Europa altert nicht nur; es leert sich auch. Laut einer Studie, die der Europarat jetzt in Straßburg vorstellte, droht schon in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ein beispielloser Bevölkerungsschwund. Setzt sich der derzeitige Trend niedriger Geburtenraten fort, wird Europa im Jahre 2050 von fast einem Viertel weniger Menschen bewohnt sein als heute. Diejenigen, die bleiben, sind wesentlich älter als die Europäer von heute: Jeder Dritte bis Vierte wird über 65 sein - gegenüber 14,7 Prozent Senioren im Jahre 2003.
Das "Demographic Yearbook 2004" wurde zu Beginn einer zweitägigen Europarats-Konferenz über Bevölkerungsentwicklung vorgestellt. Dazu trafen am 7. und 8. April etwa 200 Wissenschaftler, Regierungs- und NGO-Vertreter in Straßburg zusammen. Herausgeber des Demographie-Jahrbuchs ist der Bevölkerungsausschuss des Europarats. "Das Ungleichgewicht in der Altersstruktur ist die zentrale Herausforderung für die Politik in ganz Europa", sagte die deutsche Vorsitzende des Ausschusses, Charlotte Höhn, zum Auftakt.
Anders als die EU hat der Europarat alle europäischen Staaten - mit Ausnahme von Weißrussland - im Blick. Europaweit liegt die Geburtenrate derzeit bei knapp 1,5 Kindern pro Frau. Bei gleichbleibender Rate würde die Bevölkerung bis 2050 um 22 Prozent auf 564 Millionen zurückgehen; gelingt es, sie auf 1,85 Kinder (zum Vergleich: 1990 lag die Geburtenrate bei 1,8) zu steigern, würden immer noch 13 Prozent fehlen. Die Tatsache, dass Europas Bevölkerung zurzeit noch um 0,23 Prozent pro Jahr wächst, ist ausschließlich auf Zuwanderung zurückzuführen: Im Jahr 2003 zogen etwas mehr als zwei Millionen Nichteuropäer in die Union. In Spanien und Italien ist das Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung besonders deutlich. Und auch im weltweiten Vergleich wird der Europäer eine immer rarer werdende Spezies: In den vergangenen 100 Jahren halbierte sich sein Anteil an der Weltbevölkerung von 25 auf 12 Prozent.
An der Spitze der europäischen Länder, in denen noch mehr Kinder geboren werden als Menschen sterben, stehen die Türkei, Albanien, Irland und Aserbeidschan. Dramatisch zurück geht die Geburtenrate in Osteuropa, allen voran in der Ukraine, Georgien, Bulgarien und Russland. In Deutschland blieb 2003 alles beim alten - auch hier wurden die leichten Verluste durch mehr Tode als Geburten nahezu plus minus null durch Zuwanderung ausgeglichen.
Charlotte Höhn, Leiterin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden, warnte die politisch Verantwortlichen davor, angesichts dieser Zahlen nicht zu handeln: "Es ist höchste Zeit, dass Europa reagiert." Schon jetzt könnten nur noch schmerzhafte Einschnitte einen Zusammenbruch der Sozialsysteme verhindern, so Höhn - und niemand könnte sagen, dass es nicht noch schlimmer kommen könne: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten bestehe die Gefahr, dass noch weniger Familien gegründet würden. Daher forderte Höhn bessere Bedingungen für Familien mit Kindern: "Eine aktive Gleichstellungspolitik und Familienförderung ist unverzichtbar." Jeannette Goddar
Mehr dazu unter: www.coe.int/2005-population