das, je länger man ihn erlebt. Wie er dann doch auch gelangweilt vor dem Strauß-Porträt steht, die Wahl des Motivs offenbar nicht besonders originell findet, aber auch Strauß als das ansieht, was er ist: Geschichte, Vergangenheit, aber kein Übervater, um den sich Legenden ranken. Natürlich habe sich Strauß bleibende Verdienste um die industrielle Entwicklung Bayerns erworben. Nicht umsonst trage der Münchner Flughafen seinen Namen.
Der fällt aber nicht, wenn er nach Vorbildern gefragt wird. Da nennt er zunächst die SPD-Kanzler Brandt ("der hat was gewagt") und Schmidt sowie Helmut Kohl ("Kanzler der Einheit"). Der Name Strauß fällt eher in ironischem Zusammenhang, wenn Weiß erzählt, dass sein älterer Bruder, der ebenfalls in der Münchner CSU aktiv ist, den Sitzungsraum, in dem das Gemälde hängt wie etwa früher Honecker-Fotografien in Tagungsstätten der DDR, in "FJS-Saal" getauft habe. Sein Schmunzeln ist dabei nicht zu übersehen. Andererseits wird er sehr ernst, wenn es um heutige Praxis in Partei und Politik geht. "Da wird weniger beim Bier entschieden." Dabei umgreift er wie ferngesteuert das vor ihm stehende Wasserglas. Ansonsten holen seine Hände nach links und rechts aus, wenn er redet. Er ist ja auch eine raumfüllende Gestalt, groß und breitschultrig mit festem fleischigen Händedruck.
Seit 1998 ist er Parteimitglied. Mit 16, im frühestmöglichen Alter trat er in die CSU ein. "Der Bundestagswahlkampf, in dem Helmut Kohl abgewählt wurde, war das erste Ereignis, bei dem ich mitgefiebert habe." Unglücklich sei das Ende Kohls gewesen, weil hier jemand den rechten Zeitpunkt verpasst habe. Er nennt Baden-Württemberg, wo Jüngere Erwin Teufel zum Rücktritt drängten, und er verhehlt nicht, dass eine solche Aufgabe in Bayern der JU zufiele. "Da muss die Jugend zum entsprechenden Zeitpunkt vorangehen und Zeichen setzen."
Die Arbeitswoche von Weiß hat 70 Stunden. 40 verwendet er für sein Studium der Betriebswirtschaft ("Noch, ein, zwei Scheine, dann mache ich mein Vordiplom"), 20 plus x sind für die Partei und zehn Stunden etwa muss er gegenwärtig im elterlichen Hotel an der Rezeption sitzen.
"Da wünsche ich mich schon gelegentlich in das Alter zurück, als ich 16, 17, 18 war, als der Tag um eins vorbei war und man machen konnte, was man wollte." Sich mit Freunden treffen, Billard spielen, Bier trinken. "Das geht nicht mehr. Ich bin ja nicht mehr anonym unterwegs." Diese melancholischen Anflüge halten sich bei ihm allerdings in Grenzen, eher wünscht er sich, häufiger wie 23 sein zu können. Er ist nun einmal in allen Gremien der Jüngste. Auch bei der China-Reise, die im vergangenen November 13 Nachwuchspolitiker der CSU machen durften, war er klar der Benjamin. "Wenn man dauernd mit Menschen zu tun hat, die mindestens drei Jahre älter sind, muss man sich natürlich sehr anstrengen, um genauso gut zu sein. Man will sich ja profilieren." Über weite Strecken redet er wie die Älteren, wie gestandene Politiker: kann ohne Pausen reden, hat keine Scheu vor Wiederholungen, versteht es andererseits, "Ähs" zu vermeiden. Wenn es um den Sozialstaat geht, spricht er nicht von Abbau, sondern von Umschwung. Nur sehr selten verlässt er wie aus Versehen das Flussbett der politprofessionellen Rede. Dann etwa, wenn er auf den Gesundheitskompromiss der Union zu sprechen kommt. Er sei ja kein Seehofer-Freund, aber das Papier könne man "in die Tonne hauen".
Wo er sich denn so in fünf, sechs Jahren sieht, will er nicht sagen. Er sei auf das politische Geschäft nicht angewiesen. Zur Not bleibt ja das elterliche Hotel. Weiß redet nur von 2008, von der nächsten Kommunalwahl in München, um nach 24 Jahren wieder den Oberbürgermeister stellen zu können. "Diesem Ziel wollen wir in der Jungen Union alles unterordnen." Dabei sieht er seinen Verband als "Task Force" der Senioren. Deren Vorsitzender heißt seit dem letzten Sommer im übrigen nicht mehr Monika Hohlmeier, sondern Otmar Bernhard, für den Weiß anderthalb Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Beide stammen er aus der Allacher CSU. Vom Ausdruck Ziehvater will Tobias Weiß aber nichts wissen.