In der spannenden Wahlnacht vom 20. Februar sah es über Stunden so aus, als ob CDU und FDP die seit fast 17 Jahren regierenden Sozialdemokraten von der Macht verdrängen würden. Am Ende jedoch hatten weder CDU (30 Sitze) und FDP (4 Sitze) noch SPD (29 Sitze) und die mit ihnen verbündeten Grünen (4 Sitze) eine Mehrheit im 69-köpfigen Parlament. Zünglein an der Waage sind damit die zwei Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes SSW, der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit ist.
Noch in der Wahlnacht bot CDU-Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen der seit nunmehr fast zwölf Jahren amtierenden Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) Verhandlungen über eine große Koalition an, um die Probleme Schleswig-Holsteins gemeinsam anzupacken. Das Angebot verfing nicht. Zwar loteten die Spitzen von SPD und Union in zwei Gesprächen die Chancen für ein Regierungsbündnis aus, jedoch ohne Erfolg. Von Seiten der CDU seien sehr weitreichende Angebote gemacht worden, hieß es aus Unionskreisen. Man habe Zugeständnisse in der Bildungspolitik machen wollen. Und sogar in der Frage, wer das Amt des Regierungschefs übernimmt, habe man sich gesprächsbereit gezeigt, um Simonis nicht so einfach wegzuschieben. Begleitet wurden diese Gespräche im Kieler Landeshaus nicht nur durch die massive Forderung führender Wirtschaftsvertreter nach einer großen Koalition. Auch eine Demonstration in der Kieler Innenstadt gegen einen "rot-weiß-grünen Wackelpudding" liess keinen Zweifel an der politisch aufgeheizten Stimmung im Norden der Republik.
Doch weder das Werben der CDU noch die Forderungen von draußen nutzten etwas. Die SPD entschied sich für Koalitionsverhandlungen mit ihrem bisherigen grünen Regierungspartner und hofft dabei jetzt auf die Unterstützung des SSW. Seither tobt in den Gazetten des Landes eine zum Teil erbitterte Schlacht der Leserbrief-Schreiber über die Legitimation parlamentarischer Mehrheiten, Regierungsbildung und die spezielle Situation des SSW.
Auch wenn sich die drei Spitzenfrauen Simonis, Anne Lütkes (Grüne) und Anke Spoorendonk (SSW) ein stabiles Zwei-plus-eins-Bündnis zum Ziel gesetzt haben, holpert es schon in der Anbahnungsphase. Konfliktstoff bieten die Bildungspolitik und die Zukunft der kommunalen Strukturen im Land. In beiden Politikfeldern wollen Grüne und SSW schneller, tiefer greifende Änderungen durchsetzen, als es die SPD als große Volkspartei zu leisten vermag. In der Bildungspolitik geht es um die Frage, ob und vor allem wann eine Gemeinschaftsschule bis zur neunten Klasse das bisherige dreigliedrige Schulwesen ersetzen soll. Die SPD hält hier einen Systemwechsel in einem Zeithorizont von 10 bis 15 Jahren für realistisch, während SSW und Grüne noch in dieser Legislaturperiode ans Werk gehen wollen. Ebenso beim Thema Kommunalreform. Schleswig-Holsteins ist kleinteilig und vergleichsweise teuer in Kreisen, Ämtern und Gemeinden organisiert. Die Verwaltungsstrukturen sollen effektiver werden - darüber sind sich alle einig. Doch über das Wie und den Zeitplan herrscht unter den alten und voraussichtlich auch neuen Koalitionären Dissens. Die Grünen würden am liebsten per Gesetz die kommunalen Grenzen neu ordnen. Was aber, wenn ein Landtagsabgeordneter dabei für die Auflösung des Kreises votieren müsste, in dem er vielleicht selbst auch noch Funktionen hat.
Die CDU hofft insgeheim, dass die Sozialdemokraten an dieser Stelle in Schwierigkeiten geraten könnten. Die Türen für eine große Koalition seien nicht zugeschlagen, bekannte Peter Harry Carstensen, inzwischen Fraktionschef der CDU im Landtag. Der Christdemokrat weiß, das kommunales Herzblut die stets knappen Mehrheiten in Schleswig-Holstein zum Einsturz bringen kann. Bei der Entscheidung über die erste große Kreisreform wollten zu Beginn der 70er-Jahre zwei CDU-Abgeordnete, einer davon war gleichzeitig Landrat, nicht der Auflösung ihrer Kreise zustimmen. Damals rettete der SSW-Abgeordnete die parlamentarische Mehrheit der Union, indem er sich seiner Stimme enthielt.