Wenn Thomas Schaurer seine Geschichte erzählt, liegt die Anspannung des gesamten letzten Jahres in seiner Stimme. Aufgekratzt berichtet er von jedem noch so kleinen Detail, springt von der Gegenwart in die Zukunft und zurück in die Vergangenheit, überlegt, ob er etwas vergessen haben könnte. "Ich rede so viel durcheinander, ich hoffe, Sie können mir überhaupt folgen", sagt er einmal, um nach einer kurzen Atempause unbeirrt fortzufahren.
Der 32-Jährige ist Winzer, betreibt in der Pfalz, nahe Landau, ein Weingut. Ein Full-Time-Job, und doch verwirklichte Schaurer "nebenbei" seinen lang gehegten Traum: Er machte einen Kinofilm. Er schrieb ein Drehbuch, trommelte ein Team von 160 Leuten zusammen, drehte sechs Wochen und bastelte drei Monate in der Postproduktion an seinem Werk. Er war Regisseur, Produzent und sein eigener Hauptdarsteller. Hartnäckig warb er in der Presse für sein Projekt.
Als der Kinofilm fertig war, klapperte er mit der DVD in den Händen die nahen Kinos ab. Mit Erfolg. 20 Kinobesitzer erklärten sich bereit, den Film zu zeigen. Zur Uraufführung von "Ben. Nichts ist wie es scheint" am 4. März kamen über 400 Leute.
Dabei fehlte es dem Projekt so ziemlich an allem, was es für einen potentiell erfolgreichen Film braucht. Schaurer hat weder eine Filmausbildung noch genug Geld. "Ich staune selbst, wie das alles funktioniert hat", sagt Schaurer, räumt aber ein: "Ich habe natürlich Fehler gemacht, weil ich keine Ahnung hatte, was ich eigentlich tue." Diese Befürchtung hatten auch die Filmverleiher und Filmförderinstitutionen, an die sich Schaurer vergeblich wandte, um Geld und Unterstützung zu bekommen. Als die ausblieb, musste der Selfmademan eine Million Euro allein auftreiben - das meiste pumpte er sich von Bekannten und Verwandten. Nun ist der Film fertig - und Schaurer "verschuldet ohne Ende". 350.000 Zuschauer müssten seinen Film sehen, um die Kosten einzufahren, rechnet er vor, und sagt voller Optimismus: "Ein Wahnsinnserfolg wären aber schon 300.000." Den Gewinn will er ausnahmslos spenden.
Johannes Klingsporn vom Verband der Filmverleiher findet das Vorhaben "sehr ungewöhnlich": "Einen deutschen Film ganz ohne Fördergelder zu produzieren ist eine absolute Ausnahme. Da hat jemand sehr viel Mut gehabt." Und auch Georgia Tornow von der Produzentenvereinigung film20 staunt: "Das Filmemachen ist ein hoch arbeitsteiliges, hoch kompliziertes und risikobehaftetes Handwerk. Es ist bewundernswert, wenn Herr Schaurer das alleine macht, aber mit der Art und Weise, wie Filme in Deutschland normalerweise produziert werden, hat das nichts zu tun."
Dass Schaurers Anträge auf Filmförderung rundweg abgelehnt wurden, verwundert die Branchenkenner deshalb nicht. Tatsächlich werden, nach Angaben der Filmförderungsanstalt (FFA), weniger als die Hälfte aller Filmprojekte in Deutschland gefördert. Bund und Länder unterhalten jeweils eigene Förderinstitutionen und haben im letzten Jahr über 100 Millionen Euro für die Kinofilmförderung ausgegeben. Grundlage für die Förderung der FFA ist in Deutschland das Filmförderungsgesetz (FFG), das auf die Verbesserung der Struktur der deutschen Filmwirtschaft und "Stärkung der kreativ-künstlerischen Qualität des deutschen Films" abzielt. "Wer ein stimmiges Paket vorweisen kann, ein gutes Thema, eine interessante Besetzung, einen Film, der wirtschaftlichen Erfolg verspricht, der hat auch gute Chancen auf Filmförderung", sagt Christine Berg von der FFA. "Wenn das Projekt bestechend ist, können auch junge, unbekannte Filmemacher Mittel bekommen, wie im Fall "Die Geschichte vom weinenden Kamel". Die beiden Regisseure, Absolventen der Hochschule für Fernsehen und Film in München (HFF), haben für ihren Abschlussfilm sogar eine Oscar-Nominierung eingeheimst und können sich aufgrund ihres Erfolges schon jetzt über Fördergelder für ihr nächstes Projekt freuen.
Auch die Regisseurin Caroline Link, die für "Nirgendwo in Afrika" den begehrten Filmpreis bekommen hat und gerade zur Honorarprofessorin an der Münchner Film- und Fernsehhochschule benannt worden ist, findet es "ganz normal", dass nicht jedes ambitionierte Projekt automatisch gefördert wird: "Viele Leute wollen zum Film. Um Filmförderung zu bekommen, muss man daher bereit sein, erst mal für ein ganz geringes Budget zu arbeiten. Und die Geschichte muss überzeugen." Selbst Link musste bei ihrem ersten Kinofilm "Jenseits der Stille" um Fördergelder kämpfen. Von der Vorlage der ersten Fassung bis zum Dreh des Films vergingen vier Jahre. Die Filmförderer fürchteten, ein Film über das Kind gehörloser Eltern könnte an der Kinokasse einbrechen. Sie ist froh, dass sie den Film doch machen konnte: "Wir sind schon sehr privilegiert", findet Link. "Es gibt in Deutschland eine Reihe staatlicher und regionaler Filmförderungen, die viele Millionen in das deutsche Kino investieren. Wenn man allerdings keine Filmhochschule besucht hat und man für die Förderinstitutionen ein Unbekannter ist, hat man es ganz schwer."
Das ist Thomas Schaurer bewusst. Er sagt rückblickend: "So was würde ich nie wieder machen, wenn die Finanzierung nicht gesichert ist."
Mittlerweile ist er in seiner Region fast ein kleiner Star. Von der "Rheinpfalz" über den Südwestfunk hin zu Sat.1 berichteten zahlreiche Medien über den couragierten Filmemacher, nun hofft er, dass diese Publicity um seine Person auch seinen Film weiter bringt: "Mit 20 Kinos, in denen der Film jetzt gespielt wird, bin ich aber noch meilenweit entfernt von meinem Ziel." Ob der Film den Weg in weitere Kinos findet, hängt allerdings entscheidend davon ab, wie er in den kommenden Tagen vom Pfälzer Publikum aufgenommen wird. Thomas Schaurer weiß um die knallharte Feuerprobe: "Wenn "Ben" in der ersten Woche nicht läuft, fliegt er aus den Kinos. Dann wird es sehr schwer für mich."