Das war Mord, Herr Röwekamp!" Wer am 26. Januar die Bremische Bürgerschaft betreten wollte, musste an etwa 150 Demonstranten vorbei, die mit markig formulierten Plakaten den tödlichen Brechmitteleinsatz der Polizei gegen einen mutmaßlichen Kokainhändler anprangerten. Drinnen debattierte das Landesparlament über einen Misstrauensantrag der Grünen gegen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) wegen der Brechmittelaffäre. Erwartungsgemäß stimmte die große Koalition weitgehend geschlossen gegen den Abwahlantrag. Wenige Tage zuvor hätte noch niemand auf dieses Ergebnis wetten mögen, denn da hatte sich das Bündnis gerade in eine Krise hineinmanövriert.
Mehrere Streitpunkte waren zusammengekommen und hatten die Koalitionslust der SPD deutlich gedämpft:
Statt die Streitpunkte direkt mit der Union zu erörtern, wählten SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen und sein Landesvorsitzender Carsten Sieling einen ungewöhnlichen Weg: Sie luden zu einer Pressekonferenz, auf der sie eine wenig schmeichelhafte Bilanz der fast zehnjährigen Elefantenehe zogen. Sie sprachen von "Lähmung" und "Lethargie", erklärten die Haushaltssanierung für mehr oder weniger gescheitert, warfen Eckhoff wie Röwekamp "Illoyalitäten und Profilierungsgelüste" vor und stellten fest, in der gegenwärtigen Verfassung sei der Koalitionssenat "nicht in der Lage, die Herausforderungen zur Absicherung unseres Bundeslandes zu meistern." Das Bündnis verliere seine Grundlage, wenn die Union nicht zu einer "sachorientierten und gemeinsam verantworteten Politik" zurückkehre, mahnten die SPD-Oberen.
Aber auch mit ihrem Genossen Bürgermeister gingen sie ins Gericht. Scherf müsse "endlich Klarheit" schaffen, was aus den Verhandlungen um die weiteren Bundesbeihilfen werden solle. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte im Juli 2000 den rot-schwarzen Bremern einen Ausgleich für etwaige Nachteile aus der rot-grünen Steuerreform in Aussicht gestellt - als Belohnung für Bremens Zustimmung zur Reform im Bundesrat. Die Hansestadt beziffert den nötigen Ausgleich auf mehr als 500 Millionen Euro, aber der Bund denkt bisher nicht daran, solche Summen locker zu machen.
Scherf reagierte pikiert auf den Vorstoß der beiden Spitzengenossen und nahm sich die beiden zur Brust. Drei Tage später traf sich das Schlichtungsgremium des Bündnisses, der Koalitionsausschuss, zu einer Krisensitzung. Nach drei Stunden dann Entwarnung: SPD und CDU vertrugen sich wieder. "Wir haben uns vorgenommen, den Umgang miteinander zu verbessern", sagte CDU-Chef Neumann. Seine Partei kam dem Bündnispartner entgegen, indem sie dem geforderten Ende des Brechzwangs zustimmte. Künftig sollen Tatverdächtige, die nicht freiwillig Brechsirup trinken, inhaftiert werden, bis etwaige verschluckte Drogenkapseln per Stuhlgang ausgeschieden werden und sich so als Beweismittel sicherstellen lassen.
Damit war für die SPD der Weg frei, sich bei der Misstrauensabstimmung auf Röwekamps Seite zu stellen. Vorsichtshalber drohte Scherf auch noch mit Rücktritt: "Bei Thomas Röwekamp wird auch über mich entschieden." Am Ende nutzten sieben Koalitionsabweichler die geheime Abstimmung, um doch für die Abwahl zu votieren; ein weiterer enthielt sich. Das lag aber noch im Rahmen des Koalitionsüblichen, so dass SPD und CDU die erste Bewährungsprobe nach ihrer Krise für bestanden erklärten. Die Grünen dagegen fordern jetzt Neuwahlen: Rot-Schwarz sei mit seiner Sanierungspolitik gescheitert und habe nicht die Kraft für einen Neuanfang.
In der Debatte ums Misstrauensvotum erinnerte die Oppositionsfraktion daran, dass der Todesfall hätte vermieden werden können, wenn die Bürgerschaft bereits 2001 einen Grünen-Antrag zum Brechmittel-Stopp gebilligt hätte. Die CDU konterte mit dem Hinweis, die Prozedur sei schon 1992 von der rot-gelb-grünen Ampelkoalition eingeführt worden.
Einig waren sich alle demokratischen Parteien darin, dass sie den Tod des mutmaßlichen Dealers bedauerten. Nur der DVU-Einzelabgeordnete Siegfried Tittmann meinte: "Wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um." Dieses "schwerkriminelle Gesindel" habe "keine Würde" und verdiene "absolut kein Mitleid". Ein Grüner warf ihm daraufhin vor, sich außerhalb des Grundgesetzes zu stellen ("Die Würde des Menschen ist unantastbar"). Er fügte hinzu: "Ich weise das hoffentlich im Namen aller Kollegen entschieden zurück." Dafür bekam er fraktionsübergreifenden Beifall.