Zoff ist natürlich ideal zum Start eines Buchs. Peter Bofinger trieb als Unruhestifter unter den fünf "Wirtschaftsweisen" mit einer nervenden Kritik am modischen neoliberalen Zeitgeist Wolfgang Wiegard zum Rücktritt vom Vorsitz des Gremiums. Seither polemisieren die Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung heftig gegeneinander. Wiegard wirft Bofinger vor, von Steuerpolitik "überhaupt nichts zu verstehen". Kollege Wolfgang Franz stempelt das schwarze Schaf als "nicht teamfähig" ab. Bofinger wiederum, der gegen weitere Senkungen der Unternehmenssteuern und für höhere Löhne ficht, bescheinigt seinen Kollegen eine "Kartoffelmarkt-Philosophie".
Seit Monaten liegen sich der Würzburger Volkswirtschafts-Professor und die etablierte Zunft der Angebotstheoretiker, zu deren prominenten Vertretern auch Hans-Werner Sinn vom Ifo-Instituts zählt, in den Haaren. Das Publikum hört und liest meist Schlagwörter über den Streit zwischen Kaufkraftstärkung zwecks Wirtschaftsankurbelung und Kostensenkung in den Unternehmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Nun präsentiert Bofinger seine Diagnose und Therapie des Patienten Deutschland in einem schlüssigen Zusammenhang - der bislang massivste Angriff auf die dominierende Position der Neoliberalen.
Bofinger bekennt sich nicht nur offensiv als Keynesianer. Mit intellektueller Raffinesse beruft er sich auch auf Altkanzler Ludwig Erhard und dessen Loblied auf eine "konsumfreudige Bevölkerung", weil nur der "Wille zum Verbrauch" eine "optimal ausgelastete Wirtschaft" ermögliche. Erhards Losung "Wohlstand für alle" stellt Bofinger der modernen Leitlinie "Armut für viele" gegenüber, zu deren markanten Urhebern er Sinn rechnet.
Solch würzig zugespitzte Attacken machen Spaß beim Lesen; der Autor giftet gegen den "Kult des Sparens" oder gegen "Hobby-Ökonomen" in Talkshows. Respektlos outet er auch hinter Bundespräsident Horst Köhlers Aufruf zu "Eigenverantwortung" und "Risikobereitschaft" nichts anderes als Sozialabbau.
Bofinger kann ohne Verzicht auf inhaltlichen Tiefgang verständlich schreiben und seine Analysen mit Grafiken und Tabellen anschaulich illustrieren. So wird die Lektüre trotz einer geballten Ladung Wissenschaft nie ermüdend, bleibt vielmehr stets spannend.
Unternehmenssteuern immer weiter runter, die Sozialversicherung beschneiden, Löhne reduzieren (auch über längere Arbeitszeiten ohne Gehaltsausgleich), Staatsausgaben kappen, Zahlungen an Erwerbslose drastisch kürzen, weg mit dem Kündigungsschutz: Jahr für Jahr fordern dies Neoliberale zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, so würden Investitionen stimuliert und Arbeitsplätze geschaffen. Bofinger widerspricht nicht nur mit Logik und statistischen Details, er verweist auch auf die Realität als Gegenargument:
Seit der Inthronisierung Helmut Kohls als Kanzler 1982 dient die deutsche Ökonomie bis heute als Experimentierfeld für die angebotsorientierte Politik - doch der Erfolg bleibt aus, die Erwerbslosigkeit steigt unaufhörlich. Die hiesigen Unternehmenssteuern zählen zu den niedrigsten in Europa, und Rekorde beim Export deuten nicht gerade auf eine Konkurrenzschwäche der Unternehmen als Folge zu hoher Kosten hin.
Es bereitet Bofinger Vergnügen, einfach solche Fakten sprechen zu lassen. Für ihn krankt die Bundesrepublik an mangelnder Binnenkaufkraft, vor allem an zu niedrigen Löhnen, auch an zu geringen Staatsausgaben für Investitionen, am Druck auf die Nachfrage durch die immer stärkere Belastung von Versicherten mit Gesundheitsausgaben und mit privater Vorsorge für die Rente.
"Ohne Moos nix los": Besonders mit der Forderung nach einer spürbaren Anhebung der Löhne mindestens in der Höhe der Produktivitätsfortschritts zur Kaufkraftankurbelung bürstet der Wissenschaftler gegen den Strich. Unternehmenssteuern zumindest nicht weiter senken und bei manchen Abgaben auch wieder anheben, gutverdienende Eliten als Gewinner der Globalisierung über höhere Steuern stärker zur Finanzierung der Sozialversicherung und des Bildungswesens heranziehen: All das ist starker Tobak für die Mainstream-Gilde.
Kräftiges Wachstum soll Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Sozialsysteme und Staatskasse zwar nicht schlagartig auf Vordermann, aber doch Schritt für Schritt sanieren. Natürlich lässt sich Kritik an Bofingers Konzept anbringen. Die Probleme massiver Staatsverschuldung bleiben eher im Hintergrund der Betrachtung. Über negative Folgen eines unaufhörlichen Wachstums für die Umwelt geht der Autor etwas leichtfüßig hinweg mit dem Hinweis, wohlhabende Menschen und Gesellschaften seien ökologisch sensibler als die meisten armen Leute.
Die Thesen des wackeren Außenseiters, auch ein Protest gegen die gängige Unterwerfung unter die vorgeblich waltenden "Zwänge der Globalisierung" (Sinn), sind im Kern nicht neu. Doch das Buch präsentiert eine auf die heutige Zeit zugeschnittene keynesianische Politik in einer bislang nicht gekannten argumentativen Dichte und Faktenfülle. Eine Fundgrube für alle, die Munition für den Clinch mit dem neoliberalen Zeitgeist suchen.
Peter Bofinger
Wir sind besser, als wir glauben.
Wohlstand für alle.
Verlag Pearson Studium, München 2005; 284 S., 19,95 Euro
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.