Solange es noch keine durch Langzeitbeobachtung gesicherten Erkenntnisse hinsichtlich des Nutzens der genetisch veränderten Organismen (GVO) im Agrar- und Nahrungsmittelsektor oder zu den gesundheitlichen und ökologischen Gefahren gebe, müssten auch die Wahlfreiheit der Verbraucher, die Erfordernisse der Entwicklungsländer und eine umfassende Information der Öffentlichkeit sichergestellt werden.
In der mit großer Mehrheit angenommenen Entschließung sprechen sich die Parlamentarier für eine striktere Regulierung der Kennzeichnung von tierischen Produkten bei Verwendung von genveränderten Futtermitteln aus. Bei der notwendigen verbindlichen Kennzeichnung von Saatgut müsse die technische Nachweisgrenze von 0,1 Prozent als das effektivste Mittel gelten, um sowohl ökologische Folgen einzudämmen als auch die Einhaltung von Kennzeich-nungs-Schwellenwerten zu gewährleisten. Da die Erhaltung eines einfachen Zugangs zu gentechnikfreien Lebensmitteln gewährleistet werden soll, setzt das auch voraus, dass die Lebensfähigkeit einer Landwirtschaft ohne GVO langfristig gesichert werden muss. Das gelte auch für den Grundsatz, dass Farmer in der Lage sein müssen, ihr eigenes Erntegut zur Aussaat zu verwenden, um Abhängigkeiten von den großen Saatgutunternehmen, die zunehmend den Markt beherrschen, zu reduzieren.
Klare Regeln werden ebenfalls für die Haftung gefordert, wobei die Frage bleibt, wer die Zusatzkosten zu tragen hat, die mit der Ermöglichung der Koexistenz verbunden sind, wie Abstandsregel oder Anbauregister, die nach dem Verursacherprinzip zu lösen seien. Dazu zählt auch die Einrichtung GVO-freier Zonen. Regionale Zusammenschlüsse zu GVO-freien Zonen sollten möglich sein, um ökologisch sensible Gebiete zu schützen.
Die Initiative der Europaratsversammlung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass in gentechnische Anwendungen hohe Investitionen geflossen sind, die sich für die Unternehmen nun auch rentieren sollen. Neben der großen Zahl weltweit genehmigter Pflanzen- sorten stehen jetzt auch transgene Fische und gentechnisch veränderte Mikroorganismen vor der Markteinführung. Die Erwartungen der Hersteller reichen dabei von der Senkung der Produktionskosten über ausreichende Versorgung der Weltbevölkerung bis zu qualitativ verbesserten Lebensmitteln. Darüber hinaus wird an Verfahren zur biologischen Entsorgung von Schadstoffen geforscht.
Die Versammlung stellt dies nicht in Frage und stuft auch das Gesundheitsrisiko bei den gegenwärtigen GVO als gering ein. Langfristige Auswirkungen auf die Biodiversität aber seien schwer einzuschätzen, zumal es keine allgemein anerkannte Definition eines "ökologischen Schadens" gibt. Daher sei ein Langzeit-Monitoring zwingend notwendig. Das gelte ganz besonders für die Züchtung von transgenen Nutztieren und genetisch veränderten Mikroorganismen, da die gesundheitlichen Risiken für den Menschen (Allergien, ernährungsphysiologische Auswirkungen, Zoonosen) bislang kaum erforschten seien. Unbeantwortet bleibe auch die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, transgene Tiere wegen der Wirtschaftichkeit zu züchten.
Da die Entwicklung kaum aufzuhalten sein wird, sollte wenigstens sichergestellt werden, dass gentechnisch veränderte Nutztiere keinesfalls in offenen Herden gehalten werden. Um Risiken, die von transgenen Fischen auf die umliegenden Ökosysteme ausgehen, gering zu halten, sollte von einer Haltung in Käfigsystemen in offenen Gewässern abgesehen werden. Transgene Pflanzen und Tiere, die Pharmazeutika liefern, sollten nur in geschlossenen Systemen gehalten werden. Zwischen gesundheitsfördernden und therapeutischen Effekten müsse unterschieden werden.
Eine wirksame Regelung wird vor allem dadurch erschwert, dass international sehr unterschiedliche politische Strategien beim Umgang mit GVO angewandt werden. Während in den USA weder eine Trennung der Warenströme noch eine verbindliche Kennzeichnung vorgeschrieben sind und in Brasilien und Mexiko bereits vielfache Vermischungen heimischer Arten festgestellt wurden, hat sich die Europäische Union dafür entschieden, ihre Politik am Vorsorge-Prinzip auszurichten und Produzenten wie Verbrauchern durch eine strenge Genehmigungspraxis dauerhaft Wahlfreiheit zu ermöglichen. Dadurch ist die Etikettierung "GVO-frei" zu einem für Ex- und Import entscheidenden Qualitäts-Kriterium geworden. Obwohl zumindest EU-weit Regelungen bestehen, gibt es Besorgnisse, dass über einzelne Länder in Zentral- und Osteuropa eine schleichende und unkontollierte Verbreitung von GVO erfolgt. Deshalb sollen über den Europarat auf dem ganzen Kontinent vergleichbare Sicherheitsstandards beim Umgang mit GVO als Mindestnorm erreicht werden.
Berichterstatter Wolfgang Wodarg (SPD) wies darauf hin, dass die Diskussion in Mittel- und Osteuropa noch nicht sehr weit fortgeschritten und dass das Problembewusstsein ungleich ausgeprägt sei. Nur in Tschechien und Ungarn gebe es die technischen Vor-aussetzungen, um GVO-Reste in Lebensmitteln nachzuweisen. Bei in Moskau gekauften Lebensmitteln seien Kontaminationen von 30 Prozent nachgewiesen worden, obwohl in Russland der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verboten ist. Diese Situation könne damit im Zusammenhang stehen, dass in den USA im Jahr 2000 30 Millionen Dollar bewilligt wurden, damit die amerikanische "agroniotechnische Industrie" sich in Osteuropa ausbreiten könne.
Während die G 7-Länder soeben vergeblich nach gemeinsamen Initiativen zur Armutsbekämpfung in der Dritten Welt suchten, weist die Versammlung in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Patentsystem zum Schutz geistigen Eigentums keinen fairen Ausgleich zwischen den reichen und den ärmeren Ländern gewährleistet. Das Patentrecht erweist sich als trickreiches Instrument, um Besitzrechte an landwirtschaftlichen Ressourcen zu erwerben. Patente auf biologisches Material verschärfen Abhängigkeiten und bergen die Gefahr von Monopolen und einem Verdrängungswettbewerb zum Nachteil traditioneller bäuerlicher Strukturen.