Der Anspruch war hoch gesteckt: Nicht allein um die Ursachen rechter Gewalt in Berlin, sondern auch um wirksame Gegenstrategien sollte es bei der Fachkonferenz der Senatsverwaltung für Inneres am 7. März gehen. Grundlage der Diskussion bildete eine aktuelle Studie des Berliner Verfassungsschutzes, die auf der empirischen Analyse rechter Gewaltstraftaten der Jahre 1998 bis 2003 beruht. Doch bei der Tagung im Abgeordnetenhaus wurde schnell klar, wie weit Theorie und Praxis gelegentlich auseinander liegen.
Ein Blick in die Verfassungsschutzbroschüre zeigt: Eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der rechten Gewalt in Berlin ist dringend erforderlich. 336 Delikte wurden im Untersuchungszeitraum vom polizeilichen Staatsschutz als "Politisch motivierte Gewaltkriminalität - rechts" bewertet. Deren Analyse macht sichtbar, wieviel Wahrheit gängige Klischees über rechte Gewalttäter enthalten: Die sind meist männlich, zwischen zwischen 15 und 24 Jahren alt, verfügen über eine nur unterdurchschnittliche Bildung und sind häufig arbeitslos. Die Studie beinhaltet auch geographische Erkenntnisse: Besonders betroffen von rechter Gewalt sind die Stadtteile Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf.
Der Verfassungsschutz hat in seiner Analyse auch noch das letzte Detail der rechten Gewalttaten aufgeschlüsselt - bis hin zu Angaben darüber, dass sich für den Monat Mai eine Häufung der Delikte feststellen lässt und die meisten Taten in den samstäglichen Abendstunden stattfanden. Bei der Ursachenforschung dagegen stehen weit weniger empirisch belegte Fakten zur Verfügung. Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber, der an der Fachhochschule des Bundes in Brühl lehrt, brachte es auf den Punkt: "Es gibt keinen zentralen Ursachenfaktor, allenfalls einen multikausalen Erklärungsansatz." Obwohl es vielfältige wissenschaftliche Erklärungsansätze gebe, die Faktoren wie die vermeintlich schädlichen Auswirkungen antiautoritärer Erziehung, Desintegrationserscheinungen als Folge von Modernisierungsschüben oder Reaktionen auf Medienberichterstattung zu Ursachen rechter Gewalttaten erklärten, müsse man sich vor derartigen Pauschalisierungen hüten. "Man muss vielmehr den Weg hin zur rechtsextremen Gewalttat als langfristigen Entwicklungspfad sehen, auf den man an jeder Stelle einwirken kann. Niemand wird als rechtsextremistischer Gewalttäter geboren."
Der Punkt möglicher Eingriffsstrategien ist das Problem - und entsprechend hilflos wurde auch das Gespräch im Abgeordnetenhaus. Während Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin die rechte Gewalt als Teil einer Jugendkultur beschrieb, mit der man sich sowohl auf der politischen als auch der lokalen Ebene auseinandersetzen müsse, um ihren Zustrom zu verringern, glitt die Diskussion mit dem Vortrag des Lehrbeauftragten der HU Berlin, Ingo Siebert, endgültig ins abstrakte Philosophieren ab. Von raumwirksamen Sozialstrukturen und sozialwirksamen Raumstrukturen war da die Rede, temporären Angsträumen und Kontrastgesellschaften. Der Hinweis, lokale Aktionsgemeinschaften gegen die rechte Gewalt müssten bereits bei ihrer Namensgebung auf positiv besetzte Begriffe achten, machte nur eines klar: Wirklich wirksame Gegenstrategien sind - noch - nicht vorhanden, werden aber dringend benötigt.
Wo angesetzt werden müsste, machte Klaus Ulbricht, Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, deutlich. Er gestand ein: "Wir sind in der Diskussion mit rechten Gewalttätern völlig hilflos, haben überhaupt nicht das argumentative Rüstzeug." Um jungen Menschen demokratische Werte zu vermitteln und das Festsetzen rechtsextremistischen Gedankenguts zu verhindern, benötigten insbesondere die Lehrer viel mehr fachliche Kompetenz. Man müsse sich primär auf die politische Bildung konzentrieren. "Und dafür", so Ulbricht, "brauchen wir Geld."