Die Historikerin Natalja Bykowa führt seit vielen Jahren durch die 21 Zimmer der unterirdischen Anlage, die eine Zweigstelle des Kaliningrader Museums für Geschichte und Kunst ist und ein Denkmal des Großen Vaterländischen Krieges. Hier werden die letzten Monate Königsbergs, von den eng-lischen Luftangriffen Ende August 1944 bis zu den Straßenkämpfen Anfang April 1945, noch einmal lebendig. Besonders die letzten Tage waren ein Albtraum, für die Belagerten ebenso wie für die Belagerer. Und so schildert Natalja Bykowa diese Tage: Die einen mussten um jeden Preis aushalten, die anderen um jeden Preis stürmen. Erst am Abend des 9. April erklärte der Festungskommandant sich zur Kapitulation bereit und begab sich in Gefangenschaft. "General Lasch hat zu spät kapituliert", sagt Natalja Bykowa bedauernd und weist auf Kampfszenen in den Ruinen Königsbergs. "Alles war hier zerstört. Sehr schade."
Vier Wochen später war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Am 4. Juli 1946 wurde Königsberg in Kaliningrad umbenannt, erhielt die Krönungsstadt der preußischen Könige den Namen Michail Kalinins, eines Lakaien Stalins, der 20 Jahre sowjetisches Staatsoberhaupt war. Aus dem nördlichen Ostpreußen wurde das "Gebiet Kaliningrad", militärisches Sperrgebiet, etwa von der Größe Schleswig-Holsteins, aus dem 45 Jahre nur spärlich Nachrichten nach außen drangen. Menschen aus der ganzen Sowjetunion, vor allem aber aus den von den Deutschen niedergebrannten Dörfern und Städten im Westen des Landes, zogen nun in das zerstörte und menschenleere Ostpreußen, teils angeworben, teils versetzt, teils auf eigene Faust, fast immer voller Hass auf alles Deutsche.
Die meisten Umsiedler waren Frauen mit Kindern, die ihre Männer und Väter im Krieg verloren hatten. 40 Prozent der neuen Stadtbevölkerung waren bäuerlicher Herkunft, 30 Prozent der neuen Landbevölkerung waren Städter. Erst kürzlich haben Historiker der Kaliningrader Universität herausgefunden, dass mehr als zwei Drittel der Umsiedler bis Ende der 50er-Jahre wieder gegangen sind, weil ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben sich nicht erfüllt hatten. Konnten diese Menschen die ostpreußische Kulturlandschaft annehmen, die Denkmäler, die Kirchen, die Herrenhäuser, die alten Ordensburgen pflegen? Jahrzehnte dominierten Uniformen das Straßenbild.
Die Geschichte Ostpreußens blieb offiziell tabu, obwohl sie die Intellektuellen insgeheim faszinierte. Journalisten und Photographen erinnern sich bis heute daran, dass zum Beispiel rote Ziegeldächer weder erwähnt noch im Bild gezeigt werden durften und dass die Kurische Nehrung "Kursker" Nehrung genannt werden musste, während die Ruinen von Königsberg bevorzugt als Kulisse für Kriegsfilme dienten. Und doch wurde der "Königsberg-Text" der russischen Literatur fortgeschrieben. In den 60er-Jahren war Joseph Brodsky, der spätere Literaturnobelpreisträger, mehrfach in der geschlossenen Stadt am Pregel. Seine Königsberg-Gedichte "Ausschnitt", "Einem alten Architekten in Rom" und "Ansichtskarte aus der Stadt K" bilden einen Zyklus, dessen tragische Tonart seltsam eindringlich berührt.
Die Schlossruine wurde 1969 gegen den Protest Kaliningrader Intellektueller gesprengt. Selbst eine Unterschriftensammlung an der Universität, an der auch Natalja Bykowa als junge Studentin teilnahm, blieb ohne Wirkung. "Das war unser gemeinsames Denkmal, weil sich im Schloss russisch-deutsche Geschichte abgespielt hat. Die Stimme des Volkes wurde nicht gehört."
Die Wende kam mit der Perestroika Ende der 80er-Jahre, als das versiegelte Buch der Königsberger Geschichte aufgeschlagen wurde. Zehntausende Ostpreußen, die nach der Öffnung der Region zu Beginn der 90er-Jahre anreisten, um noch einmal die alte Heimat zu sehen, haben den Prozess zweifellos gefördert. Anfangs trafen sie auf irritierte Kaliningrader Stadtführer, die nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten, weil sie überwiegend Böses über die Deutschen gehört hatten. "Den Deutschen standen die Tränen in den Augen, aber sie wollten sehen, was aus ihrer Heimat geworden war", erinnert sich die Germanistin Diana Oblakowa, "und dann haben wir zusammen geweint."
Von den alten Ostpreußen erfuhren die jungen Kaliningrader nun, wie Königsberg vor dem Krieg ausgesehen hat. "Die waren wie ein Blitz in unserem Gedächtnis", sagt Diana Oblakowa, "plötzlich habe ich das Land mit anderen Augen gesehen." So ging es vielen Kaliningradern, die mit diesen Besuchern zu tun hatten, und manche Freundschaft entstand. Kein Wunder daher, dass die Generation der Eroberer sich nun immer häufiger fragen lassen musste: "Was habt ihr hier gemacht, nach dem Krieg?"
Schon Anfang der 90er-Jahre hat der Kaliningrader Dichter Sem Simkin die zweisprachige Anthologie "Du mein einzig Licht. Gedichte Königsberger Dichter" herausgegeben. Die beiden Auflagen sind vergriffen. Inzwischen liegen acht Bände der Reihe "Poesie Ostpreußens" in der Übertragung von Sem Simkin vor. "Das zeigt ein großes Interesse an der Geschichte und am Kulturerbe", sagt Simkin. "Königsberg und Ostpreußen gibt es nicht mehr, aber die Kultur lebt."
Seit ein paar Jahren unterrichtet Sem Simkin Poesie und Entwicklung der Sprache im privaten Kunst-Schulstudio "Störchlein" im Baltischen Bezirk, das nach Agnes Miegel benannt ist. Auf den Tischen liegen Zeichnungen der Schüler von Immanuel Kant, von Königin Luise, E.T.A. Hoffmann, Ernst Wiechert und Agnes Miegel, die sie für die Ausstellung "Bedeutende Persönlichkeiten Königsbergs" im Gebietsarchiv gefertigt haben. Die Tatsache, dass Agnes Miegel Mitglied der NSDAP war, stört Sem Simkin nicht. Er habe "nichts Faschistisches" in ihren Texten gefunden, sagt er, und die großen russischen Dichter hätten Stalin ja auch besungen. Heute singen die Kinder im "Störchlein" das "Ännchen von Tharau" und die "Fünf wilden Schwäne" auf russisch, Simkin ist stolz darauf.
Königsberg-Kaliningrad. Kaliningrad im Dialog mit Königsberg. Besuch in zwei Städten, Begegnung mit Menschen, die in Kaliningrad heimisch geworden sind und doch nach Königsberg fragen. Heimaterwerb durch Kulturgewinn. Der Exklave-Status des Gebiets, das seit dem 1. Mai 2004 von EU-Staaten umgeben ist, fördert die Rückbesinnung auf die so lange tabuisierte Vorkriegsgeschichte der Region. Im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 750. Geburtstag der Stadt am Pregel im Juli sind die Versuche, an Königsberg anzuknüpfen, noch zahlreicher geworden.
So hat Anatolij Walujew, Chefarchäologe des Kunsthistorischen Museums, die Fundamente des Schlossturms und fast den gesamten Kellerraum unterm Westflügel freigelegt und zur Konservierung vorbereitet. Zum 750. Geburtstag wird dort, wo einmal das Königsberger Schloss stand, ein Freilichtmuseum seine Tore öffnen. Und auch Anatolij Walujew, der 1958 im Kaliningrader Gebiet geboren wurde, lässt es sich nicht nehmen, auf die gemeinsame preußisch-russische Geschichte und all die berühmten Leute hinzuweisen, die sich im Schloss aufgehalten haben. "Das heißt, hier geht es nicht nur um eine Schicht der deutschen Geschichte", sagt er, "sondern um unsere gemeinsame europäische Geschichte." Natürlich, Nikolaus Kopernikus, der auch Arzt war, hat hier Herzog Albrecht behandelt, Zar Peter wurde, als er noch nicht der "Große" war, im künftigen "Moskowitersaal" empfangen, und Napoleon zog über Königsberg nach Moskau. Im Januar 1813 jubelten Königsberger Bürger den russischen Truppen zu, die Ostpreußen von der Napoleonischen Fremdherrschaft befreit hatten...
Königsberg war eine grüne Stadt, Kaliningrad ist es auch. Doch im einst so dicht bebauten historischen Zentrum ist das Grün jung. Es mildert den Anblick der trostlosen Plattenbauten rund um den Zentralplatz, die in den 70er-Jahren auf leergefegtem Plateau hochzogen wurden. Auch die Kant-Insel mit dem wiederaufgebauten Dom, der einstige Kneiphof, ist mit Bäumen bepflanzt. Die Grünanlage, offiziell ein "Skulpturenpark", wirkt ungepflegt. Doch die Aura um den Dom ist die alte. Hier hat die Stadt wieder eine Mitte. Das zeigt sich besonders am Wochenende, wenn frischgetraute Paare reihenweise am Grabmal Immanuel Kants Blumen niederlegen, auch wenn die meisten wohl nicht wissen, wer Kant war.
Rechts vom Eingang unterhält die Propstei Kaliningrad eine Kapelle, in der Gäste aus Deutschland mit dem "Ostpreußenlied" begrüßt werden: "Land der dunklen Wälder". Das Dominnere ist noch nicht wieder hergerichtet, aber gerade hat die russische Regierung für den Bau einer neuen Orgel drei Millionen Euro zugesagt. Im Turm ist ein kleines Kant-Museum eingerichtet, die Stadt hat eine Kant-Gesellschaft, und die Kaliningrader Universität wird sich demnächst in "Staatliche Russische Kant-Universität" umbenennen.
Wladimir Gilmanow, Germanist und Philosoph, lehrt an der Fakultät für westeuropäische Sprachen. Der Kant-Experte hält das Gebiet Kaliningrad für eine einzige Provokation. Aber es sind nicht die enormen ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme, die ihn umtreiben, sondern die Frage nach der Identität der Region "in diesem Zwischenraum Russland-Europa." Diese Identität könne nur eine die Menschen verbindende sein. "Und diese Identität nenne ich kantisch. Es ist ja wirklich eine Art Vorsehung, dass dieser so widerspruchsvolle Kant gerade in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, geboren wurde!" Wladimir Gilmanow zufolge ist die Region im Begriff, sich in "ein Laboratorium des neuen europäischen Denkens" zu verwandeln. "Russland und Europa könnten einander in dieser Region unwahrscheinlich stark bereichern."
Königsberg-Kaliningrad als Ausgangs- und Bezugspunkt einer neuen europäischen Aufklärung? Warum nicht! Voraussetzung dafür wäre freilich, dass die heutigen Bewohner der Region deren Geschichte verinnerlichen und sich mit den Vertriebenen verständigen. "Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Denn wir sind auch schuld an der Tragik des Kriegsendes und am Unglück der zivilen Bevölkerung im früheren Ostpreußen. Wir müssen uns versöhnen, das ist ganz wichtig." Schon vor einiger Zeit hat Wladimir Gilmanow, der 1955 in Kaliningrad geboren wurde, die Gründung eines Instituts für russisch-europäische Probleme vorgeschlagen, das "in diesen schweren russisch-europäischen Wechselwirkungen oder Wechselbeziehungen vermitteln könnte."
Vortrag zur Stadtgeschichte im Deutsch-Russischen Haus in der Jaltinskaja 2a. Awenir Owsjanow spricht über neue Funde. Der Ingenieur-Oberst a. D., der 1936 in Kostroma geboren wurde, hat in den 60er-Jahren in der DDR Brücken gebaut, bevor er 1969 als Dozent für Festungsbau an eine Kaliningrader Militärhochschule versetzt wurde. Im gleichen Jahr hat Owsjanow an der Sprengung des Schlosses teilgenommen. "Natürlich haben wir das alles mit dem Faschismus assoziiert" , sagt er. "An der Richtigkeit dieser Politik hatten wir nicht den geringsten Zweifel."
Heute leitet Awenir Owsjanow eine Abteilung der Kaliningrader Gebietsverwaltung, die nach im Zweiten Weltkrieg verschwundenen Kulturgütern sucht. Sein besonderes Interesse gilt den Befestigungsanlagen des alten Königsbergs, den Forts, den Türmen und den Toren, die er vor weiterem Zerfall und vor Raub zu schützen sucht. Seine Funk- und Fernsehauftritte haben ihn ungeachtet der Proteste von Kriegsveteranen weit über Kaliningrad hinaus bekannt gemacht, und auch in Deutschland hat er nun viele Freunde.
Im Büro des prominenten "Schatzsuchers", das sich im früheren Eichamt der Stadt befindet, stapeln sich Karten und Bücher. Der Oberst ist selbst ein erfolgreicher Autor. Seine Bücher "In den Ruinen des alten Schlosses" und "In den Kasematten des Forts" waren Bestseller, und er schreibt weiter. Im übrigen ist Awenir Owsjanow der Ansicht, dass die Stadt wieder Königsberg heißen sollte. Schließlich habe sie nach 1945 noch eine Zeitlang so geheißen. "Damit beleidigen wir unser Volk überhaupt nicht und das deutsche Volk auch nicht. Das ist die historische Wahrheit."
Die einzige deutschsprachige Zeitung in Kaliningrad, ein gut gemachtes Monatsblatt, das seit 1993 erscheint, heißt "Königsberger Express". Alle Kaliningrader Zeitungen bringen regelmäßig Beiträge zur Geschichte Königsbergs, und der regionale Staatssender "Jantar" ("Bernstein") sendet jeden Sonntagmorgen einen historischen "Spaziergang durch Königsberg". Ein Antiquariat in der Tschernjachowskaja nennt sich "Königsberg". Eine Kaliningrader Biermarke heißt so und ein Cognac "Altkönigsberg". Eine Autofirma nennt sich "König-Auto". Und "König", russisch "Kjenig", nennen auch viele Jugendliche ihre Stadt.
Hotels wie das "Oberteich" und das "Dohna", das Gästehaus "Albertina" der Universität, Restaurants wie die "Stadthalle", der "Kronprinz"" oder "Im Schatten des Schlosses" holen die Vergangenheit in die Gegenwart. Auch im Café-Restaurant "Zarja" ("Morgenröte") am Prospekt mira 13 achtet man auf den Zeitgeist. Im Souterrain hängen alte deutsche Reklame-Schilder: "Liköre Petereit" - "Miele Staubsauger" und "Lest die Allgemeine Königsberger Zeitung." Und die alten deutschen Häuser in den westlichen Villen-Vororten, die der Krieg weitgehend verschont hat, sind begehrte Immobilien. Sie gehen vor allem an neureiche Russen, die in den Antiquariaten nach Straßenschildern, Hausnummern und Fotos aus deutscher Zeit suchen, weil alles, so sagt der junge Antiquitätenhändler am Prospekt mira 80, möglichst "wie früher" aussehen soll. Auch bei Touristen aus Russland sind "Souvenirs aus Königsberg" hochbegehrt.
Den Umfrageergebnissen einer Lokalzeitung zufolge sind die Deutschen heute die beliebtesten Ausländer, was auch damit zu tun haben mag, dass 60 Jahre nach Kriegsende Besucher kommen, die nicht mehr unter dem Trauma von Flucht und Vertreibung leiden. "Diese Deutschen sind schon anders", sagt Diana Oblakowa, die Stadtführerein. "Das sind oft Leute, die Studienreisen machen, und diese Reisenden erleben Königsberg-Kaliningrad als eine sehr lebendige Stadt."
Es ist eine Stadt, die sich ihrer Weltoffenheit und Toleranz rühmt. "Wir sind stolz darauf, dass der Faktor Nationalität oder Herkunft in unserer Region kaum eine Rolle spielt", sagt Viktor Tschernyschow, Redakteur beim "Königsberger Express". "Im Gegensatz zu anderen Städten in Russland wie Moskau und Petersburg, die eigentlich als Hauptstädte ein positives Beispiel geben sollten, was sie aber nicht tun, gab und gibt bei uns keine nationalen Konflikte."
Kann im ehemaligen Ostpreußen also immer noch "ein jeder nach seiner Facon selig werden?" Heute sind 60 Prozent der Einwohner in Kaliningrad geboren, die meisten waren nie in Russland, und die junge Generation fährt lieber nach Litauen, Polen oder Deutschland. Nach Berlin sind es nur 600, nach Mos-kau aber 1.200 Kilometer. Und wenn eine Schulklasse einmal nach Moskau fährt, ist das für die Kaliningrader Presse fast eine kleine Sensation. "Unsere Generation hat eigentlich sehr viele Aufgaben", sagt Diana Oblakowa. "Wir haben angefangen, uns zu besinnen, was wir hier gemacht haben, aber wir hoffen doch, dass wir unsere Schwierigkeiten überwinden und dass Ostpreußen in einem neuen Sinn aufersteht."
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, zumal die politische Zukunft des Kaliningrader Gebiets unklar ist. "Was politisch-wirtschaftlich mit diesem Gebiet passiert, fällt in die Rubrik Kaffeesatz", sagt Dr. Stephan Stein, der die Delegation der Deutschen Wirtschaft in Kaliningrad leitet. "Moskau kann nicht erwarten, dass Europa oder Deutschland die Verantwortung für dieses Gebiet übernehmen." Auch Peter Wunsch, der Direktor des angesehenen Deutsch-Russischen Hauses, meint, dass Russland sich entscheiden müsse, "wohin man mit Kaliningrad möchte." Zwar habe die Region "interessante Wachstumszahlen", aber die Entwick-lung in Polen und Litauen verlaufe sehr viel schneller, und die Schere klaffe täglich weiter auseinander.
Auch auf russischer Seite drängen viele auf Öffnung und manche auf mehr Selbständigkeit. "Abgetrennt von Russland kann das Kaliningrader Gebiet auf die Dauer rein technisch nicht existieren", sagt Sergej Pasko, Vorsitzender des Verbandes der Kleinunternehmer und Chef der Republikanischen Baltischen Partei. "Wir sind überzeugt, dass es uns wirtschaftlich und politisch viel besser gehen wird, wenn wir selbst die Verantwortung für unser Schicksaal auf uns nehmen, statt nur nach Kreml-Kommandos zu schauen."
Die Germanistik-Professorin Jenny Salkowa, deren Studenten es mehrheitlich nach Deutschland zieht, würde es begrüßen, wenn Deutsche sich so im Kaliningrader Gebiet niederlassen könnten, wie unzählige Russen in Deutschland. "Historisch ist das Schicksal dieser Stadt vorbestimmt", sagt Ludmila Wiktorowa, Hörfunkdirektorin beim Staatssender "Jantar". "Die Stadt war immer eine Brücke zwischen Europa und Russland und eine Hansestadt. Also, warum das Rad erfinden?" Neuerdings ist in Moskau vom Status eines "Auslandsterritoriums" für die Region die Rede.
Auch der Dichter Sem Simkin sieht Kaliningrad in Königsberg verwurzelt. "Für mich ist das die zweite Heimat, aber unsere Kinder und Enkel sind hier geboren. Damit sie hier eine Zukunft haben, müssen sie ihre Vergangenheit kennen!" Ginge es nach Sem Simkin, hätten die ostpreußischen Städte ihre alten Namen längst wieder. Die Kulturschaffenden seien dafür, sagt er, auch die Jugend, aber die Kriegsveteranen seien dagegen, und auf die müsse noch Rücksicht genommen werden. Das tut die politische Führung.
Offiziell wird Anfang Juli der 750. Geburtstag Kaliningrads gefeiert, obwohl davon 690 Jahre auf Königsberg entfallen. Ein großer Teil der Bevölkerung hätte zumindest den Doppelnamen "Königsberg-Kaliningrad" für das Geburtstagskind vorgezogen, zumal der wiederaufgebaute Königsberger Dom seit dem vorigen Jahr das Wappen der Stadt Kaliningrad ziert. Davor war es ein Fischgesicht.