Der Journalist Gösta Block kannte sich in Deutschland mindestens so gut aus wie in seiner schwedischen Heimat. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er auf Seiten der Deutschen an der Westfront, gab, nach Stockholm zurückgekehrt, eine deutsch-schwedische Kulturzeitschrift heraus, war 1939 an der deutschen Botschaft in Stockholm angestellt und siedelte 1942 nach Berlin über, um beim Reichsrundfunk zu arbeiten. Bald danach kehrte er jedoch enttäuscht nach Schweden zurück.
Dort fühlte er sich gedrängt, seinen Meinungsumschwung in einem Buch im Eigenverlag bekanntzumachen. Die Verhältnisse in Deutschland seien für niemanden paradiesisch, schrieb er, "aber für einige sind sie die Hölle". Das gelte vor allem für die Juden, die für die deutschen "Herrenmenschen" jetzt "Freiwild" seien. Block zählte all die Einschränkungen auf, denen sie unterworfen waren. Als das Schlimmste empfand er, dass die Deutschen "abstumpften", dass sie bei den Schikanen, die sich selbst in ihrer Nähe ereigneten, einfach wegschauten.
Blocks Text ist einer von 50 Beiträgen ausländischer Schriftsteller, Politiker und Diplomaten, die zu unterschiedlichen Zeiten das "Dritte Reich" besucht hatten; einige werden zum ersten Mal in deutscher Sprache veröffentlicht. Natürlich wurde nach Beginn des Krieges nur noch "linientreuen" Beobachtern die Einreise nach Deutschland erlaubt. Viele von ihnen, die anfangs für die Deutschen eingenommen waren, änderten während des Besuchs ihre Meinung, so wie Block es tat, und wandten sich angesichts der Realitäten von dem Land ihrer Sehnsucht ab.
Charakteristisch für diese Haltung ist der Reisebericht des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, der sich verzweifelt bemühte, über dem barbarischen NS-Regime das klassische Deutschland von Goethe, Bach, Dürer und Kant nicht zu vergessen. Er war 1935 in Deutschland und redete sich ein, die Deutschen seien ein "junges, gärendes Volk", das noch zu der "Ausgeglichenheit der Franzosen" und anderer älterer Völker finden müsse. "Empörend" fand er den "Selbstruhm", mit dem die Deutschen die eigene Rasse erhöhten, "um alles andere in den Schmutz zu stoßen". Diesem "übersteigerten Selbstwertgefühl" stehe eine Sucht nach "Selbstbezweifelung" gegenüber, die in "Selbstzerfleischung" ausarten könne.
Zu den Enttäuschten gehörte auch der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe, der in Deutschland ebenfalls seine geistige Wahlheimat sah. Im Jahr 1936 kam er zur Olympiade nach Berlin, wo er, da er bereits berühmt war, hofiert, bewundert und umschmeichelt wurde. Seine Ernüchterung spiegelte sich in der Kurznovelle "I Have a Thing to Tell You" wieder, in der er von einer Bahnreise erzählt, bei der nach dem Grenzübertritt einer der Mitreisenden von deutscher Grenzpolizei verhaftet und unter flehentlichen Rufen abgeführt wurde. Es stellte sich heraus, dass der Mitreisende ein Jude gewesen war. Deutschland sei für ihn ein "Märchenland von betörender Schönheit" gewesen, schrieb Wolfe, aber nun habe er es "verloren" und werde nie mehr dorthin zurückkehren.
Der Herausgeber kann eine Liste beeindruckender Namen von Autoren wie Jean Paul Sartre, Samuel Beckett, Virginia Woolf, Jean Genet, Karen Blixen, Vladimir Nabokov, Albert Camus und Sven Hedin aufführen. Nicht alle sind so aufschlussreich, dass man sich ein Bild über ihre Meinung machen könnte, andere Namen wie Knut Hamsun vermisst man. Sie erfüllten nicht die Auswahlkriterien, die Lubrich an die Beiträge anlegte und bei denen, wie er selbst einräumt, eine gewisse Unvollständigkeit unvermeidlich ist. Immerhin vermittelt der Sammelband den Eindruck, dass viele Deutsche im Dritten Reich über Dinge hinwegsahen, die ausländische Beobachter registrierten, und dass sie hätten erkennen können, was sie selbst nach dem Krieg noch leugneten.
Eine der eindrucksvollsten Augenzeuginnen ist die Tochter des damaligen amerikanischen Botschafters in Deutschland, Martha Dodd, die von 1933 bis 1937 in Berlin lebte. Sie kam zu dem Schluss, die Judenpolitik der Nazis werde in einer "planmäßigen Vernichtungsaktion" enden. Hitler, dem sie bei einem arrangierten Abendessen begegnete, arbeite seit der Machtergreifung "zielstrebig auf die Liquidierung des deutschen Judentums" hin. In seinen "brennenden, irrsinnigen Augen" wollte sie die "furchtbare Zukunft Deutschlands" erkannt haben.
Es sind Beobachtungen qualifizierter Besucher, die den Vorteil hatten, ein Land wieder verlassen zu können, das den eigenen Staatsbürgern die freie Wahl der Ausreise verweigerte.
Oliver Lubrich (Hrsg.)
Reisen ins Reich 1933 - 1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland.
Die Andere Bibliothek, Band 240.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2004; 400 S., 30,- Euro
Klaus Dreher war viele Jahre Bonner Büroleiter der
"Süddeutschen Zeitung".