Schiller selbst liefert die Begründung, ihn aus seiner Zeit heraus zu verstehen: "Man ist eben so gut Zeitbürger, als man Staatsbürger ist." Er ist geprägt durch die Zeitereignisse der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons. Als Staatsbürger prägt den jungen Schiller das absolutistische Württemberg des Herzogs Carl Eugen. Gleichzeitig fordert Schiller aber kritische Distanz: "Der Künstler ist zwar Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr ist Günstling ist" ("Über die ästhetische Erziehung des Menschen", 1795).
Es gibt zwar Leitbegriffe wie Freiheit und Einigkeit, die seine politischen Vorstellungen umreißen, aber Schillers Verständnis von Politik ist keineswegs eindeutig und unabänderlich. Die wohl bekannteste programmatische Äußerung: "Alle Menschen werden Brüder" in der Ode an die Freude, die in der Vertonung Beethovens offizielle Europahymne geworden ist, lautete in der ersten Fassung (wohl 1786 entstanden): "Bettler werden Fürstenbrüder", drückt also eine revolutionär-sozialutopische Hoffnung aus, anders als in der späteren, nur auf eine allgemeine menschliche Gleichheit abhebenden Formulierung.
In den Xenien (1795): "Zur Würde des Menschen" heißt es:
"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen;
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Das ist ein eindeutig materialistisch-sozialistisches Programm, das unmissverständlich auf die materiellen Voraussetzungen von Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen hinweist.
Die meisten Biografen und Interpreten Schillers unterscheiden den frühen Schiller, der gegen die Tyrannen kämpft, die Missstände des Feudalsystems anprangert und Gedankenfreiheit fordert, von dem späteren, der sich aus der Politik in Kunst und Ästhetik zurückzieht. Als Schlüsselerlebnis für diese Wende gilt die Erfahrung der Schreckensherrschaft während der Französischen Revolution.
Bei genauerer Betrachtung von Schillers frühen Werken wird aber keineswegs kompromisslos den Umsturz der politischen, gesellschaftlichen und moralischen Ordnung gepriesen. Die revolutionären Helden entlarven sich als Kämpfer für höchst individuelle und egoistische Interessen, was notwendig zu ihrem Scheitern führt. Schillers Erstling "Die Räuber" trägt auf dem Titelblatt der zweiten Auflage von 1782 eine Löwenvignette mit dem Motto: "in Tirannos". Obwohl Schiller das Stück ursprünglich in seiner Zeit angesiedelt hatte (erst der Mannheimer Intendant verlegte die Handlung wohl aus politischen Gründen in das frühe 16. Jahrhundert), sind die Tyrannen keine zeitgenössischen absoluten Herrscher. Vielmehr kämpfen die Söhne gegen die Tyrannei eines Vaters, der seine Liebe willkürlich und ungleich auf seine Söhne verteilt und sie auch wieder entzieht.
Franz Moor kämpft gegen die vermeintliche Tyrannei der Tradition und der Rechtsordnung, die den Erstgeborenen privilegiert, Karl gegen die vermeintliche Tyrannei des Staates, der das Gewaltmonopol für sich beansprucht und Selbstjustiz verbietet. Vor allem aber geht der Kampf gegen die Tyrannei der Natur, die Gaben wie Schönheit und Liebenswürdigkeit so ungleich verteilt, und gegen die Tyrannei eines Gottes, der die Befolgung seiner Gebote wie Bruderliebe, Nächstenliebe, Menschenliebe fordert.
Beide Brüder lehnen sich gegen die menschliche wie die göttliche Ordnung auf und begehen dabei Verbrechen, beide trifft die Strafe. Franz, der sich außerhalb jeder sittlichen Ordnung gestellt hat, richtet sich selbst. Karl, der seine Verbrechen erkennt ("da steh ich am Rand eines entsetzlichen Lebens und erfahre nun mit Zähnklappern und Heulen, daß zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrund richten würden"), stellt sich der weltlichen Gerichtsbarkeit. In seiner zentralen Aussage ist das Stück keine Aufforderung zur gewaltsamen Veränderung, sondern ein Bekenntnis zu einer überstaatlichen Sittlichkeit und zu einer richtenden und strafenden staatlichen Ordnung.
Schiller war Zögling der herzoglichen Militärakademie, der späteren "Hohen Carlsschule", ein "Erziehungshaus", das der Herzog direkt neben seinem Schloss errichtete, für das er selbst Lehrpläne und Hausordnung entwarf und wo er den Unterricht seiner "Söhne" ständig überwachte. Sie war im wesentlichen eine "Pflanzschule" des Fürsten, die fachlich kompetente, loyale Beamte hervorbringen sollte.
Der Herzog entschied weitgehend selbst, welchen Studien- und Berufsweg der einzelne einzuschlagen hatte Die Zöglinge erhielten zwar eine ausgezeichnete Ausbildung, waren aber gleichzeitig einem strengen Reglement und einem System der ständigen Selbstkontrolle und wechselseitigen Bespitzelung unterworfen. Auf der einen Seite gab die Schule jungen Männern aus allen Schichten eine für die damalige Zeit einmalige Bildungschance, andererseits verwehrte sie jede Möglichkeit, frei und selbstständig zu entscheiden und zu handeln.
"Die Räuber" sind eine Abrechnung mit dem herzoglichen "Vater". Die Strafe, die der Herzog wegen Schillers Verstoß gegen das Schreib- und Reiseverbot verhängt hatte, war der Anlass für seine Flucht. Darüber hinaus störte Schiller die Enge Württembergs, eines Kontroll- und Überwachungsstaates. "Stuttgart und alle schwäbischen Scenen" seien ihm "unerträglich und ekelhaft", das Vaterland sei "eng und dumpfig wie ein Sarg", schrieb er 1783. Außerhalb Württembergs könne er als "Weltbürger" schreiben, "der keinem Fürsten dient".
Auch in Schillers zweitem Drama: "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" (1782) geht es um Politik. Eine Verschwörung will die Republik retten; aber eigentlich ist die Republik gar nicht gefährdet, denn der alte Doge ist ein aufgeklärter Fürst, und seine Gegenspieler haben kein klares republikanisches Konzept. Fiesco, dem politischen Helden, wie Schiller ihn nennt, geht es vorrangig um die Macht: "es ist frech eine Million zu veruntreuen, aber es ist namenlos groß eine Krone zu stehlen. Die Schande nimmt ab mit der wachsenden Sünde … Gehorchen und Herrschen! - Sein und Nichtsein!" Das Stück ist keineswegs eine Verherrlichung, sondern eine Anklage des skrupellosen Machtmenschen, in dessen Welt jeder, der sich dieser zerstörerischen Kraft entgegenstellt, untergehen muss.
"Kabale und Liebe" (1784) ist dem ersten Augenschein nach das am stärksten zeitbezogene und gesellschaftskritische Stück Schillers. Es finden sich direkte Anspielungen auf die Regierungszeit Carl Eugens vor 1770: der ungeheure Finanzbedarf des vergnügungssüchtigen Herrschers, der nur durch die gewaltsame Aushebung von Truppen, die an fremde Staaten vermietet wurden, zu befriedigen war, die grausame Verfolgung der Deserteure, das zügellose erotische Abenteurerleben des Fürsten, die Herrschaft einer skrupellosen Clique von Höflingen.
Diese Missstände in Württemberg hatten zu scharfer Kritik und von Seiten des Herrschers zu Strafaktionen gegenüber kritischen Beamten, zu Entlassungen und Verhaftungen geführt. Prominentestes Opfer war der Sprecher der oppositionellen "Landschaft", Johann Jakob Moser. Das lag erst wenige Jahre zurück, Schiller brauchte nur die kollektive Erinnerung und Empörung der Württemberger aufzugreifen. Lady Milford, die "Favoritin des Fürsten", die als ihr Verdienst beansprucht, "dem Tyrannen den Zügel" abgenommen, "Kerker gesprengt" und "Todesurteile zerrissen" zu haben, ist einer realen Figur nachgebildet, nämlich Franziska von Leutrum, als Franziska von Hohenheim die spätere morganatische Gemahlin des Herzogs.
Ihr Einfluss und das energische Eingreifen des Wiener Hofes setzten tatsächlich nach 1770 der Misswirtschaft und dem Willkürregime in Württemberg weitgehend ein Ende. Doch trotz aller Kritik an Ständegesellschaft, Fürstenwillkür und Amoralität der Hofgesellschaft ist die Tragödie der Liebenden eher Folge des absoluten Liebesanspruchs des adligen Ferdinand und der Unvereinbarkeit der Wertesysteme der beiden Liebenden als Folge der sozialen und politischen Verhältnisse.
Im "Don Carlos" (1787) fordert Marquis Posa vom spanischen König Philipp "Gedankenfreiheit", - nach dem damaligen Verständnis nicht nur die Freiheit des Denkens, die ja letztlich auch ein absoluter Herrscher nicht verbieten kann, sondern die Freiheit des vernunftbegabten autonomen Individuums, womit grundsätzlich das Herrschaftssystem des Absolutismus und das Wahrheitsmonopol der Kirche in Frage gestellt sind. Aber auch Posa ist nicht der reine Held: um seine hohen Ziele zu erreichen, ist er bereit, andere wie seinen Freund Don Carlos als Instrument zu benutzen. Posa verstößt mit seinem Handeln auch gegen seine eigenen hehren Prinzipien und scheitert daher.
Die Helden seiner frühen Stücke wollen die Welt verändern, aber alle scheitern. Dennoch beansprucht Schiller für das Theater (und damit auch für den Dichter) die Gleichberechtigung mit den etablierten Institutionen Staat und Kirche. Dabei hat das Theater sowohl eine erziehende wie auch eine richterliche Funktion. Es ist "Schwert und Waage" und reißt die Laster vor einen schrecklichen "Richterstuhl" ("Rheinische Thalia" 1785). Schillers Helden in fast allen seinen Dramen sind "große Charaktere". Dabei gibt es eine Stufenleiter von der "starken Tugend" bis zum "bösen Schwachen"; jedenfalls ist der "starke Bösewicht" immer noch höherrangiger als der "schwache Gute". Nur Wilhelm Tell, der Held seines letzten Dramas (1804), ist ein "Mann aus dem Volk", aber er ist eine fiktive Figur, der wie die freie Schweiz, der einige Bund der Freien, ein Mythos werden konnte.
Schiller beobachtete die Anfänge der Französischen Revolution mit viel Zustimmung und beurteilte den Verfassungsentwurf von 1791 mit seinem Modell einer konstitutionellen Monarchie, mit Gewaltenteilung und Verankerung der Menschenrechte, positiv. 1792 erhielt er von der Französischen Nationalversammlung das Ehrenbürgerrecht. Zu diesem Zeitpunkt begann bereits seine Distanzierung; Jakobinerherrschaft, Hinrichtung des Königs und die Zeit des Schreckens führten zum grundlegenden Bruch.
Im "Lied von der Glocke" (1799 beendet) findet sich Schillers bekannteste Abrechnung mit der Revolution. Unter der Parole "Freiheit und Gleichheit" werde den niedrigsten Trieben freie Bahn gegeben: "Würgerbanden ziehn umher", das natürliche Verhalten der Geschlechter pervertiert, ("da werden Weiber zu Hyänen"), die Ordnung der Werte zerstört ("nichts Heiliges ist mehr"), kurz:
"Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei."
Die ständisch gegliederte Gesellschaft, die jedem seinen Platz zuweist, ist Voraussetzung für die Entfaltung aller produktiven Kräfte:
"Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis;
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß!"
Nur in Eintracht können sich die menschlichen Fähigkeiten zu aller Nutzen entfalten. Sie ist Grundlage allen Zusammenlebens, dauerhafter Friede ist Voraussetzung und Ziel alles gemeinschaftlichen Handelns.
Schiller liefert sicher kein Programm für politisches Handeln in einer modernen Demokratie, er hat keine Rezepte für die Probleme des Sozialstaats oder Lösungsvorschläge für wirtschaftliche Krisen. Aber überzeitlich und immer aktuell ist seine Forderung nach Achtung der Menschenwürde, seine Warnung vor Mißbrauch der Macht durch die Herrschenden, sein Appell für eine vernünftige Konsensfindung, für Einheit und Gemeinsinn und schließlich sein Aufruf zum weltweiten Frieden als Voraussetzung für Freiheit und Wohlergehen der Menschheit.
Die Autorin ist Kulturwissenschaftlerin; sie war viele Jahre in der politischen Erwachsenenbildung tätig.