Bei dem Szenario würde so mancher Radiomacher hierzulande heiße Füße bekommen: In einem Internetcafé einer kleinen irakischen Provinzstadt sitzt ein junger Journalist und speist gerade seine gesammelten O-Töne in den Computer ein, schneidet und komprimiert sie, schickt sie ab und ist damit kurze Zeit später auf Sendung. Heiße Füße bekommen auch die 20 jungen irakischen Korrespondenten, die täglich aus allen Provinzen des vom Krieg geplagten Landes ihre Berichte auf diese Weise nach Berlin schicken. Nur der Grund ist ein anderer: "Es ist noch immer eine sehr gefährliche Arbeit und mehr denn je ein Sicherheitsproblem für Journalisten, wenn sie mit dem Westen zusammenarbeiten", berichtet Klaas Glenewinkel. Zusammen mit Anja Wollenberg hat er das Radioprojekt mit dem etwas umständlichen Namen "Election Monitor Iraq" entwickelt. Seit Ende Dezember produziert das Team unter ihrer Leitung in einem kleinen Studio in der Berliner Kulturbrauerei eine politische Informationssendung für den Irak, an fünf Tagen pro Woche. Ihr Thema: Die ersten freien Wahlen des Landes, die am 30. Januar stattfanden.
Was auf den ersten Blick thematisch sehr eingegrenzt wirkt, offenbart auf den zweiten eine große Vielfalt an Themen. Denn über diese Wahl zu berichten schließt die Aufklärung über einen gesellschaftlichen Wandlungsprozess ein, dessen sichtbarster Ausdruck zwar die Wahlen sind. Seine Folgewirkungen für die Iraker reichen jedoch weit darüber hinaus. "Wir verstehen uns nicht als Wahlwerbesendung, sondern legen sehr großen Wert auf eine kritische Begleitung dieses Prozesses", erklärt Anja Wollenberg das Ziel der 30-minütigen Sendung, die ausschließlich in arabischer Sprache produziert wird. Das Problem einer möglichen Verschiebung der Wahlen spielte deshalb eine genauso herausragende Bedeutung in der Berichterstattung wie die Frage ihrer Legitimität.
Ob Interviews mit Wahlbeobachtern, Reportagen, Straßenumfragen oder Berichte zur Parteienfinanzierung: "Die ganze Bandbreite der Meinungen kommt hier wirklich in einem Kontext zur Sprache", so Wollenberg. In Berlin werden außerdem die wichtigsten irakischen Zeitungen in einem Pressespiegel ausgewertet, der zu jeder Sendung dazugehört. Eine Besonderheit des Projektes, das noch bis Ende Februar läuft, ist das ungewöhnlich dichte Korrespondentennetz. So ist es möglich, sich nicht nur auf die Krisenherde zu konzentrieren. Dabei sind die Mitarbeiter im Irak mehr als nur Korrespondenten. Sie liefern nicht einfach aus Berlin gewünschtes Material ab: "Wir können dort nicht einfach etwas bestellen, weil wir ja von Berlin aus oft schwer feststellen können, welche Entwicklungen im Irak welche Bedeutung haben", beschreibt Anja Wollenberg die Arbeitspraxis. So sind es also oft die Korrespondenten selbst, die durch ihre Geschichten der Sendung erst ihre Gestalt geben.
Auch wenn es nicht um Wahlwerbung geht: Eine Werbesendung ist es in gewissem Sinn doch, was da in Berlin produziert und über fünf Radiostationen innerhalb des Irak, über einen Satelliten in Europa, Nordafrika sowie im Nahen und Mittleren Osten und schließlich über das Internet weltweit gesendet wird. "Election Monitor Iraq" symbolisiert allein durch seine Existenz jene positive Seite einer von Gewalt dominierten Neuordnung der irakischen Gesellschaft. Wenn auch nicht ganz risikolos, so können die jungen irakischen Journalisten doch unabhängig über die Geschehnisse in ihrem Land berichten. Das ist einerseits eine völlig neue Radioerfahrung, nicht nur für die Macher, sondern auch für die Hörer. Andererseits setzt sich hier eine Kontinuität fort: "Die Iraker sind ein sehr radiofreundliches Volk, weil das Radio lange Jahre die einzige Möglichkeit war, kritische Informationen zu bekommen - nur kamen die vorher nicht aus dem Land selbst", sagt Klaas Glenewinkel.
Diese Radiofreundlichkeit und die Tatsache, dass das Internet wenig verbreitet und Fernsehformate teuer sind, begünstigten die Entstehung von "Election Monitor Iraq" als Hörfunkprogramm. Mit Hilfe der Friedrich-Ebert-Stiftung in Jordanien und einer Finanzspritze des Auswärtigen Amtes von 170.000 Euro konnte im vergangenen Dezember zunächst ein mehrwöchiger Workshop in Amman das Projekt einleiten. Über Aushänge an Universitäten machten die Initiatoren Werbung dafür. Aus den 65 Bewerbungen, darunter viele von Journalistik-Studenten, wurden die Korrespondenten ausgesucht und von Trainern der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Deutschen Welle und Radio France International auf ihre Arbeit vorbereitet.