Albert Einstein ist in aller Munde. Sein Wunderjahr ist sprichwörtlich geworden, der Bundeskanzler hat ihn uns als Beispiel für Leistungsbereitschaft vor Augen gestellt. Doch wie war er wirklich, was hat er eigentlich geleistet? Das wollen anscheinend viele genauer wissen, darauf weist der Erfolg der von Jürgen Neffe verfassten Biografie hin, die sich inzwischen als ein Bestseller etabliert hat. Es wird rasch klar: der Autor hat intensiv und ernsthaft Einsteins Leben und Werk studiert, hat Literatur gesichtet, Archive und Forscher aufgesucht.
Neffe weicht den physikalischen Problemen, die Einstein bearbeitet hat, nicht aus. Obwohl er Formeln vermeidet und oft hilfreiche und treffende Vergleiche bemüht, sind diese Kapitel nicht einfach zu lesen. Einstein hat eben "letzte Dinge" in der Physik bearbeitet. Neffe stellt auch dar, was Einstein vorfand und warum er die Relativitätstheorie geradezu entdecken musste. In der Fülle der Einzelheiten fällt nur gelegentlich eine Unstimmigkeit auf, zum Beispiel bei den Angaben zur prognostizierten Wiederkehr von Halleys Komet. Und warum der Himmel blau ist, hat nicht erst Einstein, sondern schon Lord Rayleigh 1860 erklärt; Einstein hat die Theorie allerdings verbessert.
Die biografischen Kapitel lassen sich rascher lesen, sind aber recht bedrückend. Einstein war nicht einfach ein "lustiger Fink" (wie er sich gelegentlich selbst beschrieb), der Geige spielte und später gern die Zunge heraus streckte. Die Beziehung zu Mileva, seiner ersten Frau, ging in die Brüche, als Kinder geboren wurden und Mileva stärker als die Physik in Anspruch nahmen. Als Einstein bereits eine Beziehung mit seiner Cousine und späteren zweiten Frau unterhält, legt er Mileva ein unglaubliches Memorandum vor. Darin steht als Punkt C.2: "Du hast eine an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich darum ersuche." Der jüngere Sohn ist sehr intelligent, aber gemütskrank; er lebt und stirbt schließlich in einer Anstalt.
Warum hat gerade Einstein geschafft, was anderen nicht gelungen ist? Neffe geht auf diese Frage mehrfach ein. Als Schüler ist er leidenschaftlicher Leser, allgemeinverständliche naturwissenschaftliche Bücher fesseln ihn besonders. Andrerseits lernt er in der Glühlampenfabrik, die Vater und Onkel betreiben, Technik auf einem damals hochaktuellen Gebiet kennen. Neffe: "Sein autodidaktisches Studium generale vermittelt ihm jenen Überblick über die Tellerränder der Teildisziplinen hinweg, der ihn binnen weniger Jahre seine theoretischen Leistungen vollbringen lässt."
Einstein setzt konsequent auf die Unveränderlichkeit der Lichtgeschwindigkeit und die Gleichwertigkeit aller Inertialsysteme, trotz der zunächst unglaublichen Folgerungen: Wie lang ein Maßstab erscheint, wie rasch eine Uhr geht, hängt davon ab, wie schnell sie sich gegen den Beobachter bewegen. Aus dieser Relativitätstheorie folgt auch die Formel, die heute bekannter ist als der Pythagoras: E = mc2. Zur selben Zeit erkennt Einstein, dass der Fotoeffekt nicht mit der Wellentheorie des Lichts zu erklären ist, wohl aber mit einem Hagel von Lichtteilchen. So begründet er die Quantentheorie und stößt sogleich auf den Dualismus von Welle und Teilchen.
Ähnlich kühn und unbefangen denkt er, als er die Theorie von Raum und Zeit auf beliebige Bezugssysteme zu erweitern sucht und zu einer Theorie der Schwerkraft kommt. Allerdings erfordert es fast zehn Jahre harter Arbeit, bis die allgemeine Relativitätstheorie vollendet ist.
Sein nächstes Ziel ist eine allgemeine Feldtheorie, die elektrische, magnetische und Schwerefelder umfasst und vereinigt. Daran arbeitet Einstein während seiner zweiten Lebenshälfte - und scheitert. Er ist nicht mehr unbefangen. Die fortentwickelte Quantentheorie lehnt er ab (mit durchaus guten Gründen), ignoriert neu entdeckte Kräfte im Bereich der Atomkerne. Doch auch mit umfassenderen Ansätzen ist es bis heute nicht gelungen, Quantenmechanik und Relativitätstheorie zusammenzuführen. Nach wie vor ist es eines der großen Themen moderner Physik.
Ausführlich beschreibt Neffe auch den politischen Einstein. Dieser engagiert sich als Pazifist, wirbt für die Verweigerung des Kriegsdienstes, tritt für die aus Osteuropa eingewanderten Juden ein - und macht sich Feinde. Nach der Reichstagswahl 1933 tritt Einstein aus der Akademie der Wissenschaften aus (damit kommt er dem Ausschluss zuvor) und emigriert in die USA. Mit Deutschland will er nichts mehr zu tun haben, nach 1945 lehnt er alle Mitgliedschaften in Deutschland ab.
Am 18. April 1955 stirbt Einstein. Sein Sterbejahr liegt 50 Jahre zurück, doch heute, nach weiteren 50 Jahren, ist sein Werk weder überholt noch ausgeschöpft, und als weiser Nonkonformist lebt er im allgemeinen Bewußtsein. Kürzlich hat in Berlin ein Kongress mit über 6.000 Physikern unter dem Motto "Physik seit Einstein" stattgefunden. Vielleicht war sein wahrer Erbe unter ihnen.
Jürgen Neffe
Einstein - Eine Biographie.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2005; 496 S., 22,90 Euro