Viereinhalb Jahre vergingen seitdem, und über 1.000 Israelis sowie 4.500 Palästinenser starben in diesem Zeitraum. Jetzt trafen sich beide Konfliktparteien wieder als Gäste des gleichen Gastgebers im selben Badeort. Wird der Händedruck zwischen Ariel Scharon und Mahmud Abbas (Abu Masen) diesmal halten? Wird der vereinbarte Waffenstillstand in einen geregelten israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen und in diplomatische Verhandlungen zur Gründung eines Palästinenserstaates münden?
Dafür spricht einiges. Sharm-I fand zu Beginn des "Mini-Krieges" statt, in einer Zeit, in der beide Seiten nur einige Dutzend Tote zu beklagen hatten und in der sie noch dachten, dass der Gegner bald aufgeben würde. Diesmal sind sie vom Blutbad erschöpft. Die Abwesenheit Arafats, der nach außen über Versöhnung sprach und gleichzeitig nach innen Gewalt predigte, und vor allem die Anwesenheit seines Nachfolgers Abu Masen trägt zum momentanen Optimismus bei. Die israelischen Medien überschlugen sich mit Komplimenten für Abbas, den sie als einen "angenehmen, kultivierten, ruhigen, charmanten, moderaten und sachlichen Gesprächspartner" beschrieben. So wurde betont, dass er sogar einige Worte auf Hebräisch sprach. Viel wichtiger war es, dass er bisher sein Wort hielt. Während seiner dreiwöchigen Amtszeit hat er bereits die antiisraelische Hetze in den eigenen Medien unterbunden und die Führung des staatlichen Senders entlassen. Nach jüngsten Umfragen glauben 24 Prozent der Israelis, dass er die Gewalt eindämmen wird. Weitere 36 Prozent tendieren dazu, ihm Vertrauen zu schenken.
Den größten Unterschied zum früheren Gipfel macht Scharons einseitiger Rückzugsplan aus. Denn, wenn ausgerechnet der Patron der Siedler und der kämpferische General, der einmal gegen das Friedensabkommen mit Ägypten votierte, nun zum Liebling der Peace-Now-Bewegung avanciert, "dann kann sich noch vieles in dieser Region ändern", glaubte ein israelischer Kommentator. Scharons bitterster Gegner seit der Zeit des Libanonkrieges 1982, Yossi Sarid, sagte im Fernsehen, Scharon führe in Sharm al Scheich die Politik der Linken aus: "Jahrzehnte lang sprachen wir gegen Wände an, plötzlich begannen die Wände uns zuzuhören". Scharons einseitiger Rückzug hat Bewegung in den festgefahrenen Nahostkonflikt gebracht, weil dessen Implementierung nicht von einem Abkommen mit den Palästinensern abhängt. Im Gegensatz zum Oslo-Abkommen müssen daher beide Seiten sich erst mal nicht mit einem Streit über Details und Formulierungen zermürben. Statt dessen können sie durch kleine, vorsichtige Schritte wieder Vertrauen zueinander gewinnen. Die positive Stimmung in Israel wirkt zugunsten Scharons. 48 Prozent der Israelis sind "ziemlich optimistisch", dass der Waffenstillstand halten wird, 13 Prozent sind "sehr optimistisch".
Das Gipfeltreffen vom 8. Februar bedeutete in einer gewissen Hinsicht die Rehabilitierung Scharons in der arabischen Welt, denn er war Gast beim Präsidenten des größten arabischen Staates. "Sabra und Schatila wurden getilgt", schrieb "Haaretz" in Bezug auf das Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern 1982 im Libanon, die zwar von christlichen Milizen ausgeführt, Scharon aber zu Last gelegt wurden und seine politische Karriere erst einmal begruben. Mubaraks Äußerung, der Weg zum Frieden hänge wesentlich von Scharon ab, und die Freilassung des israelischen Geschäftsmanns Azam Azam nach acht Jahren Haft (im Austausch mit sechs ägyptischen Studenten) wurde als eine Geste Mubaraks an Scharon gewürdigt. Eine Rückkehr des ägyptischen Botschafters nach Israel wäre ein weiterer Schritt.
Die Vereinbarungen in Sharm-II stabilisieren die Position Mubaraks angesichts amerikanischer Forderungen nach einer Demokratisierung Ägyptens. Gleichzeitig erheben sich immer mehr Stimmen am Nil für "echte" Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr. Sie verlangen eine Aufhebung der "Vorfilterung" der Präsidentschaftskandidaten durch das Parlament, das von Mubaraks Partei dominiert wird. Mit dem Slogan "Genug!" versuchen kleine Gruppen von Demonstranten eine entsprechende Verfassungsänderung herbeizuführen. Dass Scharon, im Gegensatz zu US-Präsident Bush, keinerlei Interesse an einer Demokratisierung in der arabischen Welt hat, kann Mubarak nur erfreuen.
Im Gegensatz zu Mubarak muss Scharon permanent um seine parlamentarische Mehrheit bangen. Während er mit Mubarak, Abbas und dem jordanischen König Abdullah konferierte, fragte Scharon seinen Berater, wie Ben-Lulu abgestimmt habe. Dani Ben-Lulu, Likudabgeordneter und Mitglied des Finanzausschusses, stimmte an jenem Tag gegen das Entschädigungsgesetz für die Siedler, um dadurch Scharons Rückzugsplan zu torpedieren. Obwohl fünf der insgesamt sieben Likudmitglieder in der Kommission gegen den eigenen Parteichef votierten, gewann Scharon die Abstimmung mit zehn gegen neun nur dank des paläs-tinensischen Abgeordneten Mohammad Baraka.
Auch gegen den eigenen Außenminister muss sich Scharon nun durchsetzen. Silvan Shalom plädiert nämlich für eine Volksabstimmung, angeblich um einen Bruderzwist zu verhindern. Dass er dadurch die Politik der eigenen Regierung torpediert, stört den Rechtsaußenpolitiker wenig, der dazu für seine Eitelkeit bekannt ist. Seine Berater erklärten, die Tatsache, dass Shalom zum Sharm-Gipfel nicht eingeladen wurde, habe nichts mit seiner Initiative zu tun gehabt. Auch Parlamentspräsident Rubi Rivlin fordert jetzt eine Volksabstimmung und ignoriert dabei die eindeutige Mehrheit im Plenum für den Rückzugsplan. 13 Likudabgeordnete fordern, die Israelis direkt zu befragen, ansonsten würden sie gegen das Haushaltsgesetz abstimmen, hieß es. Insgesamt unterstützen 31 der insgesamt 120 Abgeordneten eine Volksabstimmung.
Dass angeblich 10.000 Soldaten ihre Beteiligung an der Räumung von Siedlungen öffentlich verweigerten, beunruhigt den General Scharon. Aber er machte zugleich deutlich, dass er niemals vor Drohungen zurückschrecke und er keinerlei Absicht hat, jetzt damit zu beginnen. Nach seinem unerwarteten großen Sieg bei der Parlamentsabstimmung um den Rückzug kann er zumindest mit der passiven Unterstützung seines Finanzministers Benjamin Netanyahu rechnen.
Bis Ende März müssen beide den neuen Haushalt im Parlament durchbringen. Sonst müssen Neuwahlen stattfinden. Zurzeit hat die Regierung keine Mehrheit für den Haushalt, aber Scharons Lage ist gerade durch das Gipfeltreffen besser geworden. Rabbiner Ovadia Josef, Mentor der orthodoxen Shas-Partei, ist gegen ein Referendum. "Was versteht schon das Volk von Sicherheitsfragen? Man fragt es auch nicht, ob man in den Krieg ziehen soll". Ob die Shas-Partei für den Haushalt abstimmen wird, ist dennoch fraglich. Denn als Lobby der ärmeren, orientalischen Israelis bekämpft sie die Sozialkürzungen des Finanzministers Netanjahu. Scharon wird wohl mit den Stimmen der linken Yachad-Partei von Yossi Beilin rechnen können, die den Sturz der Regierung verhindern wird, um den Friedensprozess nicht zu gefährden.
"Wenn Sharon uns in der Frage des Staatshaushaltes entgegenkommt und die Bestrafung der sozial Schwachen aufgibt, dann werden wir nicht dagegen stimmen", versprach Beilin. "Die Tatsache, dass wir ihn nicht stürzen, verursacht mir Herzschmerzen", gab er zu. "Aber Scharon hat beschlossen, Siedlungen zu räumen, und uns ist es wichtig, dass er diese Siedlungen tatsächlich räumt".