An Sachverständigen herrscht bei Anhörungen nie Mangel. Durch so gewaltige Papierberge wie beim Hearing zum Antidiskriminierungsgesetz (ADG) müssen sich Interessenten indes selten wühlen, 20 Wissenschaftler sind geladen, zudem 40 Verbandsvertreter. Der Medienandrang ist enorm. Der Widerstand von SPD-Promis gegen dieses Projekt lädt die Stimmung zusätzlich auf. Über dem Showdown der Experten liegt Spannung: Wer hebelt wessen Position aus, welche Seite kann Punktsiege landen? Gleichheitsgrundsatz contra Vertragsfreiheit: Gekämpft wird um Verfassungsprinzipien.
Wie verbreitet sind Diskriminierungen? Heiner Bielefeldt vom Deutschen Institut sagt, sie seien "alltäglich", so hätten Bewerber allein wegen ausländisch klingender Namen Probleme bei der Jobsuche. Der Sozialverband Deutschland meint, es werde "immer wieder" bekannt, dass Behinderten der Zugang zu Gaststätten verwehrt werde. Doch Professorin Ulrike Wendeling-Schröter (Hannover) als engagierte Befürwor- terin des ADG erläutert, die Arbeitswelt sei nicht von Diskriminierung dominiert, gleichwohl kämen solche Fälle vor. Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), der das ADG ablehnt: "Diskriminierungen sind kein Problem der betrieblichen Wirklichkeit." Der Hotel- und Gaststättenverband betont, dass in dieser Branche schon ein Drittel der Beschäftigten ausländische Pässe habe.
"Überflüssig" sind aus Unternehmersicht in Deutschland die EU-Richtlinien, über deren unvermeidbare Umsetzung man jedenfalls nicht hinausgehen dürfe - weil damit unvertretbare Konsequenzen verbunden seien. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hingegen erklärt, die bisherigen Regelungen zum Schutz vor Diskriminierungen seien nicht ausreichend, Betroffenen stehe "nicht in allen Fällen" ein effektiver Schutz zu. Der Deutsche Frauenrat lobt das ADG als Schritt hin zur "diskriminierungsfreien Zivilgesellschaft".
Für Bielefeldt ist das Verbot von Diskriminierung ein "strukturelles Prinzip der Menschenrechte", so etwas müsse auch Privatpersonen untersagt werden. Zwar hätten Hauseigentümer oder Religionsgemeinschaften eigene Freiheitsrechte, doch trage der Entwurf diesen Erfordernissen differenziert Rechnung. Professor Eberhard Eichenhofer (Jena) meint, das ADG leite sich aus dem deutschen Verfassungsrecht ab. Als Anhänger des Gesetzes schätzt Matthias Mahlmann (FU Berlin), dass die praktische Wirksamkeit der über das Brüsseler Recht hinausgehenden Regelungen begrenzt sein werde, Behindertenverbände sollten keine zu großen Erwartungen hegen. Der Behindertenbeauftragte Karl Hermann Haack plädiert denn auch für weitere Verschärfungen. Rainer Nickel (Uni Frankfurt/Main) weist Befürchtungen wegen ausufernder Regressforderungen zurück: Das Schmerzensgeldrecht sorge dafür, dass bei Schadensersatzklagen "die Bäume nicht in den Himmel wachsen".
Ein zentraler Streitpunkt des ADG ist die Beweislastumkehr: Arbeitgeber, Vermieter oder Privatversicherer müssen als Beklagte die Nichtdiskriminierung belegen, Kläger brauchen vor Gericht nur die Vermutung einer Diskriminierung "glaubhaft" zu machen. Den Sturm der Entrüstung versteht Sibylle Raasch nicht: Es handele sich im Kern gar nicht um eine Beweislastumkehr, sondern um eine Erleichterung der Beweisführung. Der Landkreistag aber ist alarmiert: "Der rechtsstaatliche Grundsatz der Unschuldsvermutung wird umgekehrt." Katharina Vera Boesche (FU Berlin) verlangt, gemäß EU-Recht die Beweislastumkehr strikt auf eine Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft zu beschränken. Die Anwältin Andrea Nicolai stuft das ADG als "missbrauchsanfällig" ein: Schon heute würden angebliche geschlechtsspezifische Diskriminierungen für Schadenersatzklagen ausgenutzt. Der Deutsche Anwaltverein moniert, die Beweislast werde in einer Weise geregelt, "die Missbrauch Tür und Tor öffnet". Der Arbeitgeberverband fürchtet eine enorme Bürokratie, wenn die Berufsbiographie jedes Arbeitnehmers penibel dokumentiert werden müsse, um für die Eventualität einer Klage die Nichtdiskriminierung belegen zu können.
Professor Thomas Pfeiffer (Heidelberg) spricht von einer "unbarmherzigen Radikalität" des ADG: Bei einer Körperverletzung hafte der Verursacher nur bei schuldhaftem Verhalten, bei Diskriminierungen solle diese Begrenzung nicht greifen. Die Arbeitgeber empört auch die Haftung für einen Dritten: Sie würden sogar für das Tun ihrer Beschäftigten und von Geschäftspartnern oder Kunden zur Rechenschaft gezogen. Zudem sollen Chefs Schulungen über diskriminierungsfreies Verhalten organisieren: Betriebe als Erziehungsanstalten in puncto political correctness?
Pfeiffer wertet das Gesetz als inakzeptablen Eingriff in die Vertragsfreiheit: Der Staat dürfe nicht bestimmen, welche Verträge etwa bei Vermietungen zustandekommen. Heide Pfarr von der Hans-Böckler-Stiftung widerspricht: Die Vertragsfreiheit beinhalte "kein Recht auf Diskriminierung". Jedoch kritisiert auch der Deutsche Richterbund die "Abwendung vom Grundsatz der Vertrgsfreiheit": Über Schadensersatzregelungen werde "mittelbar ein weitgehender Kontrahierungszwang für große Teile des wirtschaftlichen Lebens begründet".
Der Sozialverband hofft, dass sich die Perspektiven Älterer auf dem Arbeitsmarkt verbessern - eben wegen des Benachteiligungsverbots aus Altersgründen. Der Münchner Professor Volker Rieble beleuchtet eine andere Konsequenz dieser Vorschrift: Im Tarifrecht würden die zwischen Gewerkschaften und Unternehmern ausgehandelte Entlohnung nach Berufsjahren wie auch ein stärkerer Kündigungsschutz für ältere Beschäftigte in Frage gestellt. Ob sich die Arbeitgeber wegen der Aussicht auf Lohneinsparungen mit diesem Aspekt des ADG anfreunden?