Rückt der geplante Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) in immer weitere Ferne? Die Frage stellt sich, nachdem das Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) den regierungsamtlichen "Landesentwicklungsplan Standortsicherung Flughafen" (LEP-SF) wegen erheblicher sachlicher Mängel vom Tisch gefegt hat. Angestrengt hatten die Klage die vier brandenburgischen Gemeinden Schulzendorf, Eichenwalde, Großbeeren und Blankenfelde-Mahlow, die den Ausbau des jetzigen Flughafens Berlin-Schönefeld zum neuen BBI ab 2010 nicht hinnehmen wollen.
Die klagenden Gemeinden argumentieren vereinfacht dargestellt: Die Betreiber des neuen Großflughafens (die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund), durch den die Berliner Stadtflughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen werden sollen, haben keine ernsthafte Prüfung von Alternativen zu Schönefeld vorgenommen. Vor allem haben sie den möglichen Standort Sperenberg im Süden Brandenburgs nicht geprüft. Schönefeld war eine politische Entscheidung. Durch den LEP-FS (ein Kürzel, das jedem Bürger in den klagenden Gemeinden geläufig ist) wird die kommunale Selbstbestimmung und Entwicklung in unzulässigerweise eingeschränkt.
In der Tat war es die Aufgabe des LEP-SF, in den Gemeinden um Schönefeld Entwicklungen zu verhindern, die später dem Großflughafen unter Umständen erhebliche Folgelasten aufgebürdet hätten - von Lärmschutzmaßnahmen bis bin zum Abriss neuer Gebäude, die eventuell zu hoch für eine Einflugschneide hätten ausfallen können. Die Umlandgemeinden argumentierten nun vor dem Oberverwaltungsgericht, dass sie praktisch nichts mehr unternehmen könnten, um für die Zukunft zu planen. Dabei geht es um die Ausweisung neuer Baugebiete, die Errichtung von Einkaufzentren und Schulen sowie anderer öffentlicher Einrichtungen.
Zunächst nahm die Betreibergesellschaft des geplanten Großflughafens das vernichtende Urteil des Oberverwaltungsgericht gelassen hin. Die begonnenen Baumaßnahmen, darunter der bereits weit fortgeschrittene Abriss des Dorfes Diepensee, könnten weitergeführt werden. Schließlich basierten diese Maßnahmen auf selbständigen Gutachten und Plänen, die nicht identisch seien mit dem LEP-SF. Entscheidender sei für sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, das in absehbarer Zeit erwartet wird.
Beim Bundesverwaltungsgericht ist die Klage von mehr als 3.000 Bürgern gegen den Planfeststellungsbeschluss zur Standortabwägung anhängig. In dem bislang größten Verfahren des Bundesverwaltungsgericht soll im Sommer eine Eilentscheidung fallen. Das Hauptverfahren ist für 2006 vorgesehen. Das Kalkül der Kläger nach dem Urteil des Frankfurter Oberverwaltungsgerichts ist nun: Ohne gültigen Plan zur Raumordnung gibt es keine gesetzliche Grundlage mehr für den Flughafenausbau. Die für die Planungsgenehmigungen zuständige Potsdamer Landesregierung freilich ist überzeugt, dass sie bei dem in Leipzig beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Planfeststellungsverfahren eine vom LEP-SF unabhängige Standortabwägung vorgenommen habe.
In einer ersten Stellungnahmen zeigte sich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit überzeugt, dass es sich bei dem Frankfurter Urteil nicht um eine Entscheidung gegen Schönefeld handele. Für ihn sei nach wie vor der Planfeststellungsbeschluss wirksam. Inzwischen aber hat Wowereits Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer durchblicken lassen, es müsse untersucht werden, ob man nicht Fehler im vor dem Oberwaltungsgericht gescheiterten Landesentwicklungsplan "heilen" könne. Gleicher Überzeugung scheint nun auch Brandenburgs Verkehrsminister Frank Szymanski zu sein.
Zugleich wird nun intern sehr strittig die Frage dis-kutiert, wer für die Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht verantwortlich ist. Nach außen ist die Gemeinsame Landesplanungsabteilung (GL) von Berlin und Brandenburg verantwortlich, die erst seit einigen Monaten dem brandenburgischen Verkehrsministerium untersteht. Nun will man die rund 100 Mitarbeiter umfassende Abteilung unter Leitung von Gerd Gebhardt personell verstärken.
Offensichtlich ist man sich in Berlin und Brandenburg seiner Sache nicht mehr sicher. Und sollte das Bundesverwaltungsgericht im Sommer per Eilverfahren die Ausbaugenehmigung für die Flughafen bis zur Hauptverhandlung im kommenden Jahr aussetzen, dann könnte dies eine negative Vorentscheidung für den Großflughafen BBI sein, der eigentlich schon längst in Betrieb sein sollte. Nicht nur Gerichtsverfahren verzögerten den Bau, von dem sich vor allem Brandenburg Tausende neuer Arbeitsplätze verspricht, sondern auch große Probleme bei der ursprünglich geplanten privaten Vergabe des Bauauftrags von mehr als einer Milliarde Euro. Jetzt soll der Flughafen zunächst mit Steuergeldern gebaut und nach seiner Fertigstellung privatisiert werden.
Ursprünglich galt Sperenberg im Süden Brandenburgs als Standort für das geplante Flughafendrehkreuz. Aber auch Stendal war im Gespräch. Doch diese Pläne wurden wegen angeblich zu größer Berlin-Ferne verworfen, und 1996 entschied man sich dann für den Ausbau des Flughafens Schönefeld im Südosten von der Hauptstadt. Verschiedene Landesentwicklungspläne folgen. Letzter Plan ist der nun gescheiterte LEP-SF.
"Schlimmstenfalls ist jetzt alles erledigt", gibt sich das CDU-Mitglied Alexander Kazmarek im Berliner Abgeordnetenhaus skeptisch. Für seinen FDP-Kollegen Klaus-Peter von Lüdeke ist das Frankfurter Urteil "der GAU", eben der größte anzunehmende Unfall.
Sollte das Bundesverwaltungsgericht einen vorläufigen Baustopp erlassen, worauf die Kläger nach dem Frankfurter Urteil hoffen, hätte dies erhebliche Bedeutung für den Fortbestand des Flughafens Tempelhof und den notwendigen Ausbau des aus allen Nähten platzenden Flughafen Tegel. Kein Wunder, dass plötzlich wieder vom Luftdrehkreuz Berlin die Rede ist - dieses könnte als Transitflughafen auch in Sperenberg oder Stendal errichtet werden, wenn Tegel und/oder Tempelhof als Stadtflughäfen aufrechterhalten würden. Für Geschäfts- und Politikreisende.
Längst hat sich BBI zu einer unendlichen Geschichte entwickelt, in der das Oberwaltungsgericht Frankfurt/Oder lediglich ein neues Kapitel geschrieben hat. Das nächste wird in Leipzig geschrieben. Und über dem Umland von Schönefeld bleibt weiter die Ungewissheit liegen. Gleiches gilt für Berlin, wo die Flughafenanlieger seit Jahren darauf warten, dass sie vom Fluglärm verschont werden.