Niedersachsens Landtagspräsident Jürgen Gansäuer (CDU) sah sich in der vergangenen Woche genötigt, korrigierend in die Debatte um Nebeneinkünfte von SPD-Abgeordneten einzugreifen. Man müsse strikt zwischen einer juristischen und einer politisch-moralischen Bewertung unterscheiden, sagte er und bezog sich dabei auf den Fall Sigmar Gabriel. Der SPD-Fraktionsvorsitzende geriet unter Druck, weil er 2003 die Beratungsfirma CoNeS gegründet hatte, die von Volkswagen einen Auftrag im Wert von 130.000 Euro erhalten hat.
Gabriel hatte die Nebentätigkeit dem Landtag gemeldet, nicht aber seine geschäftlichen Verbindung zu VW offengelegt. Das sei ein schwerer politischer Fehler gewesen, jedoch kein rechtlicher Verstoß, räumte er selbstbewusst ein und berief sich zu seiner Entlastung öffentlich mehrfach auf eine Erklärung des Parlamentspräsidenten. Gansäuer hatte Gabriel bescheinigt, dass er sich im Rahmen des Abgeordnetengesetzes völlig korrekt verhalten habe, weil er seiner Meldepflicht für die Tätigkeit umfassend nachgekommen sei. Nun stellte der Landtagspräsident klar, dass er für den SPD-Fraktionschef nicht als politischer Entlastungszeuge zur Verfügung stehe. In seiner Funktion als Parlamentspräsident habe er die formalrechtliche Seite geprüft. Als Abgeordneter des Landtags "dürfe und müsse er sich aber auch politisch-moralisch äußern, wenn das Ansehen des Parlamentes in Gefahr zu geraten droht". Und in dieser Hinsicht halte er im Gegenteil die Umstände des geschäftlichen Engagements von Gabriel für "höchst problematisch".
Diese moralische Rüge kann die CDU-Fraktion nun erneut als politische Vorlage nutzen, denn ihr geht es vor allem um den Nachweis unrechtmäßiger Verbindungen zwischen der SPD und Volkswagen. Die Nähe zwischen dem Autokonzern, der IG-Metall und der SPD ist den Regierungsfraktionen schon lange ein Dorn im Auge. "Wir wollen aufklären, wo es Abhängigkeiten und Gefälligkeiten zwischen Volkswagen und SPD-Politikern gegeben hat und gibt", erklärte dazu der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion Bernd Althusmann. Im Falle Gabriels fehle bislang der Nachweis, welche Leistung tatsächlich erbracht worden sei. Es sei kaum glaubwürdig, so Althusmann weiter, dass Volkswagen eine "Zwei-Mann-GbR wie CoNeS" für eine Analyse in europäischer Industriepolitik beauftragen würde. Volkswagen oder Gabriel seien am Zuge, diese Fragen aufzuklären.
Gabriel sieht keine Veranlassung zu weiterem Handeln. "Es ist alles gesagt, alles veröffentlicht, die Stimmung ist gut und es gibt keinen weiteren Gesprächsbedarf in der Fraktion", sagte er am Rande einer Pressekonferenz. Auch der SPD-Landesvorstand hatte sich einmütig hinter ihn gestellt.
In der juristischen Abteilung des Landtags will man sich an weiteren Spekulationen und Verdächtigungen nicht beteiligen. Alle rechtlich relevanten Tatbestände seien geprüft: Danach wurde der VW-Vertrag mit der Firma CoNeS und nicht mit Herrn Gabriel persönlich geschlossen, es gebe keine Zuwendungen, die sich auf das Mandat des Abgeordneten beziehen und keine Hinweise, dass Gabriel Zuwendungen ohne Gegenleistungen erhielt. Insoweit gebe es auch keine konkreten Anhaltspunkte, weiter gegen Gabriel zu ermitteln, hieß es.
Anders liegt der Fall bei den beiden SPD-Abgeordneten Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen. Hier bearbeitet der Landtag zur Zeit konkrete Hinweise, dass sie direkte Zuwendungen von VW erhielten, die nicht durch Gegenleistungen belegt seien. Im März wird der Landtagspräsident entscheiden, ob sie damit gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen haben. Dann könnten auf beide Politiker Rückzahlungen in sechsstelliger Höhe zukommen, ein einmaliger Fall in der deutschen Parlamentsgeschichte. Die im bundesweiten Vergleich besonders strenge Rückzahlungsvorschrift im niedersächsischen Abgeordnetengesetz wurde noch nie angewandt. Die Anwälte der Beschuldigten wollen deshalb ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen lassen.
Die öffentliche Debatte in den drei Fällen zeigt Wirkung. Der VW-Betriebsrat kündigte jetzt an, die Gehälter von Betriebsräten zu kürzen, die in politischen Ämtern stehen. Eine VW-interne Regelung sieht vor, Mitarbeiter weiter zu entlohnen, auch wenn sie ein politisches Mandat annehmen. Gleichzeitig spricht Betriebsratschef Klaus Folkert von einer Kampagne gegen den Autokonzern. Weitere Aufklärung wird von der nächsten Aufsichtsratssitzung bei VW Ende des Monats erwartet, zu der die Landesregierung das Thema Gehaltsaffäre auf die Tagesordnung gesetzt hat. Sollte sich VW hier nicht kooperativ zeigen, scheue die CDU-Fraktion auch nicht den Weg in einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um das Beziehungsgeflecht zwischen dem Konzern und Politikern der SPD aufzudecken, erklärte Bernd Althusmann. Es wäre erst das zweite Mal in Niedersachsen, dass ein Untersuchungsausschuss von einer Regierungsfraktion beantragt würde.