Oliver Gehrs, der selber zwei Jahre lang in der Wirtschaftsredaktion des "Spiegel" in Berlin arbeitete, hat unter dem Titel "Der Spiegel-Komplex" eine Biografie über den Chefredakteur Stefan Aust geschrieben. Thematisch unmittelbar damit verknüpft, beschäftigt sich Gehrs dabei auch mit der Machtpolitik der Macher des Nachrichtenmagazins, denen in letzter Zeit immer häufig Einseitigkeit vorgeworfen wird. Gehrs hat sich bei ehemaligen Kollegen umgehört und auch mit Stefan Aust geredet, der den Kontakt aber schnell abgebrochen hat. Auch wenn er sich nicht an Aust persönlich abarbeiten will, sagt er doch über ihn: "Mich erinnern die Stücke im ,Spiegel' über Joschka Fischer immer arg an Aust selbst, wenn es dann heißt, Fischer sei inzwischen arrogant geworden und sehr machtverliebt."
Das Parlament:
Sie haben ein sehr kritisches Buch über den "Spiegel" und seinen Chefredakteur Stefan Aust geschrieben. Ist der Montag für Sie Ärger-Tag?
Oliver Gehrs: Das überhaupt nicht. Es gab zwei Motivationen: Zum einen fand ich das Leben von Stefan Aust sehr spannend, weil ich bei der Beschäftigung mit seiner Biografie gemerkt habe, dass er die wichtigen Themen, die uns im Nachkriegsdeutschland politisiert haben, journalistisch beackert hat. Das fand ich sehr beeindruckend. Für mich war das als Nachgeborener, der nicht alles wie '68, Friedensbewegung oder Hausbesetzerszene miterlebt hat, eine Art Zeitreise. Mir war vorher gar nicht bewusst gewesen, wie sehr Stefan Aust den politischen Diskurs journalistisch geprägt hat. Das andere war, dass sich gerade der Medienjournalismus auffallend wenig mit dem "Spiegel" beschäftigt, obwohl er das interessanteste und mächtigste Blatt ist. Da gibt es eine Beißhemmung, weil der "Spiegel" sehr viel Macht hat und viele einschüchtert. Das fand ich immer schade, weil es medienpolitisch ein dankbares und sehr wichtiges Thema ist. Zudem merkt man, dass es innerhalb des "Spiegel" ein hohes Maß an Unzufriedenheit gibt, und auch als Leser fragt man sich, warum steht dieses im Blatt und warum anderes nicht. Der Sache wollte ich auf den Grund gehen.
Das Parlament:
Sie waren selber Wirtschaftsredakteur für den "Spiegel" in Berlin. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit dem "Spiegel" und seinem Chefredakteur gemacht?
Oliver Gehrs: An meine Zeit beim "Spiegel" erinnere ich mich eigentlich gerne. Ich war rund zwei Jahre als Wirtschaftsredakteur in Berlin in einer privilegierten Position. Die Berliner konnten mir nicht wirklich was sagen, und die Wirtschaftsredaktion in Hamburg war auch weit weg. Ich konnte in Ruhe mein "Mediengärtchen" beackern. Das Buch ist keine Rache, mir ging es nicht darum, mich an Stefan Aust abzuarbeiten. Ich finde einfach, dass es in einer aufgeklärten Gesellschaft notwendig ist, dass man auch den "Spiegel" von Zeit zu Zeit einer kritischen Prüfung unterwirft. Mein Anliegen war, mal mit derselben skeptischen Allwissenheit, mit derselben Attitüde über den "Spiegel" zu schreiben, wie er es über andere tut. Ich finde, das muss dieses Blatt auch aushalten.
Das Parlament:
Also keine persönlichen Antipathien gegen Aust?
Oliver Gehrs: Nein, überhaupt nicht. Das Einzige, was ich von Aust mitbekommen habe, war, dass Medienthemen - wie bei anderen Zeitungen auch - immer auch Anliegen des Chefredakteurs sind. Da gab es einige Sachen, die dem Chefredakteur mehr am Herzen lagen als andere. Aber das war kein besonderes oder so enttäuschendes Erlebnis, dass es mich dazu getrieben hätte, das jetzt noch mal kritisch zu hinterfragen. Ich bin damals auch freiwillig weggegangen, weil ich ein Angebot von der "Süddeutschen Zeitung" hatte.
Das Parlament:
Sie haben für Ihr Buch mit Aust nur sehr wenig sprechen können. Er hat den Kontakt schnell abgebrochen, wie Sie im Vorwort schreiben. Kann man eine Biografie über jemanden schreiben, mit dem man nicht ausführlich über sein Leben gesprochen hat?
Oliver Gehrs: Aber ja, gerade bei Aust war es so, dass er eine Riesen-Datenspur hinterlassen hat. Er hat Jahrzehnte sehr viel geschrieben und beim NDR Hunderte von Filmen gemacht. Mir ging es ja auch nicht um die Darstellung seines Privatlebens, sondern seine journalistische Biografie. Außerdem erfährt man im Fall einer kritischen, unautorisierten Biografie vom Objekt der Begierde sowieso nicht so viel. Gerade Aust sagt zu allem, was ein wenig kritisch ist, nicht viel. Von den persönlichen Treffen habe ich mir nicht viel versprochen.
Das Parlament:
Trotzdem fragt man sich als Leser, was würde Aust wohl zu diesem oder jenem Vorwurf sagen, zum Beispiel zu dem, dass er im Laufe der Zeit zu viel Nähe zu den Mächtigen in Politik und Wirtschaft entwickelt habe.
Oliver Gehrs: Aust würde rundweg sagen, nein, das stimmt nicht, weil Aust grundsätzlich zu allen Vorwürfen sagt: Das stimmt nicht. Deswegen erinnern mich die Stücke im "Spiegel" über Joschka Fischer immer arg an Aust selbst, wenn es dann heißt, Fischer sei inzwischen arrogant geworden und sehr machtverliebt.
Das Parlament:
Sie kritisieren beim "Spiegel" eine gewisse Abkehr vom Politischen und eine Verflachung - sehen Sie da einen allgemeinen Trend im Journalismus?
Oliver Gehrs: Der Trend, den ich sehe, ist eher eine Mainstream-Lastigkeit. Der Tenor, die Stoßrichtung zu vielen Themen ist eigentlich in den meisten Zeitungen gleich. Die Medien sind ziemlich einseitig geworden, Zwischentöne und andere Perspektiven gibt es nicht. Da ist der "Spiegel" nicht allein, im Gegenteil: Da muss man dem "Spiegel" zugute halten, dass er bei aller Wechselhaftigkeit im Gegensatz zu vielen Zeitungen noch ganz erfrischend ist. Nur, das ist natürlich auch nicht die richtige Art, mit einem Thema umzugehen, dass man die eine Woche das schreibt und die andere das. Der Spiegel entwickelt sich zu einem Reportageblatt, das besser zu lesen ist, aber die Fachleute sind ins Hintertreffen geraten. Gerade auf politischen Feldern finde ich das schlecht.
Das Parlament:
Wenn Sie selber Chefredakteur vom "Spiegel" wären, was würden Sie als Erstes angehen?
Oliver Gehrs: Der Laden braucht einfach wieder ein paar mutigere Leute. Viele Leute, die neben Aust noch eine Stimme dargestellt und sich getraut haben, Thesen und Themen vorzubringen, die vielleicht der Chefredaktion nicht so behagen, aber dennoch in so ein Blatt gehören, haben den "Spiegel" verlassen. Das Blatt ist einfach sehr einseitig geworden, weil es nur noch ganz wenige Leute sind, die bestimmen, was drinsteht. Ein mutiges Blatt kann man nur mit mutigen Männern und Frauen machen, und das vermisse ich beim "Spiegel". Das müsste man dringend ändern.
Das Parlament:
Was macht Ihr eigenes Magazin "Dummy" besser als der "Spiegel"?
Oliver Gehrs: Da möchte ich mir eine Antwort eigentlich nicht anmaßen. Wir beackern ein ganz anderes Feld, aber was wir auf jeden Fall besser machen, ist, dass wir den Autoren eine eigene Meinung zutrauen und nicht die Thesen und Themen von oben durchreichen. Wir bitten die Leute um Beiträge und haben dadurch eine große Vielfalt und liefern nicht so einen Einheitsbrei. Aber wir sind natürlich eher ein kleines schnelles Beiboot, ein großer Tanker ist schwerer zu steuern.
Das Interview führte Ulrike Schuler