Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz aller Nachwuchssorgen. Das Parlament stellt einige Jungpolitiker und Aktivisten vor.
Attac hat er durch den G8-Gipfel in Genua 2001 entdeckt. In den Medien verfolgte der junge Mann mit den dunklen, zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Locken, wie sich die Globalisierungskritiker eine Schlacht mit der italienischen Polizei geliefert hatten. Ein Demonstrant wurde dabei erschossen. "Das war die Zuspitzung der globalen Konflikte. Unbewaffnete, die sich für Gerechtigkeit einsetzen wollten, wurden von der bewaffneten Polizei bekämpft", sagt der junge Aktivist. Alexis Passadakis passt zu Attac. Er ist aufsässig, links und unbequem. Seit drei Jahren ist der 28-Jährige Mitglied in der globalisierungskritischen Organisation. Attac ist seine politische Heimat. Mitglied einer Partei ist er nicht.
Ein politischer und vor allem kritischer Mensch war er aber schon lange vorher, sagt er über sich selbst "Ich habe immer die Dinge hinterfragt, die als allgemeingültig verkauft wurden", sagt er und schaut dabei mit seinen dunklen braunen Augen sehr ernst. Die Menschen, die Gesellschaft, das Zusammenleben - es ist ihm wichtig. Geprägt wurde Passadakis bereits als Kind durch die Friedensbewegung der 80er-Jahre. Aufgewachsen ist er in Jülich, einer Kleinstadt in Nord-rhein-Westfalen. Nebenan stand ein Atom-Versuchsreaktor, ein amerikanischer Militärstützpunkt und ein NATO-Flugplatz, von dem aus AWACS-Aufklärungsflugzeuge zu ihren Überwachungsrunden über der Bundesrepublik starteten. Während des Unterrichts, durch das Schulfenster beobachtete der Schüler die Flugzeuge im Landeanflug. "Auch wenn ich zu jung war, um mich aktiv damit auseinander zu setzen, so hat das Umfeld doch ganz stark eine Grundstimmung erzeugt", erinnert sich Passadakis.
Verstärkt wurde diese Haltung auch durch seine Eltern. Die französische Mutter und sein halbgriechischer Vater sind Lehrer. Als Kind, erzählt er, saß er bei Anti-Atomkraftdemonstrationen auf den Schultern seines Vaters, im Frühjahr nahmen sie selbstverständlich an den Ostermärschen teil. In der Schule ging er auf Konfrontationskurs zu den Lehrern, schrieb in der linken Schülerzeitung und hatte Probleme mit Hierarchien. Nach dem Abitur leistete er Zivildienst als Grabungsarbeiter beim Amt für Denkmalpflege und schloss sich der kleinen Organisation "Gewaltfreie Aktion, Atomwaffen abschaffen" an. "Wir haben so genannte Bürgerinspektionen von Atomwaffenstützpunkten durchgeführt", erzählt Alexis Passadakis. "Im Klartext heißt das: Zäune aufschneiden oder drüberklettern." Zweimal wird er von der Polizei verhaftet. Einmal steht er vor Gericht und wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Natürlich erzählt er davon wie von Robin-Hood-Heldentaten, eben Jungendsünden, die er selbst belächelt, von denen er sich distanziert. Mit seinem Leben jetzt haben diese Aktionen nicht viel zu tun.
Nach dem Abitur begann Passadakis in Bonn Germanistik und Geschichte zu studieren, entschied sich später für ein Politikstudium. Als einer von wenigen durfte er an einem Planspiel der Vereinten Nationen in New York teilnehmen. Hier vertrat er die USA und saß ausgerechnet in dem Komitee, das versuchte, die atomare Abrüstung zu verhindern. Doch Diplomatie fasziniert den Jungrebell: "Manchmal denke ich, dass mein Leben auch in ganz anderen Bahnen hätte verlaufen können."
Mit seiner "Lust am Widerständigen", wie er sich selbstbespiegelnd beschreibt, sucht er auch an der Uni nach Gruppen und Plattformen, um politisch aktiv zu werden. Kurzzeitig sympathisierte er mit linken Organisationen, aber "die Militanz der Linksradikalen hat mir nicht gefallen, auch wenn ich sie thematisch oft gut fand". Deshalb schloss er sich schließlich der Grünen Hochschulgruppe an. Eine wichtige Funktion übernahm er jedoch nicht. Nach einem Auslandssemester in England studierte er in Berlin weiter und landete schließlich bei Attac. Seitdem wirkt er in der Gruppe Welthandel mit.
Die Arbeit der Globalisierungskritiker findet hauptsächlich in Arbeitsgruppen statt, in denen die Mitglieder zu verschiedenen Themen Aktionen planen oder Demonstrationen organisieren. Attac agiert weltweit als Netzwerk, in dem sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen aktiv sein können. In Deutschland hat Attac etwa 16.000 Mitglieder. Die Organisation kritisiert die "neoliberale Globalisierung" und kämpft unter anderem für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte. Attac kritisiert, dass die Globalisierung den "Wohlstand für alle" nicht erreicht hat. "Die Arbeit bei Attac ist eine Form, Politik zu machen, flexibel, ohne Hierarchien, auf der Grundlage des Konsensprinzips", sagt Passdakis.
2003 gründete er das globalisierungskritische Filmfestival "Globale" mit. Er hält Vorträge und organisiert Tagungen zum Thema Welthandel und Privatisierung. "Attac geht es vor allem darum, Menschen in Bewegung zusetzen." Die Kritik, Attac habe keine realistischen Lösungen parat, weist er zurück. "Manchmal reicht es auch, einfach Dinge zu verhindern oder auf sie aufmerksam zu machen und manchmal gibt es nicht immer gleich eine Lösung. Aber das darf doch Kritik nicht verbieten." Mit dieser Überzeugung wird er auch in Zukunft politisch aktiv sein - egal wie, "denn wenn Attac sterben sollte, wird es etwas anderes geben". Da ist er sich sicher. Attac hat in seiner und der nachfolgenden Generation eine Vorbildfunktion, da ein "Netz", ein Zusammenschluss, das eben keine Partei ist, das erste Mal im großen Stil Politik gemacht hat. Das zieht viele an, vor allem viele junge Menschen.
Passadakis' Einstellungen finden sich auch in seinem persönlichen Leben wieder. Aus Überzeugung hat der Jungaktivist kein Handy. Das ist auch unter Attac-Leuten mehr als ungewöhnlich. Passadakis: "Ich gönne mir den Luxus, nicht erreichbar zu sein." Ruhe hat der selbst ernannte Widerständler dennoch wenig. Zusammen mit 20 Freunden und Aktivisten will er ein Haus kaufen. Sie wollen darin gemeinsam wohnen, ähnlich wie die Elterngeneration es ihnen in den 80er-Jahren in Städten wie Berlin und Hamburg schon einmal vorgemacht hat.
Zunächst will der Student jedoch seine Diplomarbeit über die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe zu Ende bringen. Im Sommer soll der Abschluss geschafft sein. Erst dann will er sich überlegen, "wie ich es schaffe, mein politisches Engagement mit der Erwerbstätigkeit zu verbinden". Sich in einer Partei zu engagieren, wäre für Passadakis undenkbar. Das alte Problem: "Die Strukturen sind mir zu hierarchisch."