Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker vor.
Rucolasalat mit Kirschtomaten und Pinienkernen an Kerbel-Sekt-Vinaigrette steht als Vorspeise auf der Menükarte. Und während ein vielleicht gerade mal 22 Jahre altes Vorstandsmitglied der Kölner FDP aufgeregt auf dem Auslöser seiner Digitalkamera drückt, setzt sich das an diesem Abend so begehrte Fotomodell gelassen auf die lederne Couch. Christian Lindner plaudert, grüßt in die Runde und geht noch einmal die Anekdote seiner Ansprache durch, die er gleich halten wird: Es geht um einen Zeitungsschnipsel über das miserable Wirtschaftswachstum von Nordrhein-Westfalen.
Der adrett gekleidete Mann mit auffälliger Uhr aus dem Hochpreissegment ist Nordrhein-Westfalens jüngster Landtagsabgeordneter gewesen. Heute 25 Jahre alt, zog er vor fünf Jahren auf Sitz 230 von 231 Parlamentariern in die letzte Reihe des Düsseldorfer Landtags ein. "Eigentlich kam das damals alles ein bisschen überraschend", räumt Christian Lindner ein und spricht vom "Möllemann-Effekt", der die FDP im Mai 2000 mit 24 Abgeordneten ins Parlament katapultierte. Seine Kandidatur sei eher Zufall gewesen, zu viele "Kandidaten mit schon grauen Haaren" hätten sich zur Wahl gestellt. "Ich hatte nie ein besonderes Verhältnis zu Jürgen Möllemann." Doch trotzdem brachte ihm der 2003 verstorbene Fraktionsvorsitzende einen Spitznamen ein, der dem Jungpolitiker bis heute anhängt: "Bambi". Ein bisschen spöttisch, ein wenig liebevoll - "Bambi" steht für "schüchterne, staksige Bewegungen" ("Die Welt") genauso, wie für "vor Selbstbewusstsein strotzendes" Auftreten ("Frankfurter Rundschau"). Doch er bekam auch unbequeme Seiten des Landeschefs der Liberalen mit: "Eines Morgens rief mich Möllemann um 6.30 Uhr an, um zu sagen, dass ich nicht wie gewollt wissenschaftspolitischer Sprecher werden könne", erinnert sich Christian Lindner. Durch biografische Nähe wurde aus Wissenschaft das Kinder- und Familienressort. "Ich bereue das heute nicht. In diesem Arbeitsbereich lernt man alle Aufgabenfelder der Politik kennen", meint Christian Lindner.
Der parlamentarische Start 2000 war zunächst nicht ganz so glorreich, wie "Bambi" ihn sich zuvor ausmalte: "Ich war sehr wechselhaft und wollte am liebsten zu jedem Thema etwas sagen." Nach dem ersten Jahr setzte er jedoch Schwerpunkte, im November 2004 folgte die Wahl zum FDP Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen. Doch den eigentlichen Eintritt in die Welt der Politik unternahm Lindner schon als Teenager, mit 14 Jahren. Er trat den Jungliberalen bei, zwei Jahre später folgte der Übertritt in die FDP. Die Auswahl der liberalen Partei erfolgte nach dem Ausschlussprinzip, sagt Christian Lindner: "Die Grünen waren mir zu pessimistisch, die CDU zu spießig und die SPD einfach nur gleichmacherisch." Die FDP sei optimistischer und würde dem Menschen mehr zutrauen. Von der Wichtigkeit der Politik im Allgemeinen war er schon zu Schulzeiten als Schülervertreter überzeugt. So sei ein Einvernehmen zwischen Lehrern, Schülern und den Eltern immer das Eine gewesen. Das Andere ist, "dass wir für die wirklichen Entscheidungen - und wenn es dabei auch nur um die Umsetzung von Blumenkübeln ging - immer den Stadtrat brauchten", erinnert er sich. Besonders stolz ist Christian Lindner, dass rund zehn Prozent seines Abiturjahrgangs Mitglieder der FDP sind, und einen kurzen Moment scheint nach dem Vorbild Möllemanns ein "Lindner-Effekt" im Raum zu stehen. Eine Volkspartei sei die FDP aber nicht. "Wenn man sich an 50 Prozent und mehr orientieren muss, dann wird eine Partei schnell beliebig. Wir sind und bleiben eine Programmpartei. Das Programm muss zwar für alle annehmbar sein, aber man muss noch lange nicht um jeden Wähler buhlen." Programmatische Defizite sieht Lindner in seiner Partei nicht. Vielmehr gebe es bisweilen ein Kommunikationsproblem. "Die öffentliche Wahrnehmung der FDP ist beschränkt auf spießige Lobbyorganisation und Vertretung von Mittelstandsinteressen", sagt der Jungpolitiker. Die Gedanken der Partei zu einem liberalen Grundverständnis der Gesellschaft und einer liberalen Wertorientierung würden dabei oft verblassen.
Und doch erfüllt auch der jüngste Generalsekretär aller Zeiten die den Liberalen gerne nachgesagten Klischees. Schon mit 18 Jahren gründete er, mitten im Abitur steckend, eine Kommunikationsberatung. Siemens und andere namhafte Unternehmen zählten zu seinen Kunden. Nur wenig später stieg er in ein Softwareunternehmen ein, welches 2002 in die Insolvenz schlitterte. Mehr als zwei Millionen Euro flossen bis dahin in die Moomax GmbH. Aus dem Porsche von damals ist heute ein kleiner BMW geworden.
Doch die Erfahrung bleibt: "Nebentätigkeiten müssen für Abgeordnete erlaubt sein, um auch Erfahrungen mit in das Parlament bringen zu können. Doch es darf daraus kein reiner Nebenverdienst ohne Gegenleistung des Parlamentariers werden." Neben Statements zu allen Feldern der Politik als Generalsekretär hat auch Lindner sein persönliches Themenfeld, die Schulpolitik. "Schulen müssen mit Lehrern eigene Anstellungsverträge machen können und über den Einsatz von Mitteln konkret selbst entscheiden dürfen." Die Frage nach einer grundlegenden Reform der Schulformen bezeichnet er als Gespensterdebatte und plädiert für das Festhalten am dreigliedrigen System.
Das im elektronischen Plastikkalender integrierte Mobiltelefon meldet sich mit beachtlicher Polyphonie, und auch am Telefon klingt Christian Lindner so, wie er beim persönlichen Auftritt wirkt: Zielstrebig und doch kein Mann der lauten Töne. Redegewandt, aber nicht der jugendliche Selbstdarsteller. So verwundert es nicht, dass vor allem 50-jährige Frauen durch den Charme von Christian Lindner ins Schwärmen geraten. "Geil ist, dass er immer ,geil' ist sagt", meint ein Basismitglied des FDP Bezirksverbandes Köln, dessen stellvertretender Vorsitzender Lindner ist. "Ich bin ein Spätaufsteher, nachts sitze ich aber oft bis weit nach Mitternacht noch am Schreibtisch." Sein Studium der Politikwissenschaft, des Öffentlichen Rechts und der Philosophie an der Universität Bonn muss zurückstehen. Freundin Nina studiert Kulturwissenschaft in Leipzig und bekommt ihren Freund nur alle drei Wochen zu Gesicht. "Es gibt kaum eine Woche, in der es weniger als 70 Arbeitsstunden werden", sagt Lindner. Himbeer-Tiramisu sieht das Menü als Dessert vor. Christian Lindner genießt es nicht mehr, er ist wieder auf dem Weg ins Büro. Was der jüngste nordrhein-westfälische Abgeordnete mit dem britischen Premier Tony Blair gemeinsam hat? Den Spitznamen: Auch Blair wurde zu Beginn seiner Amtszeit "Bambi" genannt.