Die Angst geht um in der Republik China auf Taiwan (ROC). Die für den 14. März geplante Verabschiedung des Anti-Abspaltungsgesetzes durch den in Peking tagenden Volkskongress lehnen 82,3 Prozent der auf Taiwan lebenden Menschen ab. Dies geht aus einer Meinungsumfrage hervor, die das Wahlforschungsinstitut der Chengchi Universität in Taipeh Ende Februar durchgeführt hat. Die häufigste Begründung: Das Festland legalisiere damit einen Krieg gegen den Inselstaat.
Was Peking jetzt macht, ist bedeutend mehr als das fast schon ritualisierte Säbelrasseln gegen den kleinen Bruder, was die kommunistischen Machthaber immer dann veranstalteten, wenn ihnen etwas auf der "abtrünnigen Provinz", für das die Republik jenseits der Taiwan-Straße gehalten wird, nicht passte. So gab es in den vergangenen Jahren vor Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen in der ROC konzentrierte Aufmärsche der Volksbefreiungsarmee in Südchina, Kriegsschiffe wurden in Bewegung gesetzt, um damit zu drohen, die Seewege zu blockieren. Auch Raketen wurden gegen Taiwan in Stellung gebracht und hin und wieder wurde auch schon mal eine gezündet, ohne jedoch tatsächlich materiellen Schaden anzurichten. Die Nerven der Taiwaner waren jeweils bis zum Zerreissen gespannt. Dennoch ließ sich die politische Führung - früher unter der konservativen Kuomintang und jetzt unter der Demokratischen Fortschritts-Partei unter Präsident Shen Shui-bian - nicht provozieren.
Peking dreht inzwischen die Kriegsschraube kräftig weiter - trotz gewisser verbaler Besänftigungen in Richtung Europa. Schließlich sollen die Länder der EU das Waffenembargo aufheben, welches im Zusammenhang mit der blutigen Niederschlagung der Demonstrationen auf dem "Platz des Himmlischen Friedens" 1989 verhängt wurde. Und so wiegelt man dort ab: Peking strebe eine friedliche Wiedervereinigung auf der Grundlage "ein Land, zwei Systeme" an. Doch die Tonlage wird sofort schärfer: Sollten aber diese Bemühungen nicht zum Erfolg führen, wäre der Einsatz militärischer Mittel die letzte Option, unterstrich Wang Zhaoguo, Vizepräsident des Nationalen Volkskongresses. Festland-China geht jetzt also in Inhalt und Form über das bekannte Säbelrasseln hinaus. Wurde bisher indirekt Gewalt nicht ausgeschlossen, wird nun direkt mit dem Einsatz militärischer Aktionen gedroht.
Diese Verschärfung der Haltung ist eine Reaktion auf das nach Ansicht Pekings zunehmende Unabhängigkeitsbestreben Taiwans. Taipeh wird gewarnt, bei der dort bis 2008 geplanten Verfassungsreform nicht zu weit zu gehen. Peking befürchtet, die dafür geplante Volksabstimmung könnte ein Ergebnis bringen, dass die Formel "ein Land, zwei Systeme" hinfällig würde. Taiwan solle sich hüten, so Wang, "Fehlkalkulationen" einzugehen, Peking könne sich wegen der dort 2008 stattfindenden Olympischen Spiel zurückhalten.
Die Regierung in Taipeh verurteilte das Anti-Abspaltungsgesetz. Eine Sprecher des Festlandrates erklärte, es enthülle die wahre Absicht Pekings, Taiwan mit Waffengewalt einzunehmen. Dieses Gesetz sabotiere den Frieden und die Stabilität in der Region. Allerdings goss auch Ministerpräsident Frank Hsieh Öl ins Feuer. Vor dem Parlament in Taipeh unterstrich der Politiker, er würde als Reaktion einer Streichung der ersten sechs Artikel der alten Verfassung zustimmen, die den Namen "Republik China" und die Zugehörigkeit zu China festschreibe. Dies würde von Peking wiederum als Unabhängigkeitserklärung angesehen.
Nach Meinung Taipehs wird vom Festland die Wiedervereinigung als die einzig geltende Option in den Beziehungen beiderseits der Taiwanstraße gesehen. Das Gesetz würde einseitig die Bedeutung, das Ausmaß und die juristischen Folgen von "anti-separatistischen Aktivitäten" definieren. Es würde festlegen, welche Handlungen und Bedingungen die De-facto-Unabhängigkeit und so die Abspaltung von China begründen. Weiterhin gebe es Richtlinien für die Behandlung von "Separatisten" vor, während und nach dem möglichen Gebrauch von Gewalt gegen Taiwan. Nach Auffassung Taipehs ist es ein "Ermächtigungsgesetz", mit dem der Krieg legalisiert werde. Es würde der Volksbefreiungsarme und der bewaffneten Polizei gestatten, das "Taiwan-Problem" mit nicht-friedlichen Mitteln zu lösen. Zugleich würde es das Ganze zur "inneren Angelegenheit" Chinas erklären und darauf bestehen, dass keine ausländische Macht sich in der Taiwan-Straße einmische.
In einer Videokonferenz mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments betonte Präsident Chen Shui-bian, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes eine einseitige Handlung Festland-Chinas sei und auf die Veränderung des Status quo in der Taiwan-Straße abziele. Es schaffe sich damit eine gesetzliche Grundlage, den Status quo zu definieren und gebe Peking damit gleichzeitig die Rolle des Spielers und des Schiedsrichters. Er wandte sich auch gegen eine Aufhebung des Waffenembargos der EU-Mitgliedsstaaten gegen China. Die Aufhebung würde ein falsches Signal senden und führe zu einmem militärischen Ungleichgewicht zugunsten Chinas. Chen forderte dazu auf, die von Peking abgebrochenen Gespräche mit Taipeh wieder aufzunehmen. Der Präsident unterstrich aber auch, die Republik China sei ein souveräner Staat. In seiner Amtszeit werde es jedoch keine Unabhängigkeitserklärung und auch keine Änderung des Staatsnamens geben.
In eben dieser Videokonferenz betonte Ministerpräsident Hsieh, Taiwans Chinapolitik basiere auf den zwei Säulen des Festhaltens am Frieden sowie dem gegenseitigen Respekt und der Gleichberechtigung. Die internationale Staatengemeinschaft forderte er auf, mehr auf Stabilität und Frieden in der Taiwan-Straße zu achten. Von Peking verlangte er, mehr zum Frieden beizutragen und die ständigen Drohungen gegen Taiwan zu unterlassen.