Auf Großplakaten vor dem Düsseldorfer Landtag beharken sich die Parteien schon seit längerem. Da verspotten die Grünen den auf Knirpsgröße geschrumpften CDU-Partei- und Fraktionschef Jürgen Rüttgers in kurzen Hosen mit dem braven Satz: "Ich trau mir das zu, Frau Merkel". Die SPD lässt Angela Merkel und Jürgen Rüttgers gemeinsam breit strahlen zu dem Spruch "Tschüß Kündigungsschutz". Die Union wiederum rechnet den Genossen vor, dass in allen CDU-regierten Bundesländern die Arbeitslosigkeit weit geringer ist als in NRW Und schließlich lässt die FDP die "Titanic" in den Untergang steuern, während ein Schriftband fragt: "SPD: Klarer Kurs?" Ansonsten ist die Stimmung im Land freundlich bis abwartend verhalten. Von der erwarteten harten Auseinandersetzung ist bislang kaum etwas zu spüren. Der SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag Edgar Moron meint: "Für die meisten Bürger ist die Wahl noch weit weg." Dagegen hat der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU Helmut Stahl den Eindruck gewonnen: "Die Menschen sind sehr interessiert."
Gut fünf Wochen vor der Wahl am 22. Mai diagnostisieren die Meinungsinstitute eine Wechselstimmung. Danach befindet sich die SPD im Abwärtstrend. Sie kommt nur noch auf 34 Prozent. Das ist ein Minus von einem Prozent gegenüber dem Vormonat. Die CDU macht einen Satz nach vorn. Sie hat einen Zugewinn von drei und liegt jetzt bei 45 Prozent. Die Grünen sind wieder einstellig. Sie bekommen nur noch neun Prozent. Die FDP liegt konstant bei sieben Prozent. Zählt man die Ergebnisse beider Lager zusammen, dann steht es bei Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb: 43 zu 52. Die Spitzenkandidaten sind im Vergleich zum Vormonat enger zusammengerückt. SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück kommt lediglich auf 37, sein Herausforderer Rüttgers auch nur auf 32 Prozent. 56 Prozent der Befragten erklären, die SPD an Rhein und Ruhr sei nach 39 Jahren als Regierungspartei "verbraucht". Auch in der Frage der Kompetenz zur Lösung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt, bei Schulen und innerer Sicherheit liegt die CDU vorn. Allerdings trauen die Wähler beiden Parteien nicht zu, die Probleme in den Griff zu bekommen. Bei dieser Ausgangslage werden die Fernsehduelle zwischen den Spitzenkandidaten mit Spannung erwartet.
In dem mit 18 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Bundesland sind zehn Millionen Wählerinnen und Wähler am 22. Mai zur Wahl aufgerufen. Allein diese beeindruckend hohe Zahl stilisiert die NRW-Landtagswahl zu einer kleinen Bundestagswahl. Eine Abwahl der letzten rot-grünen Landeskoalition hätte in jedem Fall Folgen für den Bund. Nach einer solchen Niederlage wäre das Weiterregieren für die rot-grüne Bundesregierung schwierig. Sollte andererseits der CDU der Sieg wiederum misslingen, wären auch für sie die Auswirkungen fatal. Für Rüttgers wäre die Spitzenposition in NRW wohl verloren und auch die Kanzleranwartschaft von Parteichefin Merkel könnte gefährdet sein. Allein diese zu erwartenden Nachwirkungen machen deutlich, dass die Parteien den Wahlkampf unter Aufbietung aller ihrer Kräfte führen werden. Das zeigt schon der Personaleinsatz. Bundeskanzler Gerhard Schröder wird neunmal nach NRW kommen. Die Parteichefs von SPD und CDU, Müntefering und Merkel, haben je 30 Auftritte zugesagt. Der grüne Außenminister Fischer besucht zwölf Veranstaltungen. Der FDP-Parteivorsitzende Westerwelle soll an die 50 Termine an Rhein und Weser bewältigen.
Trotz absackender Umfragewerte, anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und tief sitzendem "Kiel-Schock" gibt sich die SPD zuversichtlich. Sie glaubt ihren derzeitigen Rückstand mit einer beispielslosen Mobilisierungskampagne aufholen zu können. Die SPD habe erst 60 Prozent ihrer potenziellen Wähler mobilisiert, während die Union bereits ihr Pulver bei der Mobilisierungskampagne verschossen habe, rechnet NRW-SPD-Generalsekretär Michael Groschek vor: "CDU und FDP können nicht aus eigener Kraft die Regierung bilden. Sie brauchen die "Sofa-Partei" als dritten Partner." Unter dem Begriff "Sofa-Partei" fasst Groschek enttäuschte SPD-Wähler in den eigenen Hochburgen zusammen, die nicht wählen gehen wollen. Im Vergleich zur Kommunalwahl 2004 müsse die SPD 800.000 Stimmen hinzugewinnen, um auch weiter hin politisch stärkste Kraft zu bleiben. Um dieses Ziel zu erreichen startet, die SPD einen "aufsuchenden Wahlkampf". SPD-Wahlkämpfer würden an Wohnungstüren klingeln und Besuche am Arbeitsplatz machen. Dazu wurde für jeden Wahlkreiskandidaten ein "Mobilisierungskompass" erstellt, der genau auflistet, wo Wähler wohnen, die man möglicherweise wieder für die SPD gewinnen kann.
Neu ist, dass die SPD noch am Wahlsonntag Wahlkampf machen will. "Wir werden bei Veranstaltungen und auf Fußballplätzen um die letzten Stimmen kämpfen", sagt Groschek. Thematisch will sich die SPD als die Kraft darstellen, die die soziale Gerechtigkeit auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten absichert. Neben Arbeit und Bildung soll deshalb der gesellschaftlich Zusammenhalt in den Vordergrund rücken. Personell setzt die SPD ganz auf Ministerpräsident Steinbrück. "Er ist das Trumpf-As der SPD", sagt Groschek und zielt damit auf die guten Kompetenzwerte des Regierungschefs. Steinbrück stehe für einen klaren Kurs und für Beharrlichkeit. Allerdings muss er gerade in diesen Tagen zur Kenntnis nehmen, dass seine simple Parole "Er oder ich" allein nicht mehr trägt. Unter dem Druck ihrer schlechten Umfrageergebnisse haben die Genossen auf ihrer Dortmunder Wahlkampfauftaktveranstaltung am 9. April bereits eine schärfere Gangart eingelegt und den politischen Gegner massiv angegriffen. Für neue Verunsicherung sorgte Steinbrück allerdings mit seiner Distanzierung vom gerade erst beschlossenen Lagerwahlkampf.
Wie im Bund so scheinen die Grünen auch in NRW vom Abwärtstrend der SPD bislang weitgehend unberührt. Weder fünf Millionen Arbeitslose bundesweit, davon eine Million allein in NRW, noch das Gezerre um das Antidiskriminierungsgesetz oder die Visaaffäre scheinen den Grünen etwas anhaben zu können. Weitgehend unbeirrt halten sie an Joseph Fischer als ihrer Galionsfigur fest. Und selbstbewusst ist ihr Slogan: "Bündnis90/die Grünen, alles andere ist zweite Wahl." Mit Verve sind sie in den von der SPD angebotenen Lagerwahlkampf eingestiegen. Bei der Wahl gehe es um "sozialen Frieden statt sozialem Kahlschlag" kündigt NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn knallhart an. Auch der grüne Bauminister Michael Vesper ist für einen zugespitzten Wahlkampf damit die politischen Unterschiede erkennbar werden: "Rüttgers läuft vor konkreten landespolitischen Argumenten weg. Wir werden ihn stellen." Da die Wähler in NRW aber nur eine Stimme abgeben können, wollen beide Parteien jeweils für sich die Maximalzahl an Wählern für sich gewinnen. Themenschwerpunkte sind Arbeit, Umwelt und Bildung. Bärbel Höhn: "Wir wollen antworten auf die hohe Arbeitslosigkeit geben, zum Beispiel indem wir den Mittelstand stärken. Wir werden aber auch deutlich machen, dass Umweltpolitik Arbeitsplätze schafft. In den Bildungspolitik stehen die grünen für eine Stärkung der Selbständigkeit der Schulen Gleichzeitig soll die Durchlässigkeit zwischen Schulsystemen verbessert werden. Wir wollen nicht, dass für Kinder schon nach dem vierten Schuljahr entschieden ist, wie ihr Leben später aussehen wird."
Nachdem sich Rot-Grün auf einen Lagerwahlkampf festgelegt hat, blieb den bürgerlichen Parteien gar nichts weiter übrig, als sich ebenfalls deutlich zu positionieren. CDU-Landeschef Rüttgers und der FDP-Spitzenkandidat Ingo Wolf streben eine "Koalition der Mitte" an. Die Zusammenarbeit ist für beide Seiten noch gewöhnungsbedürftig. Immerhin besuchten Rüttgers und Wolf aber schon mal gemeinsam ein Fußballspiel in Köln. Mit dem Slogan "39 Jahre SPD. Genug ist genug" setzt die Union ganz auf Wechselstimmung beim Wahlvolk. "Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wollen den Neuanfang", ermunterte Rüttgers seine Anhänger bei der CDU-Auftaktveranstaltung am 9. April in der Arena Oberhausen. Nachdem die Union in Nordrhein-Westfalen seit 1966 in sieben aufeinander folgenden Wahlkämpfen verloren hat, wollen die Christdemokraten jetzt den Sieg. Wie die SPD will auch sie Straßenwahlkampf "von Haus zu Haus" machen. In der glänzend inszenierten Auftaktveranstaltung bei der Parteichefin Angela Merkel und die Unions-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, Christian Wulff, Roland Koch und Peter Müller dem NRW-Spitzenkandidaten Rückenstärkung gaben, hämmerte Rüttgers den gut 9.000 Parteifreunden ein: "Wir können es besser." Gleichzeitig mahnte er: "Was auf uns zukommt, das wird schwierig. Das wird Opfer kosten. Aber wir schaffen das."
"Wir wollen eine neue politische Kultur, die mehr Freiheit an Stelle staatlicher Regelungen erlaubt", heißt es in dem Wahlprogramm der Union. In einer ersten Wahlkampfphase prangert die Union die Missstände durch Rot-Grün in NRW an. Dabei listet sie in einer Negativbilanz unter anderem auf: Eine Million Arbeitslose, mehr als 105 Milliarden Euro Schulden, fünf Millionen ausgefallene Unterrichtsstunden pro Jahr. In einer zweiten Phase wird dann die eigene Kompetenz herausgestrichen. Erst in der letzten Phase etwa zwei Wochen vor dem Wahltag wird dann mit der Person Rüttgers auf Großplakaten geworben.
SSo wortreich die Parteien ihre Kampagnen ankündigen, so zurückhaltend werden sie bei der Frage nach den Wahlkampfkosten. Die Union ist beziffert ihre "Angriffskampagne" mit 2,2 Millionen Euro. Die SPD spricht von einem einstelligen Millionenbetrag. Die FDP gibt weniger als eine Million Euro an, hofft aber mit Hilfe von Spenden auf über eine Million zu kommen. Und die Grünen wollen mit 850.000 Euro den Wahlkampf insgesamt bestreiten.
Am Wahltag werden im Düsseldorfer Landtag rund 500 Journalisten und 20 bis 25 Fernsehteams erwartet. Erstmals in der Geschichte wird der Plenarsaal für die schreibende Presse und die Agenturen zur Verfügung gestellt. Fernseh- und Rundfunkanstalten werden in der Wandelhalle untergebracht. In der Bürgerhalle im Erdgeschoss wird ein zentraler Statementplatz eingerichtet. Die Pressesprecherin des Landtags Stephanie Hajdamowicz sieht dem Wahlsonntag fröhlich-gelassen entgegen: "Unsere Planungen laufen seit Ende letzten Jahres. Wir sind super vorbereitet."