Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes huldigten viele Österreicher geraume Zeit der Auffassung, selbst zu dessen Opfern zu gehören, und vermieden jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten im Dritten Reich. So kam es, dass der Widerstand gegen die Nazidiktatur, den es selbst in Österreich gegeben hat, nahezu in Vergessenheit geriet. Zu jenen, die Widerstand geleistet haben, gehört Irene Harand. Erst Ende der 60er-Jahre wurde sie als Vertreterin eines christlich-konservativ geprägten Widerstandes und damit auch ihre "Weltorganisation gegen Rassenhass und Menschennot" wieder entdeckt. Erst die Öffnung der bis in die 90er-Jahre hinein unzugänglichen Moskauer Archive ermöglichte eine Einsicht in die Aktenbestände der Harandbewegung und damit eine umfassende Annäherung an die ehemalige Widerstandskämpferin.
Wie konnte sich eine behütet aufgewachsene Frau aus dem gehobenen Mittelstand im einst antisemitisch geprägten Wien gegen die damaligen Zeitverhältnisse erheben? Tatsächlich hatten Politik und Wirtschaft die am 7. September 1900 in Wien geborene Irene Harand zunächst wenig interessiert. Wohl aber war es für sie von Anfang an wichtig gewesen, die Grundsätze der Religion, insbesondere das Gebot der Nächstenliebe, nicht nur zu bejahen, sondern auch zu leben.
Ende der 20er-Jahre wurde sie von dem jüdischen Rechtsanwalt Moriz Zalman aus ihrem bisherigen unpolitischen Dasein herausgerissen. Mit ihm gründete sie eine eigene Partei, die erste "Österreichische Volkspartei", und begann ihren Kampf gegen Antisemitismus, Nationalsozialismus und Rassenhass. "Mit Hitler darf es keine Kompromisse geben", hieß eine ihrer Devisen, eine andere: "Ich bekämpfe den Antisemitismus, weil er unser Christentum schändet." Dieses Bekenntnis stand auch auf einer der ersten Ausgaben ihrer 1933 gegründeten Zeitschrift "Gerechtigkeit".
Im März 1933 veröffentlichte sie ihr Buch "So oder So - Die Wahrheit über den Antisemitismus" und zwei Jahre später den Band "Sein Kampf", in dem sie Hitlers wahre Absichten entlarvte. Im März 1938 wurde sie während einer Vortragsreise in England durch den Einmarsch der Nazitruppen in Österreich förmlich überrollt. Sie blieb zunächst in England und wanderte später mit ihrem Mann Frank, der sie stets tatkräftig unterstützte, nach Amerika aus. Kaum in New York angekommen, setzte sie sich für österreichische Emigranten ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlieh ihr Yad Vashem 1968 den Status einer Gerechten unter den Völkern. Irene Harand starb am 2. Februar 1975 und liegt mit ihrem inzwischen ebenfalls verstorbenen Mann im Urnenhain des Wiener Zentralfriedhofs.
Leben und Werk von Irene Harand werden jetzt von drei Autoren ausführlich vorgestellt, wobei die ehemalige Widerstandskämpferin mit ausgewählten Textstellen aus ihren Büchern oft selbst zu Wort kommt. Die Autoren bieten ferner einen Überblick über die Geschichte Österreichs von 1900 bis 1938 und seine politische Entwicklung. Außerdem stellen sie Vorgänger und geistige Wurzeln der Harandbewegung vor und widmen den bürgerlich österreichischen Gegnern des Nationalsozialismus ein eigenes Kapitel.
Der mit vielen Fotografien, Bildern, Zeitungsausschnitten, Plakaten und einem reichen Anmerkungsteil ausgestattete Band dürfte in erster Linie Wissenschaftler und Forscher ansprechen, weniger eine breite Leserschaft, die die Autoren eigentlich im Blickfeld hatten. Wissenschaftlich geringer orientierte Leser dürften die mitunter peniblen Details genauso abschrecken wie das spröde Bürokratendeutsch mancher Aufsätze, in denen man wiederholt über Ausdrücke wie "schlussendlich", "letztendlich" , "verabsäumte" stolpert oder über große pathetische Worte wie "erhabene Idee", "zeitlose Ideale", "geliebte Heimat".
Vielleicht sollte man den Band tatsächlich Wissenschaftlern überlassen und einem schreiberfahrenen Autor Irene Harands Lebensgeschichte in einem eleganteren Stil für den durchschnittlichen Leser anvertrauen, denn lohnend und wünschenswert ist es allemal, sie über den engen Forschungsbereich hinaus bekannt zu machen.
Christian Klösch, Kurt Scharr, Erika Weinzierl
Gegen Rassenhass und Menschennot.
Irene Harand, Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin.
Studien Verlag, Innsbruck 2005; 324 S. und Audio-CD, 36,- Euro.
Ursula Homann lebt in Arnsberg; ihre Arbeitsgebiete sind vor allem
deutsch-jüdische Geschichte und neuere Literatur.