Hand aufs Herz: Gehören Sie auch zu jener Menschengattung, die bereits am frühen Morgen, noch vor dem ersten Kaffee, nach der Schlagzeile auf der Titelseite Ihrer Tageszeitung schielt? Schaffen Sie es abends nicht ohne "heute-journal" oder "Tagesthemen" ins Bett? Stehen Sie am Montag noch vor Sonnenaufgang mit leicht zittrigen Fingern am Kiosk, bis Sie endlich den "Spiegel", "Focus" oder gar "Das Parlament" in Händen halten? Sind Sie ab Donnerstag nicht mehr wirklich ansprechbar, weil Sie so in "Die Zeit" vertieft sind, dass das Geschehen um Sie herum nur noch eine untergeordnete Rolle spielt? Dulden auch Sie neben Sabine Christiansen, Maybritt Illner und Sandra Maischberger keine anderen TV-Göttinnen? Kommen Sie beim Lesen der Tageszeitung regelmäßig nur schwer über den Politik-Teil hinaus?
Dann ist Vorsicht angesagt! Auch wenn Sie es nicht gerne hören, Sie sind gefährdet - extrem suchtgefährdet. Ja, Politik ist eine Droge, wenn auch eine süße, wie uns der WDR am vergangenen Mittwoch zu fortgeschrittener Stunde in seiner 45-minütigen Dokumentation "Im Rausch der Macht" eindringlich vor Augen führte. Als Kronzeugen sagten eine Reihe prominenter Polit-Junkies aus, die sich mehr oder minder offen zu ihrem Suchtproblem bekannten: "Ich bin süchtig, politiksüchtig" (Horst Seehofer), "Wenn mich auf fünf Schritten keiner erkennt, werde ich depressiv" (Heide Simonis) oder "Die Öffentlichkeit ist ein Stück Rausch, natürlich" (Helmut Kohl).
Achtung, liebe Leserinnen und Leser, auch wenn Sie nicht zur politischen Klasse gehören, der Stoff als solcher, den sie tagtäglich konsumieren, ist ein harter, ist keine softe Droge! Schnell rutscht man rettungslos in Parallelwelten ab: "Das ist das Agieren und Leben auf Seite eins in der Schlagzeile" (Joscka Fischer). Lassen Sie sich von Verharmlosungen wie "Das ist die Begeisterung für die Demokratie" (Wolfgang Thierse) nicht in die Irre führen. Einmal angefixt kommen Sie nicht mehr los von dem Zeug. Fragen Sie mal eine Ministerin oder einen Parlamentarier nach der Abwahl - Polit-Abstinenz ist so grausam wie ein kalter Entzug.
Doch nun wird endlich dieser heimtückischen Droge der Kampf angesagt. Die ARD-Programmdirektoren reagierten bereits: Sie wollen in ihren Sendeanstalten gnadenlos aufräumen mit dem unverantwortlichen Dealen und planen deshalb in einem ersten Schritt die Sendezeit ihrer Politmagazine wie "Monitor", "Panorama", "Report" oder "Kontraste" von derzeit 45 auf 30 Minuten Sendezeit zu beschneiden. Auch im Europäischen Parlament in Straßburg berät zur Stunde eine Selbsthilfegruppe von Abhängigen, ob politische Printmedien - ähnlich wie Zigarettenpackungen - mit Warnhinweisen ("Das Lesen politischer Artikel gefährdet die Gesundheit - fangen Sie erst gar nicht an") versehen werden sollen. Bis zu einem Drittel der Titelseite sollen diese schwarz umrandeten Warnhinweise einnehmen. In diesem Sinne: Bleiben sie clean!