Obgleich es an Veröffentlichungen über das Grauen nicht fehlt, schließt der Beck-Verlag mit diesem Buch eine Lücke. Sybille Steinbacher ist es gelungen, einen komprimierten Überblick über die wechselvolle Geschichte von Auschwitz, über die brutalen Täter und die gepeinigten Opfer vorzulegen. Entstanden ist ein Nachschlagewerk, das man in einem Zug liest und bei dem einem dabei auf fast jeder Seite der Atem genommen wird. Für Interessierte ist die weiterführende Literatur gewiss besonders hilfreich.
In zehn Kapiteln beschreibt und erläutert die Autorin alle bedeutenden Aspekte des zentralen Schauplatzes der Vernichtung von Menschen durch Menschen und durch Industrieunternehmen wie der IG Farben, die vor Ort skrupellos am Tod verdienten. Wichtig sind auch die Schilderungen über die Wahrnehmung des Geschehens in der deutschen Öffentlichkeit. Deutsche Siedler strömten in die Region, große Geschäftstüchtigkeit und das Bestreben, "deutsche Kultur" in den Osten zu bringen, zeichneten sie aus.
Aufgezeigt wird, wie das größte Konzentrations- und Vernichtungslager des Dritten Reichs zur Musterstadt der deutschen Ostsiedlung avancierte und wie Rassenpolitik zur Vernichtungspolitik und Begründung einer "Lebensraumeroberung" wurde. Wüsste man nicht, dass alles wirklich geschehen ist und vielfach dokumentiert wurde, könnte man bei der Lektüre denken, eine grauenvolle Science Fiction irrationaler Fantasien von kranken Hirnen vor sich zu haben.
Die Weichen für den Genozid waren mit dem Angriff Hitlers auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 gestellt worden. Die völkische Utopie vom "Lebensraum im Osten" sollte nun endgültig realisiert werden. Die Gleichsetzung von Bolschewismus und Judentum bildete die Legitimation der Vernichtungspolitik. Unter der zivilen deutschen Bevölkerung in Auschwitz gab es für den "süßlichen Gestank verbrannten Fleisches, der zu penetrant war, um nicht wahrgenommen zu werden, beruhigende Erklärungen, nämlich dass es im Lager eine höhere Sterblichkeit gab, und dass die Leichen eingeäschert werden mussten".
So sagten Bahnbedienstete nach Kriegsende aus, sie hätten seit 1943 von der Massenvernichtung gewusst. Steinbacher bemerkt traurig und sarkastisch zugleich, dass die latente Angst unter den Deutschen eben dazu beitrug, Nachfragen zu unterlassen. "Aus Gehorsam und auch geprägt von der pedantischen Präzision ihres Berufes ließen sie Zweifel am eigenen Tun nicht zu. Mit dem Massenmord konnte man sich arrangieren."
Behandelt werden auch die juristische Bestrafung der Verbrechen nach Kriegsende, die zwiespältige Haltung der Alliierten und die "Auschwitz-Lüge". Zu erwähnen sei auch, dass aus keinem anderen Konzentrationslager so viele Häftlinge wie aus Auschwitz zu fliehen versuchten , wenn auch von den 802 Flüchtigen nur 144 Häftlingen der Ausbruch gelang. Trotz der rigiden Strafandrohungen leistete die polnische Bevölkerung in dieser Region Hilfe; organisiert war sie durch das Netzwerk des polnischen Widerstandes, darunter katholischer Pfarrgemeinden.
Das Buch ist allen historisch und an der Moral Interessierten zu empfehlen. Der Verlag sollte überlegen, ob es sich nicht lohnt, das Buch in andere Sprachen zu übersetzen. Für die jüngere Generation könnte es ein Schlüssel zum besseren Verstehen von Geschichte und Zukunft sein. Es lehrt uns, frühzeitig Verantwortung zu übernehmen für eine menschenwürdige Zeit, von der leider nur zu oft nur viel geredet wird.
Sybille Steinbacher
Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte.
Verlag C.H. Beck, München 2004; 128 S., 7,90 Euro