Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellte einige Jungpolitiker vor:
Angela Greulich umgreift einen schulterhohen Stapel brauner Kartons, als wolle sie ihn liebkosen. Ihn. Die Kartons stehen an einer Bürowand in der Zentrale der Münchner und bayerischen SPD, über denen ein überlebensgroßer Willy Brandt wie beiläufig hängt; hängt, nicht schwebt. Das Bild zeigt den Altkanzler, wie er im Jeanshemd Mandoline spielt und cool eine Zigarette im Mundwinkel dahinglimmen lässt. Es ist von Beginn der 70er-Jahre auf dem mutmaßlichen Höhepunkt seiner Macht, seines Ansehens, seines Ruhms, jedenfalls weit vor dem ersten Lichteinfall, den Angela Greulichs blaue Augen im Sommer 1979 in München abbekamen. Seit zwei Jahren ist sie stellvertretende Landesvorsitzende der bayerischen Jungsozialisten. Brandt benennt sie als einziges ihrer vielen Vorbilder. "Ich bin da nicht so fixiert", sagt sie. Aber Brandt sei ja ein Klassiker. Sie sagt das nüchtern, routiniert, selbstverständlich. 2000, als sie der SPD beitrat, war der Klassiker schon knapp acht Jahre tot. Ausgangspunkt ihres politischen Engagements war Langeweile. Die Lehre als Werbekauffrau habe ihr nichts gegeben. "Sachen an Leute verticken, die sie doch nicht brauchen." Sie brauche aber, wenn sie in der Früh aufstehe, ein gewisses Ziel vor Augen. Sie hat zunächst versucht, bei amnesty international eine Aufgabe zu finden. Dabei hat sie allerdings feststellen müssen, dass die Themen doch einerseits eng begrenzt sind, andererseits die so genannten NGOs sich immer auf andere verlassen müssen: auf Verstärker, auf Politiker oder Journalisten, die ihre Themen an die Öffentlichkeit bringen sollen. "Da muss man immer als Bittsteller auftreten, hat aber keinen direkten Einfluss." Sie habe gemerkt, dass man nur in der Politik unmittelbar etwas bewirken kann, "weil man da am längeren Hebel sitzt". Sie ist Idealistin und Pragmatikerin zugleich. Soziale Gerechtigkeit heißt ihr hehres, großes, allgemeines Ziel, für das sie kämpfen will. Aber eben nicht in einem Luftschloss oder mühsam und erfolglos gegen irgendwelche Windmühlen, sondern von Positionen aus, die ihr Einfluss gewähren. Sie ist Tochter eines Sozialpädagogen, der sich als Streetworker um besonders schwierige Jugendliche kümmert. So musste sie nicht lange überlegen, welcher Partei sie sich zuwendet. "Die SPD war ohne Konkurrenz." Vielleicht aber haben auch Kindheit und Jugend in tiefschwarzer Provinz, im oberbayerischen Wallfahrtsort Altötting, den Sinn für Schwächere und Minderheiten geschärft. Sie hat die Provinz nach dem Abitur schnell Richtung Geburtsstadt München verlassen. An der Ludwig-Maximilians-Universität studiert sie mittlerweile im achten Semester Volkswirtschaft. Sie schätzt den Überblick, sie liebt das Wort Rahmenbedingung, und wenn die Sprache auf wichtige Aufgaben der nächsten 20, 30 Jahre kommt, nennt sie den Aufbau eines einheitlichen Sozialstaates auf EU-Ebene. "Momentan haben wir das Problem, dass die Staaten sich runterkonkurrieren mit verschiedenen Kapital- und Einkommenssteuersätzen, so dass es ein sogenanntes race to the bottom gibt." Mit den Schlussworten fallen ihre Finger ineinander, die Ellenbogen sind auf den Tisch gestützt. Ihr schwarzer Rollkragenpullover verstärkt den Anschein einer klösterlichen Betschwesterstrenge. Natürlich rechnet sie sich dem linken Flügel zu - "ganz klar" - , zu dem der so genannten Traditionalisten. Natürlich hat sie große Bedenken gegen die Reform des Sozialstaats, wie sie die Bundesregierung betreibt. "Mir gefällt die Schieflage nicht. Mich stört das Klischee vom faulen, daheimsitzenden Arbeitslosen, vor allem aber: dass der Faktor Kapital überhaupt nicht in die Verantwortung gezogen wird." Ginge es nach ihr, würden die Gewinne einerseits stärker besteuert, andererseits sich die Löhne an ihnen ausrichten. Vor zwei Jahren war sie maßgeblich an dem Mitgliederbegehren beteiligt, welches eine Gruppe um den jungen Bundestagsabgeordneten und damaligen bayerischen Juso-Vorsitzenden Florian Pronold gegen die Agenda 2010 anstrengte. Vergeblich. Ob sie damals ernsthaft an einen Erfolg geglaubt habe? Angela Greulich schiebt sich mit dem Rollenstuhl etwas vom Tisch und sagt dann im Heranziehen: "Wir haben vielleicht zu wenig Überzeugungsarbeit geleistet bei Mandatsträgern. Da hatten im Vorfeld auch mehr zugesagt. Trotzdem glaube ich, war das Begehren ein Erfolg, weil deutlich wurde, dass es innerhalb der Partei eine Diskussion gibt, dass nicht alle Leute gleich ticken." Auch wenn ihr an der SPD vieles nicht gefällt, sie aufregt, dass Schröder wie Müntefering ohne große Linie, ohne Konzept agieren, stattdessen ständig auf Stimmungslagen schielen würden, hält sie nichts von linken Neugründungen: "Das schwächt uns rein mathematisch. Als Splitterpartei habe ich keinen Einfluss." Es sei daher noch immer die bessere Alternative, innerhalb der Partei Kritik anzubringen. Und so wünscht sie sich auch für 2006 einen Sieg der Regierungskoalition: "Wir sind das geringere Übel. Und ich glaube, das fühlen die Leute auch." Angela Greulich geht es um Inhalte, weniger um ihre Person, schon gar nicht um Personen. Wer da zum Beispiel in München 2008 die Nachfolge von OB Christian Ude antreten könnte, interessiert sie "überhaupt nicht", sagt sie nachdrücklich. Es geht ihr mehr um Einfluss als um bloße Macht. Sie will was verändern und "nicht mein Gesicht vor Kameras halten". Sie will kontrollieren, was sie tut, die Fäden in der Hand halten. "Das bin nun einmal ich." Dabei lacht sie, als ob sie ihre eigenen Worte überrascht hätten. Das sind Momente, in denen sie ihre Strenge, ihre Selbstkontrolle verliert, und sie fast wie ein Mädchen wirken lassen. So wie vor dem Foto mit dem Freizeit-Brandt, der auch Männer verstehen lassen könnte, warum ihn Frauen verehrten. Das, was da ungezügelt für einen Augenblick durchscheint, fängt sie sofort wieder ein, indem sie die Frage nach der Wirkung Brandts als Frauenheld im Jahr 2005 ignoriert. Sie schweigt.