Der Stand auf dem Wochenmarkt wird zur Wechselstube. Für 20 Euro tausche ich meine ersten 20 "Berliner" ein - gestückelt in einen grünen Zehner, einen blauen Fünfer und fünf orangefarbene Ein-Berliner-Scheine. Auf alle Scheine ist "August 2005" gestempelt. Bis dahin behalten sie ihren vollen Wert, danach müsste ich sie mit einigen Prozent Abzug gegen neue umtauschen. In derzeit rund 50 Geschäften, die zumeist im nahen Umkreis des Wochenmarkts auf dem Berliner Kollwitzplatz liegen, kann ich mit ihnen ganz normal einkaufen. Biofleisch und schmackhafte alte Apfelsorten im Biosupermarkt, Keramik und kleine Kunstgegenstände im Töpfercafé, aber auch edle Seifen und ausgefallene Schwämme im Fachladen für Badezimmerzubehör.
Seit Anfang Februar kursiert im Berliner Szenestadtteil Prenzlauer Berg die neue Regionalwährung. Ausgegeben werden die Scheine jeden Donnerstag am Marktstand der Umweltorganisation Grüne Liga, wo sie zum Kurs von Eins zu Eins gegen harte Euros eingewechselt werden. In den ersten zwei Wochen haben Interessenten an der neuen Regionalwährung bereits rund 4.000 Euro gegen "Berliner" eingewechselt, darunter auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der seit Jahrzehnten im Kiez wohnt.
Und um den Kiez geht es auch dem Verein Berliner Regional, der hinter der Ausgabe der neuen Geldscheine steht und der zunächst 200.000 "Berliner" drucken ließ und in Umlauf bringen möchte. "Mit dem Berliner wollen wir die Gewerbetreibenden unterstützen, die hier im Stadtteil arbeiten", sagt Gerhard Bächer vom Verein Berliner Regional. "Einerseits könnte eine solche Währung das Kiezgefühl fördern, andererseits sorgt unser Ausgabesystem dafür, dass die Verbraucher ihre Berliner hier im Kiez ausgeben und dadurch die lokale Wirtschaft fördern."
Rund 50 Initiativen für die Ausgabe von Regionalwährungen existieren derzeit in Deutschland, vernetzt über die Internetseite "www.regionetzwerk.org". Etwa zehn von ihnen haben ihre Pläne bereits in die Tat umgesetzt. Als erfolgreiches Vorbild gilt ihnen der "Chiemgauer", der seit Jahresbeginn 2003 in der bayerischen Stadt Prien im Umlauf ist und dort von nahezu 300 Anbietern akzeptiert wird. Andere Regionalwährungen heißen "Roland" (Bremen), "Elbtaler" (Dresden) oder "Wendländer" (Hitzacker).
Die Idee hinter den Parallelwährungen ist jedoch viel älter. Die Initiativen berufen sich auf die Überlegungen des Finanztheoretikers Silvio Gesell, der vor dem Ersten Weltkrieg eine umfassende Kritik am Zinssystem formuliert hat. Dieses würde, so die Ansicht der Kritiker, enorm viel Geld aus den Wirtschaftskreisläufen entziehen und das Wirtschaftssystem fast zwangsläufig in große Krisen hineintreiben. Daher haben die alternativen Währungen ein Verfallsdatum - das Geld soll nicht gehortet, sondern ausgegeben werden, damit Bewegung in die Wirtschaftskreisläufe kommt. Abgelaufene "Berliner" können zwar in neue umgetauscht werden, doch sind dann Prozente fällig. Ebenso kostet es fünf Prozent vom Gutscheinnennwert, wenn "Berliner" in Euro rückgetauscht werden.
Die Anhänger der Regionalwährungen verweisen gern auf das Beispiel der Tiroler Gemeinde Wörgl, in der 1932, mitten in der Weltwirtschaftskrise, eine Regionalwährung so erfolgreich funktionierte, dass die Arbeitslosigkeit am Ort in kurzer Zeit spürbar verringert werden konnte. Die Alternativwährung entwickelte so eine Zugkraft, dass die Österreichische Nationalbank ihre Konkurrenz schließlich verbieten ließ.
Die Betreiber des "Berliner" backen etwas kleinere Brötchen. Gerhard Bächer betont: "In der Stadt sind die Umgangsweisen zwar anonymer als auf dem Land", meint er, "und daher müssen wir uns stärker bemühen, die Sache bekannt zu machen. Doch die Leute in der Großstadt sind vielleicht etwas aufgeschlossener für neue Ideen." Für die Parallelwährungen interessieren sich Initiativen aus verschiedenen Gründen - und mit durchaus unterschiedlichem weltanschaulichem Background. Im Regionetzwerk sind vor allem Gruppen aus dem linksalternativen Spektrum versammelt, doch die lokalen Alternativwährungen sind auch Diskussionsthema in Internetforen aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum - manchmal auch mit antisemitischen Untertönen, etwa wenn dabei gegen das "internationale Finanzsystem" geht.
Hinter der Initiative in Berlin steckt eine gute Portion Globalisierungskritik. "Durch unser Konsumverhalten können wir steuern, welche Art der Wirtschaft wir unterstützen möchten", meint Gerhard Bächer. "Die Nachfrage bestimmt das Angebot, und wenn immer mehr Verbraucher auf lokale Produkte setzen, dann wird das nach und nach auch größere Anbieter und sogar die Discounter beeindrucken."
Jetzt, da die Idee noch in den Kinderschuhen steckt, sind es zunächst vor allem Geschäfte aus dem alternativen Spektrum, die den "Berliner" akzeptieren. Wie das Keramik-Café Sisters, das direkt am Kollwitzplatz liegt. "Wir versprechen uns vom Berliner neue Kunden und auch etwas PR", meint Daniela Koch, Mitinhaberin des kleinen Ladens, in dem man Keramik aus eigener Herstellung kaufen, Töpferkurse belegen oder einen Milchkaffee schlürfen kann. Bislang seien rund 80 "Berliner" bei ihr ausgegeben worden.
Damit die Gewerbetreibenden die "Berliner", die ihnen die Kunden in die Kassen treiben, auch selbst verwenden können, bemühen sich die Initiatoren jetzt darum, Großhändler für ihre Idee zu gewinnen. Und als letzte Stufe, so erklärt Gerhard Bächer, müssten dann auch die Erzeuger einbezogen werden, etwa die Biolandwirte im Umland. Dann wäre der Geldkreislauf geschlossen. Doch klingt das nicht etwas zu ehrgeizig? "Ach, wissen Sie, als wir mit der ganzen Sache anfingen, haben wir nicht ahnen können, welche Eigendynamik das annimmt", meint Gerhard Bächer. "Inzwischen halte ich nichts mehr für ausgeschlossen."